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Beach-Duo Heidrich/Vergé-Dépré doch noch auf dem Olymp

«Zwischendurch sah es sehr bitter aus für uns»

Das Beachvolleyball-Duo hat die letzte der 13 Schweizer Medaillen in Tokio gewonnen: Joana Heidrich und Anouk Vergé-Dépré, beide 29, über Gefühlsausbrüche auf dem Feld und ihre Vorbildfunktion für junge Frauen.

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Joana Heidrich und Anouk Verge-Depre, Team Schweiz, Beachvolleyball, SI 32/2021

Die Zürcherin Joana Heidrich (l.) und die Bernerin Anouk Vergé-Dépré ticken ähnlich – das ist auf dem Feld nicht nur einfach.

Remo Buess

Ein bisschen Schweben – und ein bisschen Matsch. Ungefähr so könnte der Gefühlszustand von Anouk Vergé-Dépré und Joana Heidrich in dieser Woche nach den Olympischen Spielen beschrieben werden. Wie Matsch fühle sich das Hirn momentan an. «Ich bin einfach nur platt», sagt Vergé-Dépré. Und Heidrich: «Ich bin gerade ganz schlecht darin, den Alltag zu gestalten.» Und das Schweben, klar: Noch immer können sie es kaum fassen, dass sie eine Olympiamedaille mit nach Hause gebracht haben. 

Ein Cordon bleu als Belohnung

Die Medaille ist nicht einfach das Resultat eines dreiwöchigen Turniers, sondern einer fünfjährigen gemeinsamen Reise. Und so wollen die beiden diese Wellen der Emotionen zulassen. Aber auch geniessen: Sie stehen im Moment ganz oben und haben etwas Grosses geschafft. Sie wollen dies mit ihren Liebsten teilen, die in Tokio nicht dabei sein durften. Und – ein Cordon bleu geniessen! 

Das hat Joana Heidrich am Tag nach der Rückkehr gemacht, im Restaurant des Vaters ihres Freundes, Eishockeyspieler Stefan Mäder. Das Essen in Japan sei gut gewesen, sagt die 1,90 Meter grosse Zürcherin lachend, aber nach drei Wochen habe man auch mal wieder Lust auf anderes. 

Anouk Vergé-Dépré und Joana Heidrich

Riesiger Jubel: Zum ersten Mal hat ein Schweizer Beachvolleyball-Frauenteam eine Olympiamedaille gewonnen.

Kyodo News via Getty Images

Drei Turniere stehen noch aus, bevor die Saison und damit dieser spezielle olympische Zyklus Mitte September zu Ende gehen. Vor fünf Jahren haben die beiden zueinandergefunden, nachdem ihre jeweiligen Partnerinnen ihre Karrieren nach den Olympischen Spielen in Rio beendet hatten. Der Start gelang optimal, doch bis zu Olympiabronze war es dann doch ein langer Prozess: Beide spielten ursprünglich dieselbe Position, und die 1,85 Meter grosse Vergé-Dépré musste sich von der Block- zur Defensivspielerin umschulen lassen. Die automatisierten Bewegungsabläufe waren plötzlich nicht mehr gefragt. 

Bandscheibenvorfall und Hirnerschütterungen

In der Saison 2018 erleidet Heidrich einen Bandscheibenvorfall, der aber nicht sofort als solcher diagnostiziert wird. Mitten im Sommer muss sie den Rücken operieren lassen, was eine mehrmonatige Wettkampfpause nach sich zieht. Vergé-Dépré spielt die EM kurzfristig mit ihrer jüngeren Schwester Zoé, während Heidrich Zeit braucht, um sich zu erholen und sich langsam wieder an die Spitze heranzutasten. Auch die Bernerin Vergé-Dépré bleibt nicht von Verletzungen verschont, erleidet zweimal eine Hirnerschütterung. Und in diesem Frühling nun, mitten in der Olympia-Vorbereitung, erwischt Heidrich auch noch das Coronavirus.

«Nun ist der Erfolg da, aber es sah zwischendurch auch sehr bitter aus für uns», sagt Vergé-Dépré. «Es war superhart. Die Menschen, die alles mit uns durchmachten und an uns glaubten – das nehme ich am meisten mit aus dieser Zeit.» 

Joana Heidrich und Anouk Verge-Depre, Team Schweiz, Beachvolleyball, SI 32/2021

Joana Heidrich freut sich, den Erfolg zuhause nun mit der ganzen Familie zu teilen.

Remo Buess

Heidrich betont, dass sie beide bei allen Rückschlägen jeweils schnell nach vorne geschaut hätten. Sie standen stets wieder auf und kämpften weiter. «Wir mussten uns immer aus Tiefs hinausarbeiten. Das ist das, was uns schlussendlich extrem stark zusammengeschweisst hat.»

«Wir werden immer aneinanderecken, das gehört dazu»

Die Herausforderungen sind aber nicht nur gesundheitlicher Natur. Mit den beiden 29-Jährigen prallen zwei sehr ähnliche Charaktere aufeinander: Sie agieren vor allem auf dem Platz extrem emotional und sehr direkt.

Es brauchte intensive Arbeit mit der Mentaltrainerin und eine Auseinandersetzung mit sich selbst, um all dies in die richtigen Bahnen zu lenken. «So können wir die Emotionen, die uns pushen, mit reinnehmen. Aber auch mit den Macken umgehen», erklärte Heidrich nach dem EM-Titel 2020. Sie lernten, offen darüber zu reden, was sie belastet. So haben sie mehr Verständnis füreinander. «Wir werden immer aneinanderecken, das gehört bei uns dazu.» Mittlerweile sind die Sportlerinnen stolz darauf, wie gut sie sich aufeinander eingestellt haben und wie weit sie gekommen sind. 

Joana Heidrich und Anouk Verge-Depre, Team Schweiz, Beachvolleyball, SI 32/2021

Bereits ihr Vater war Profi-Volleyballer und -Trainer: Anouk Vergé-Dépré.

Remo Buess

Die zur Schau getragenen Gefühlsausbrüche sorgten in Tokio für einen Shitstorm gegen Heidrich wegen der lauten Jubelschreie, als sie die Brasilianerinnen im Viertelfinal bezwangen. «Brasilien war einfach extrem verletzt, dass niemand im Halbfinal war, weil dieser Sport dort einen so hohen Stellenwert hat», schätzt Heidrich. Die Gegnerinnen hätten damit kein Problem gehabt, sie hätten sich nach dem Spiel umarmt und gelacht. Ihr Verhalten sei während des Matchs nichts Aussergewöhnliches gewesen.

Dennoch erschrak sie ob der Anfeindungen. Die fürs Beachvolleyball ungewöhnlich hohe Aufmerksamkeit, gepaart mit leeren Zuschauerrängen, begünstigte dies. Fortan kümmerte sich eine Kollegin um ihren Account. So konnte sich Heidrich wieder auf die wichtigen Medaillenspiele fokussieren. Auch Vergé-Dépré bekräftigte ihre Partnerin dabei, dass sie bei ihrem Spiel bleiben solle. 

Joana Heidrich und Anouk Verge-Depre, Team Schweiz, Beachvolleyball, Bronze Olympische Spiele Tokio 2020, SI 32/2021

Die Erlösung: Heidrich (l.) und Vergé-Dépré gewinnen in Tokio das Spiel um Bronze. Die einzige Schweizer Beach-Medaille gabs bisher 2004 in Athen.

AFP

In einer solchen Situation konzentriert und cool zu bleiben – das zeigt, welch ideales Team die beiden um sich herum aufgebaut haben, vom Coach bis zur Mentaltrainerin. Da scheint alles zusammenzupassen. Beide haben sich kurz nach der Volljährigkeit vom Hallen-Volleyball verabschiedet und auf die Karte Beachvolleyball gesetzt. Und sind nun das erste Frauenteam, das eine olympische Medaille holt.

Eine tolle Message an junge Sportlerinnen

Wie ein Extra obendrauf sei diese historische Komponente, sagt Heidrich. Und dass von dreizehn Schweizer Medaillen zehn von Frauen gewonnen wurden, freut Vergé-Dépré: «Das inspiriert sicher andere junge Frauen, an sich zu glauben und sich für etwas einzusetzen. Auch nach Rückschlägen aufstehen und weitermachen – das als Message an Junge weitergeben zu können, ist cool.» 

Von Eva Breitenstein am 15. August 2021 - 15:22 Uhr