Seit mehreren Stunden wird eine 99-jährige alleinstehende Frau aus einem nahen Altersheim vermisst. Die Suche durch Personal, Angehörige und die Feuerwehr Urnäsch AR war erfolglos. So lautet die Meldung, die am 31. Juli kurz vor 20 Uhr bei der Kantonalen Notrufzentrale in Herisau eingeht. Patrouillen der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden rücken aus. Sie finden die Frau nicht, auch nicht in der Umgebung des Rollators, der einen Kilometer vom Altersheim entfernt steht und der Vermissten gehört. So bietet der Einsatzleiter den Polizeihundeführer Thomas Steiger (35) und dessen Diensthund Jango vom Grafenfels auf.
Sofort fährt Jangos Besitzer, der seit zwölf Jahren bei der Kantonspolizei arbeitet, von daheim los, den Belgischen Schäferhund im Kofferraum seines Privatautos. Als Erstes hält er beim Altersheim: Im Zimmer der Vermissten drückt er ein Stück Gaze auf das Leintuch der betagten Frau, verstaut sie in einem Plastiksack. Beim Rollator dann streift er Jango das Mantrailing-Geschirr über, nimmt ihn an die Leine. Dann öffnet er den Plastiksack. Sofort nimmt der Hund den Geruch der vermissten Frau auf. Steiger gibt ihm ein Hundeguetsli, ruft «Such!» – und Jango läuft los, die Nase Richtung Boden. Ein Polizeikollege begleitet die beiden.
Drei Jahre hat Steiger seinen Vierbeiner als Kombihund in den Sparten Suchhund und Mantrailing, also Personensuche, ausgebildet. Dann bestand Jango im Alter von dreieinhalb Jahren den Einsatztest, seither ist er 20 Mal pro Jahr im Einsatz. Rund 600 einsatzfähige Polizeihunde gibt es in der Schweiz. Schutzhunde und solche, die aufs Aufspüren spezialisiert sind. Die einen spüren Betäubungsmittel auf, andere Sprengstoff, Personen, Leichen und Blut, Brandmittel, wieder andere Notengeld oder Datenträger.
Der Geruch ist wie eine Wolke
Jango kommt zügig voran, immer den Geruch der Vermissten in der Nase – obwohl es zuvor stark geregnet und gewindet hat. «Der Geruch einer Person ist wie eine Wolke, die sich beim Gehen rundherum verteilt», erklärt Steiger. Bis zu zwölf Stunden später kann ein Kombispürhund eine Spur verfolgen – spezialisierte Mantrailer, Bluthunde beispielsweise, bei guten Bedingungen bis eine Woche. Mit seinen 300 Millionen Riechzellen verfügt ein Hund über 60 Mal mehr Rezeptoren als ein Mensch. So kann er eine Million Gerüche unterscheiden, der Mensch «nur» 10'000.
Rund zehn Minuten, nachdem sie losgelaufen sind, zwängt sich Jango durch hüfthohe Stauden und dichte Brombeerranken an der Uferböschung des Flusses Urnäsch. Plötzlich bleibt er stehen, Steiger sieht die Vermisste zuerst gar nicht. Diese liegt mitten im Dickicht am Boden. «Gut gemacht!», lobt er, zur Belohnung gibt er Jango eine Portion «Le Parfait». Per Funk wird der Fund gemeldet, Feuerwehrmänner bergen die unterkühlte Frau, der Rettungsdienst bringt sie ins Spital. Thomas Steiger freut sich heute: «Nach der Pflege dort kehrte sie wohlauf wieder ins Altersheim zurück.»