Konzentriert balanciert Dabu Bucher (43) auf einem Brett, hält dabei drei Jonglierbälle in der Luft und murmelt vor sich hin: So lernt der Frontmann von Dabu Fantastic seine Songtexte auswendig. Dass er dies heute in der Küche seiner neuen Wohnung in Bern tut, ist fast ein bisschen sinnbildlich. Denn seit der Zürcher in die Hauptstadt gezogen ist, ist sein Leben so ausgeglichen wie schon lange nicht mehr.
Dabei ist es nicht so, dass er die Balance lange gesucht hätte, sagt Dabu. Im Gegenteil: «Ich mochte das unstete Leben, das Gefühl, ständig auf Wanderschaft zu sein.» Seine Zelte schlägt er mehr oder weniger im Tonstudio in Zürich auf. Musik, Job, Leben – die Übergänge sind fliessend. «Und das war so gut so», meint Dabu.
Schlaflose Nächte
2008 gründet der ausgebildete Sek-Lehrer die Band Dabu Fantastic zusammen mit Andreas «DJ Arts» Christen (39) und Hannes «Djohn» Quaderer (der die Band 2011 verlässt). 2012 gibts den ersten Swiss Music Award (SMA) als «Best Talent», dann gehts Schlag auf Schlag. Ab 2014 landet jedes Dabu-Fantastic-Album in den Top 5 der Schweizer Hitparade. 2016 folgt der Überhit «Angelina», der meistverkaufte Schweizer Song des Jahres, welcher der Band einen SMA in der Königsklasse «Best Hit» beschert. Der Song erreicht Platinstatus, das dazugehörige Album «Drinks» Gold. Die folgenden Alben «Schlaf us» und «So Easy» schaffen es auf Platz 2 respektive 5 der Charts. Dabu ist da, wo er immer sein wollte: oben auf der musikalischen Erfolgswelle.
Und dann das. Ob der 40. Geburtstag der Auslöser für die Krise ist, kann Dabu nicht sagen. Es spielt auch nicht so eine Rolle. Statt von einer «Midlife-Crisis» spricht er von einer «Midnight-Crisis» – ein Begriff, den Polo Hofer (†72) schon benutzt hat. Dabu: «Das prägende Merkmal ist, dass du regelmässig um Mitternacht aufwachst und alles hinterfragst. Deinen Alltag, deinen Job, deine Beziehungen, dein ganzes Leben.»
Irgendwann ist klar: «Ich will – ich muss – etwas ändern. Ich weiss nur nicht, was.» Vergangenen Winter gibt Dabu seine Wohnung in Zürich auf und geht für ein halbes Jahr in die Bündner Berge zum Skifahren (seine Passion), Songsschreiben – und Nachdenken. Er führt lange, intensive Gespräche mit seiner langjährigen Partnerin, an dessen Ende die Trennung nach zwölf Jahren Beziehung steht. «Schmerzhaft, aber unausweichlich.» Den Trennungsschmerz verarbeitet er in Songs wie «Die Letschte Drü Minute», dem letzten auf dem neuen Album «Ciao Baby, Ciao».
Und dann verliebt sich Dabu neu – und unerwartet heftig. Nein, die Dame heisst nicht Aline, wie der aktuelle Dabu-Fantastic-Song, der gerade im Radio rauf- und runtergespielt wird. Er hat aber trotzdem mit ihr zu tun: Dabu leitet den Vornamen nämlich vom englischen Term «All in» ab, dem Ausdruck dafür, sich etwas oder jemandem ganz und gar zu verschreiben.
«All in» beschliesst Dabu am Ende seiner Auszeit in den Bergen und zieht dahin, wo die Frau, die ihm so viel Herzklopfen beschert, herkommt: nach Bern. Dass er mit diesem Entscheid manche Leute vor den Kopf stösst – für seine Band kommt er vollkommen aus dem Blauen heraus –, merkt Dabu erst später. «Ausser mit meiner damaligen Partnerin habe ich mit niemandem über meine Krise gesprochen. Das bereue ich im Nachhinein. Aber es ist extrem schwierig, etwas in Worte zu fassen, wenn mans selbst nicht richtig versteht.»
Neue Qualität für die Freundschaft
Die Band, allen voran DJ Arts, nehmens ihm nicht lange übel. Auch wenn sich alle erst an die neue Situation gewöhnen müssen. «Früher bin ich einfach bei Dabu im Studio reingeschneit, wenn ich was besprechen wollte. Er war eh immer da. Jetzt müssen wir uns absprechen, wenn wir einander sehen wollen.» Das verleiht ihrer Freundschaft aber auch wieder neue Qualität: «Wir freuen uns drauf, einander zu sehen. Ich denke, der Abstand tut uns privat und beruflich gar nicht so schlecht.»
Einzig den Tourbus vermisst Dabu: «Wir fahren immer alle gemeinsam zu Auftritten und von da nach Hause. Auf dem Rückweg wird dann auch mal das eine oder andere Bier gekippt und über Gott und die Welt gequatscht. Da bin ich nun nicht mehr dabei, da ich nach Bern fahre und die anderen nach Zürich.»
«Lustigerweise werde ich in Bern viel öfter angesprochen als in Zürich»
Bern habe ihn sehr herzlich empfangen, erzählt Dabu, der Zürcher Oberländer, der 15 Jahre lang in der Stadt Zürich gewohnt hat. «Hier ticken die Uhren wirklich etwas langsamer als in Zürich. Das ist kein Klischee und durchaus positiv. Ich liebe es, durch die Stadt zu flanieren, mich einfach treiben zu lassen. Und ich werde so oft eingeladen, weil mir alle alles zeigen wollen.» Noch etwas ist anders: «Lustigerweise werde ich hier sehr viel öfter angesprochen als in Zürich. Ich mag das.» Im Gegensatz zu angestarrt zu werden. «Wer mich um ein Selfie oder um einen kurzen Schwatz bittet, zeigt mir damit, dass er oder sie meine Arbeit schätzt. Das ist doch toll, dafür lebt man ja ein bisschen als Musiker.»
So liebt er den jeweiligen Moment, wenn das ganze Publikum bei einem Konzert «Angelina» mitsingt – «auch wenn ich den Song schon so oft gesungen habe, dass er mir manchmal zu den Ohren rauskommt. Aber ich verstehe Künstlerinnen und Künstler nicht, die auf der Bühne ihre grössten Hits nicht singen wollen. Das sind wir unserem Publikum schuldig. ‹Angelina› ist ein Geschenk, nicht nur für die Fans, sondern auch für mich.»
Auch «Aline» hat Ohrwurm-Potenzial und wird wohl an manchem Open Air diesen Sommer (unter anderen St. Gallen und Gurten) mitgesungen werden. Und Dabu? Der hätte wohl vor zwei Jahren nicht damit gerechnet, dass «All in» in einer neuen Stadt das Leben nach seiner «Mitternachtskrise» sein würde. Dass Raum für sich selbst und Raum für die Liebe Raum für Musik, Kreativität und Erfolg nicht ausschliessen. Dass man sich auch nach 15 Jahren im Musikbusiness noch einmal neu erfinden kann, ohne dass dabei alles Altbewährte auf der Strecke bleibt. Dass man auch mit 43 noch mal in ganz neue Rollen schlüpfen kann – zum Beispiel in die des Partners der Mama für die beiden Kinder seiner neuen Liebsten.
Dabu verstaut Brett und Jonglierbälle. Der Balanceakt ist vorbei. Der Text sitzt. «Jahrelang gliicht sich das, wod erläbsch. Dänn ändret sich alles usem Nüüt. Aline, Aline. Weiss nöd, vo wo dass du cho bisch, nur wohii dass es gaht mit eus.»