Er ist ein Phänomen: Gesegnet mit einer enorm hohen Durchlässigkeit für alles Schöne, komponiert Andreas Caminada seine Gerichte mit grösster Sorgfalt zu Kunstwerken. Die Interieurs seiner Betriebe zeugen von der Serviette bis zum Sessel von vollendetem Geschmack und Stilsicherheit.
Wie eine Zwiebel offenbart der Starkoch Schicht um Schicht eine neue Seite. Wobei die Zwiebel bei ihm immer grösser wird: Nebst Schloss Schauenstein – seit 2010 mit drei Michelin-Sternen und 19 GaultMillau-Punkten dekoriert – und den Igniv-Restaurants in Bad Ragaz, Bangkok, St. Moritz und Zürich entzückt in Fürstenau die «Casa Caminada» mit währschafter Küche. Eine Bäckerei, der Hofladen und ein weitläufiger Gemüsegarten sind bloss einen Steinwurf entfernt. Jetzt eröffnet der rastlose Schaffer in der ehemaligen Kutscherwerkstatt ein vegetarisches Restaurant der Spitzenklasse. Ausserdem präsentiert er frisch ab Druckpresse seine eigene Lifestylezeitschrift «Caminada. Das Magazin».
Andreas Caminada, Sie zaubern eine Überraschung nach der anderen aus Ihrer Kochmütze. Als Sternekoch mit fünf Restaurants könnten Sies inzwischen doch ein wenig ruhiger angehen.
Das geht nicht. Ich bin ein Getriebener. Mein Ansatz ist seit je, zu machen, was die anderen nicht haben. Das «Oz», was Romanisch ist und auf Deutsch «heute» bedeutet, wollten wir schon letztes Jahr eröffnen, dann kam Corona dazwischen. Es ist eine Art edles Wohnzimmer mit zehn Plätzen an einem Tresen. Küchenchef Timo Fritsche wird direkt vor den Gästen auf höchstem Niveau zubereiten, was wir im Garten ernten. Zu Zeitschriften hatte ich immer schon eine grosse Affinität, die Gestaltung macht mir unheimlich Spass. Ich gab bereits früher ein Heft heraus, aber im Eigenvertrieb wars schwierig. In meinem Magazin findet sich alles, was mir Freude macht: Rezepte, meine Freunde aus der Spitzengastronomie, Design, Kunst und Kultur und natürlich Reisen.
Mit Verlaub, während Sie Ihre Teller und Schälchen mit der Pinzette verzieren, richten Sie im Magazin als Werbebotschafter mit der grossen Kelle an.
Kooperationen mit grossen Brands helfen mir, einem Koch aus der Provinz, bekannter zu werden und in neue Projekte zu investieren. Allein in Fürstenau beschäftigen wir 65 Mitarbeiter. Ohne finanzielle Reserven hätten wir die Pandemie nicht einigermassen gelassen überstanden. Und wir sparen für die Altersvorsorge, damit ich eines Tages kochen darf und nicht mehr muss.
Paul Bocuse sagte: «Ich koche heute nicht mehr, ich trinke Champagner und zähle mein Geld.»
Darum gehts mir nicht. Sicher arbeiten wir, um einen gewissen Lebensstandard zu erreichen. Wir leben aber nicht auf grossem Fuss. Meine Motivation ist, Schönes zu schaffen.
«Ich spare für unsere Altersvorsorge, damit ich eines Tages kochen darf und nicht mehr muss»
Andreas Caminada
Ihr Flaggschiff Schauenstein erinnert ein wenig an das Lustschloss eines Königs, zu dem glückliche Narren aus aller Welt pilgern.
Wie ein König fühle ich mich bestimmt nicht. Bei der ersten Besichtigung vor 18 Jahren habe ich mich auf Anhieb in diesen zauberhaften Ort verliebt. Diese Energie, diese Ruhe, die alten Gemäuer … Das Anwesen schlummerte vor sich hin wie Dornröschen, wir haben es wachgeküsst. Diese märchenhafte Ausstrahlung zu erreichen, hat mir alles abverlangt.
Wir würden gern verstehen, wie es ist, mit einer Nase wie der von Romanfigur Grenouille aus «Das Parfum» gesegnet zu sein. Wenn Sie spazieren gehen, riechen Sie Rosen schon von Weitem?
Das kommt vor. Das liegt am Training, nehme ich an. Als Koch ist man ständig von Produkten und Düften umgeben. Irgendwie erinnere ich mich dauernd an Gerüche, denen ich einmal begegnet bin. Als ich für mein Magazin in Madrid war, besuchten wir Dreisternekoch Dabiz Muñoz in seiner «StreetXO»-Bar, er servierte mir einen Cocktail mit einer Auster. Ich mag keine Austern. Der Drink war gewürzt mit Galgantwurzel und Kokosmilch, und ich fürchtete, er wäre zu süss, aber da war eine feine Säure und etwas Scharfes, wie Ingwer. Wow, raffiniert tropisch, einfach grossartig.
Welche Erinnerung flutete da Ihr Herz?
Tom Kha Gai.
Das ist nicht Ihr Ernst. Beim sexy Austern-Drink denken Sie an – Suppe?!
(Lacht.) Ein fantastisches Curry katapultiert mich auch in den Orient. Der Gaumen lässt einen reisen. Zitrone kann das auch, ein wenig Säure – und man schwebt in anderen Sphären.
Sie tolerieren keine Schlampigkeit. Weder bei sich noch bei anderen.
Ich bin ständig am Hinterherräumen, rücke Stühle zurecht, und ich will diese Detailversessenheit auch unseren Mitarbeitern mitgeben. Das wurde mir nicht angeboren, sondern kommt vom Druck, die Erwartungen der Gäste zu erfüllen. Ich bin der Sheriff, der permanent schimpft, «hier und hier gibts was zu züpfeln». Jemand muss das machen, und dieser Jemand bin ich. Aber Sarah, verantwortlich für unsere Finanzen, Verträge und die Uccelin-Stiftung, würde sagen, ich sei der grösste Schlamper. Weil ich manchmal Zeug nicht erledige, sondern hinausschiebe.
Womit besänftigen Sie Ihre Frau, wenn Sie sauer ist?
Sarah ist nie sauer. Wir haben oft Diskussionen, übers Time-Management unserer zwei Buben etwa.
Werden Sie manchmal wütend?
Sarah findet, ich würde den Mond spüren. Ich weiss nicht …
Bleibt für Sie als Paar bei der vielen Arbeit noch Zeit übrig?
Die müssen wir uns nehmen. Montag, Dienstag, wenn das Schloss zu ist, versuchen wir, keine Verpflichtungen einzubuchen. Da sind wir streng: «Warum machst du einen Termin, das ist unser Tag!» Letzte Woche assen wir in Vaduz bei Sternekoch Hubertus Real. Oder wir gehen wandern, mit Ferdinand spazieren, nächste Woche fahren wir in die Stadt.
Ferdinand – klingt lustig für einen Appenzellerhund.
Auf einer Autofahrt suchte die ganze Familie nach einem Namen für den Welpen. Bis der Kleine rief: «Federer!» Wir hatten ein wenig Bedenken. Jetzt heisst er Ferdi. Wie Ferdinand der Stier.
«Meine Detailversessenheit kommt vom Druck, die Erwartungen unserer Gäste zu erfüllen»
Andreas Caminada
Sind Sie als Vater mit den Jungs genauso streng wie mit sich selbst?
Ich möchte ihnen mit auf den Weg geben, dass man anpacken muss. Legosteine wachsen nicht auf den Bäumen. Aber sie sind auch «gschaffig», und ich muss sie bremsen. Ich kann sie in der Schlossküche nicht brauchen, die Köche müssen konzentriert arbeiten, aber ab und zu veranstalten die Buben dort ein Riesenchaos. Kürzlich fragte unser Chef de Service den Kleinen: «Wann kommst du mal zu mir?» Darauf fragte unser Fünfjähriger frühmorgens, bereits geduscht, total nervös: Er müsse jetzt zu Marco in den Service, was er anziehen soll. Ich: «Entspann dich, das ist erst am Abend.» Schliesslich zogen wir ihm ein schickes Jäckchen über, und er durfte den Gästen die Weinkarte reichen und einen angenehmen Abend wünschen. Nach einer Stunde war er fix und fertig, aber im siebten Himmel. Finn half derweil in der Küche. Wenn sie wirklich wollen, dürfen sie mitmachen.
Sarah stösst zum Gespräch, sie kommt ihren Mann abholen, um mit ihm zum nächsten Termin zu eilen. Sie schenkt uns fünf Minuten.
Sarah, wie ist es an der Seite eines Getriebenen?
Schlimm! (Lacht.) Ich sehe 20 Jahre älter aus. Nein, nein, es ist toll, aber auch irrsinnig anstrengend.
Wünschten Sie, Andreas wäre als Papa präsenter?
Eigentlich nicht, er macht viel für die Familie. Manchmal halte ich erschöpft inne, denke: «O mein Gott, muss das jetzt sein?» Aber er kennt das auch. Vielleicht ist es eine Altersfrage, wir sind jetzt beide 44, die Prioritäten verschieben sich, der brennende Ehrgeiz unserer Dreissiger verblasst ein wenig.
Andreas, spüren Sie die Müdigkeit auch?
Hm, wir kennen schon kleine Krisen, aber wenn der eine schwächelt, rügt ihn der andere: «Hey, jetzt musst du dich in den Hintern kneifen, gopferdori!»
Er sagt, Sie wären nie sauer, er müsse Sie nicht besänftigen.
Andreas: Das war ein Witz (lacht).
Sarah: Sarah packt einfach ihre Koffer. Unbegründet werde ich nicht einfach wütend.
Andreas: Jo hör mr doch uf!
Sarah: Ich bin recht unkompliziert und open-minded.
Andreas: (Verdreht die Augen.)
Sarah: Ich lasse ihm seinen Raum. Er braucht Zeit für sich. Aber ich verpasse ihm auch einen Einlauf, wenn ich finde, jetzt reichts.
Was habt ihr am anderen besonders gern?
Andreas: Sie ist einfach megatoll, sie hat dieses fantastische Lachen, ich liebe sie, auch wenn wir streiten. Ich stehe morgens auf und freue mich, dass sie da ist. Sarah ist eine Riesenhilfe, wir haben das hier gemeinsam auf ein anderes Level gebracht.
Sarah: Er ist ein cooler Typ. Wenn wir zusammen sind, neben all dem Stress, den Kindern und siebentausend Problemen, lachen wir immer noch miteinander. Ich muss Andreas nicht ändern. Er ist, wie er ist. Wir sind Partner in Crime.
Andreas: Genau. Sparringspartner.
Sarah: Wir ziehen am gleichen Strick. Wäre das nicht mehr der Fall, wäre dies das Ende.
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