Die parlamentarische Delegation rund um Nationalratspräsidentin Irène Kälin (35) ist heute Mittwochmorgen in der Ukraine angekommen. Dies tweetete das Schweizer Parlament und veröffentlichte einige Fotos von der Reise der höchsten Schweizerin mit ihrem Team.
Mit dem Nachtzug überquerte Irène Kälin von Polen aus die ukrainische Grenze und reiste nach Kiew, wo sie sich unteranderem mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk (46) treffen will.
Gemeinsam mit der Grüne-Politikerin reisen auch die Ratsmitglieder Roger Nordmann (SP/VD), Nik Gugger (EVP/ZH) und Yves Nidegger (SVP/GE) sowie der Schweizer Botschafter in der Ukraine, Claude Wild, nach Kiew, wie die Parlamentsdienste am Dienstag mitteilten.
Nach dem Besuch des ukrainischen Parlaments sei auch vorgesehen, dass die Schweizer Delegation die befreiten Städte Butscha und Irpin besuchen können.
Kurz bevor Irène Kälin das Flugzeug Richtung Osten bestieg, hat «Blick» mit der höchsten Schweizerin über ihre Erwartungen und ihre Ängste gesprochen. «Ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch und grossen Respekt vor dem, was uns erwartet», sagte die 35-Jährige kurz vor Abflug.
Angst um ihre Sicherheit habe die Mutter von einem dreijährigen Sohn nicht. «Aber als Mensch, als junge Frau, die nichts anderes kennt als ein Leben in Frieden, und als Mutter eines kleinen Kindes, die noch nie in einem Kriegsgebiet war und die bereits bei den Bildern in der Tagesschau ihre Tränen nicht zurückhalten konnte, hätte ich mir diese Reise gerne erspart.»
So reist Kälin mit gemischten Gefühlen ab: «Ich will das Elend, das dieser schreckliche Krieg verursacht, eigentlich nicht sehen. Ich weiss nicht, ob ich es aushalten werde».
Als Nationalratspräsidentin erachte sie es als ihre Aufgabe, die Solidarität die sie täglich sehe und erlebe, nach Kiew zu tragen, sagt Kälin gegenüber «Blick» weiter. «Es ist meine Pflicht als Politikerin zu zeigen, dass wir bedingungslos auf der Seite des Völkerrechts stehen und unsere humanitäre Aufgabe wahrnehmen.»
Angst davor, dass ihr Besuch in der Ukraine zu Propagandazwecken missbraucht würde, habe Irène Kälin nicht. «Und ich habe auch keine Angst um meine Sicherheit. Ich habe Angst, dass es mich als Mensch durchrütteln wird. Und ich glaube, das ist gut so. Denn letztlich steckt hinter jeder Funktion und jedem Titel ein Mensch, und genau diese Menschlichkeit brauchen wir doch alle mehr denn je.»
Das Bundesamt für Polizei «Fedpol» riet der Nationalratspräsidentin, nicht in die Ukraine zu reisen. «Das Fedpol riet mir aktiv von dieser Reise ab und entschied, mich nicht zu begleiten, falls ich trotzdem gehen würde», erzählt Kälin. Sie akzeptiere diesen Entscheid, auch wenn es etwas befremdend sei. Aber sie wisse schliesslich, dass die Schweizer Polizei nicht für Auslandeinsätze in Kriegsgebieten gerüstet wäre.
Das Gastland kümmere sich um die Sicherheit der Schweizer Nationalratspräsidentin. «Ich habe grosses Vertrauen in die Ukrainischen Sicherheitskräfte.»
Während die Schweizer Delegation in der Ukraine angekommen ist, droht Russland zeitgleich, dass sich die russischen Truppen nicht mit Angriffen zurückhalten würden, nur weil sich westliche Politiker im Kriegsgebiet befänden. Der russische Verteidigungsminister drohte, «jederzeit bereit zu sein, die Ukraine zu bombardieren».
«Ich habe keine Angst um meine Sicherheit.»
Irène Kälin
In den letzten Wochen und Tagen sind immer wieder Regierungsmitglieder verschiedenster westlicher Nationen als Zeichen der Solidarität in die Ukraine gereist. «Bei solchen Massnahmen wäre es für Russland nicht unbedingt ein Problem, wenn Vertreter bestimmter westlicher Länder in diesen Entscheidungszentren anwesend wären», heisst es vom russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu (66).
Kälin studierte einst Islam- und Religionswissenschaftlerin. Der politische Aufstieg der Aargauerin verlief schnell: Ab 2010 gehörte sie dem Grossen Rat des Kantons Aargau an. 2015 kandidierte sie erfolglos für die grosse und die kleine Kammer. 2017 rutschte sie ins Parlament nach. 2019 war Kälins Wiederwahl Formsache.
Die 34-Jährige Mutter sorgte landesweit für Schlagzeilen, als sie wenige Monate nach der Geburt Sohn Elija mit in den Nationalratssaal nahm. «Mit diesem Aufschrei hatte ich nicht gerechnet», sagt sie. Heute gibts ein Stillzimmer im Bundeshaus.