Als Trainer führte Dany Ryser, 64, das U17- Nationalteam der Schweiz 2009 in Nigeria sensationell zum WM-Titel. Heute ist er für den SFV in technischen Fragen Bindeglied zur Uefa, arbeitet für sie als technischer Beobachter, evaluiert die Traineraus- und weiterbildung der europäischen Verbände und leitet Workshops für die Fifa.
Dany Ryser, seit dem WM-Titel der U17 in Nigeria sind zwölf Jahre vergangen. Wie sehr verbindet der Triumph die Beteiligten abseits des Fussballplatzes heute noch?
Ryser: Es bleibt eine schöne Erinnerung, die noch immer stolz macht. Das Team hat untereinander aber keinen institutionalisierten Austausch. Es gibt auch keine «WhatsApp-Weltmeistergruppe» oder etwas Ähnliches. Einzig 2019, zum 10-Jahre-Jubiläum, haben sich alle, die konnten, im Letzigrund in Zürich getroffen. Ich selbst habe vor allem zu einigen, die es nicht ganz nach oben geschafft haben, regelmässig Kontakt. Die anderen haben inzwischen zu viele Verpflichtungen.
Aus der zeitlichen und emotionalen Distanz betrachtet: Weshalb war der unglaubliche Titelgewinn damals möglich?
Wir hatten nicht die besten Individualisten, aber wir waren das beste Team. Der Zusammenhalt unter den Spielern, Teamgeist, Staff – es war ein Puzzle, in dem alles passte. Zudem waren wir vielleicht besser als andere darauf vorbereitet, dass das Turnier in Nigeria unter logistisch schwierigen Umständen stattfand. Das könnte im Übrigen auch für unsere A-Nationalmannschaft an der bevorstehenden Euro mit den dezentralen Spielorten und den Corona-Restriktionen entscheidend wichtig sein.
Und dann kam es wohl auch dank der wachsenden Euphorie zum Steigerungslauf bis hin zum Finalsieg gegen die Gastgeber.
Genau. Der sportliche Schlüsselmoment damals war für mich der Sieg gegen Brasilien. Er entfachte eine Eigendynamik, die es mir erlaubte, den Führungsstil entsprechend anzupassen.
Der 1992er-Jahrgang, die «Klasse von 2009», war das einfach ein einmaliger Glücksfall für unseren Fussball?
Keineswegs! Vielmehr eines der sichtbaren Resultate guter Zusammenarbeit von Verband und Vereinen auf den Basisstufen. Es gab ja mehrere starke Resultate an internationalen Nachwuchs-Meisterschaften.
Trotzdem darf man den Titel als Sensation bewerten, oder?
Klar. Die Fachjury der Fifa schätzte uns vor dem Turnier auf Rang 24 der 24 Teilnehmer ein. In Englands Wettbüros hätte man dank uns mit einem Pfund Einsatz 500 Pfund gewonnen. Und die Qualifikation für die EM kurz zuvor in Deutschland hatten wir nur auf den letzten Drücker geschafft.
Zurück in die Gegenwart: Lassen sich Parallelen feststellen, Einflüsse, die die U17-Weltmeister von 2009 auf unsere heutige A-Nati vor der Euro haben?
Schwierig, das zu vergleichen. Zwar sind auf A-Stufe die Erfolgsfaktoren bei grossen Turnieren nicht wesentlich anders. Es geht nicht mehr um Technisches, sondern um das Schaffen einer «winning mentality». Die A-Spieler sind um ein Vielfaches professioneller und selbstständiger und deshalb anders zu führen. Aber ich glaube, der Spielstil ist nicht unähnlich. Auch die Nati versucht, jedem Gegner ihr Spiel aufzuzwingen, zu dominieren, kann aber bei Bedarf auch einmal etwas pragmatischer agieren. Das hat mit Selbstbewusstsein und Stilsicherheit zu tun und basiert sicherlich auch auf der Philosophie des Verbandes. Es geht aber vor allem darum, den Spielstil den Typen anzupassen, die du hast. Petkovic macht das sehr gut. Vielleicht kann man sagen, dass U17-Weltmeister wie Granit Xhaka mit ihrer Titel-Erfahrung noch etwas Ergänzendes, Besonderes in die A-Nati getragen haben. Apropos Xhaka: Zusammen mit Ricci Rodríguez und Haris Seferovic gehört er heute zu den Schweizer Leistungsträgern an der bevorstehenden Europameisterschaft.
Sind das in etwa jene Spieler aus der U17, die Sie damals langfristig in dieser Position erwartet hatten, oder gabs noch Hoffnungsträger, die es nicht geschafft haben?
In etwa waren es diese. Sie gehörten von Anfang an unserem Futuro-Projekt an, jenen Nachwuchsspielern, auf die der Verband für die Zukunft setzt. Nassim Ben Khalifa hätte auch dazugehört, bei ihm ist es aus verschiedenen Gründen aber schlecht gelaufen. Goalie Beni Siegrist und Pajtim Kasami attestierten wir ein gewisses Potenzial für die A-Nati, aber bei Pajtim war die Karriere zu früh von zu vielen Wechseln geprägt. Oliver Buff, Charyl Chappuis, Janick Kamber oder Kofi Nimeley hatten das Zeug zu einer guten Super-League-Karriere. Es gehört halt letztlich etwas Glück dazu, dass in ei- ner Karriere alles kommt wie geplant und erwartet.
Benjamin Siegrist Torhüter / höchste Karrierestufe: Scott. Premier League /
aktuell: Dundee United /0 A-Länderspiele
André Gonçalves Verteidiger / Challenge League / FC Linth / 0 A-LS
Janick Kamber V / SL / Mümliswil / 0 A-LS
Charyl Chappuis MF / ChL / Port FC (Thai) / 0 A-LS
Frédéric Veseli V / Serie B / US Salernitana / 0 A-LS
Kofi Nimeley MF / ChL / Rücktritt / 0 A-LS
Roman Buess Sturm / SL / FC Winterthur / 0 A-LS
Oliver Buff MF / SL / GC / 0 A-LS
Haris Seferovic S / Serie A, Bundesliga / Benfica Lissabon / 70 A-LS
Nassim Ben Khalifa S / SL / Espérance Tunis / 4 A-LS
Granit Xhaka MF / Bundesliga, Premier League / Arsenal / 82 A-LS
Raphael Spiegel TH / ChL / FC Winterthur / 0 A-LS
Ricardo Rodríguez V / Bundesliga, Serie A / Torino / 71 A-LS
Bruno Martignoni V / SL / FC Lugano / 0 A-LS
Sead Hajrović V / ChL / Victoria Köln / 0 A-LS
Pajtim Kasami MF / Serie A, Premier League / FC Basel / 12 A-LS
Maik Nakic MF / 1.Liga / Rücktritt / 0 A-LS
Robin Vecchi V / 1.Liga / Rücktritt / 0 A-LS
Matteo Tosetti MF / SL / FC Sion / 0 A-LS
Igor Mijatovic S / ChL / GC Biaschesi / 0 A-LS
Joel Kiassumbua TH / SL / Servette / 0 A-LS
Über alles betrachtet: Hat der U17-Titel von 2009 den Schweizer Fussball entscheidend vorangebracht?
«Entscheidend» ist ein zu starkes Wort. Es hat vielmehr den von uns eingeschlagenen Weg bestätigt, so wie der U17-EM-Titel von 2002 oder die Halbfinal-Qualifikationen von U19- oder U21-Teams. Was indessen sicher eine Folge des Titels war: Der Schweizer Fussball verschaffte sich ab 2009 mehr Respekt auf der ganzen Welt. Er ist bis heute spürbar, und davon profitieren wir durchaus; die Nati ist inzwischen begehrt für Testspiele und gefürchtet als Gruppengegner.
Dann kann Petkovics Team an der in wenigen Tagen beginnenden Euro ein Coup gelingen wie damals Rysers jungen Wilden?
Daran glaube ich felsenfest. Ich zähle unsere Nati klar zu den Top Ten in Europa. Kommt das Momentum dazu, so wie bei uns damals, nach dem Sieg über Brasilien, ist der Durchmarsch möglich. Übersteht man die Gruppenphase mit drei Gegnern auf Topniveau, beginnt ein ganz neues Turnier. Und da wäre die Schweiz dann zweifellos auf Augenhöhe mit den Besten.