Wenn Karl’s kühne Gassenschau auf der Bühne spektakelt, dann funkts und stiebts, es spritzt und sprutzt, dröhnt und donnert – und irgendwann bietet das Variété-Theater als Höhepunkt einen ordentlichen Krawumm. Seit fast 40 Jahren stehen Brigitt Maag, 61, und Paul Weilenmann, 63, mit ihrem Ensemble für Poesie und Rambazamba. Die beiden sind die letzten des vierköpfigen Gründungsteams der Theatertruppe. Ernesto Graf, 72, wirkt nur noch als Botschafter im Hintergrund, der legendäre Tüftler Markus Heller verstarb 2019 nach schwerer Krankheit. Maag und Weilenmann sind nach wie vor Garanten dafür, dass es bei der Neuauflage des Klassikers «Silo 8» auf dem Gelände der ehemaligen Zementfabrik in Olten ordentlich dröhnt. Wer feine Ohren hat, hört hin und wieder ein Stöhnen, weil bei ihr die Hüfte knackt – und bei ihm das Knie knirscht. «Wir merken, dass wir 16 Jahre mehr auf dem Buckel haben als 2006, als wir mit ‹Silo 8› Premiere feierten», sagt Paul Weilenmann nachdenklich. Eine halbe Million Zuschauer sahen die Geschichte um das irrwitzige Altersheim der Zukunft. Und heute? 57 Vorstellungen sind bis August geplant. «In unserem Alter müssen wir sorgfältiger arbeiten, mehr aufpassen. Es gibt Sachen, die sehen nicht nur spektakulär aus, sie fordern uns inzwischen viel stärker.»
Dass sie nicht mehr an ihre körperlichen Grenzen gehen können oder wollen, macht Brigitt Maag an ihrer Rolle deutlich. «Ich imitiere einen speziellen Gang, bei dem ich in der Hüfte stark einknicke», erzählt sie. Vor anderthalb Jahrzehnten habe sie sich noch gedacht: Sollte ich deswegen später ein künstliches Hüftgelenk benötigen, dann ist mir das der Spass wert. «So denke ich heute keinesfalls mehr!» Inzwischen überlegt sich die Schauspielerin sogar, «ob ich mich für diesen speziellen Gang nicht besser auf einem Rollator abstütze, damit ich meine bereits schmerzende Hüfte nicht allzu stark beanspruchen muss». Das Alter sei einfach spürbar näher gerückt und damit gewisse Wehwehchen und Zipperlein. Doch auch wenn beide darüber lachen und scherzen, ein wenig Ernst schwingt bei beiden mit.
Sie wollen Platz machen für neue Kräfte. In den nächsten zwei Jahren findet laut Weilenmann eine Übergabe statt bei Karl’s kühner Gassenschau. Der Zürcher wird kommendes Jahr pensioniert. Für Maag, Wahl-Aargauerin und mit 61 Jahren die Jüngste im Bunde, ist klar, dass sie nicht allein weitermacht. «So wie wir schaffen: Erfinden, inszenieren, schauspielern, finanzieren und die Verantwortung tragen – das alles zusammen finde ich belastender, je älter ich werde», sagt Paul. Brigitt ergänzt: «Verantwortung abgeben zu können, tut uns gut.» Immerhin ist das Gassenschau-Team auf heute 120 Mitarbeiter angewachsen.
Auch wenn die Verantwortung Last bedeutet, das Spielen auf der Bühne ist und bleibt für beide Lust. «Tief in mir drin steckt die Leidenschaft fürs Theater», sagt Brigitt mit leuchtenden Augen. Auch Paul ist überzeugt, dass es ihn jung hält, mit jüngeren Kollegen auf der Bühne zu spielen. Noch einmal in «Silo 8» alles zu geben, sehen sie auch als Ehrerbietung für ihren verstorbenen Kollegen Markus. Brigitt erinnert sich gut, wie er sich damals fürchterlich aufgeregt hatte, weil sie die Rolle der alten Frau mit braunen Haaren spielte. «Jetzt schaut er sicher von oben zufrieden auf mein graues Haupt herab», sagt sie und lacht.
Fragt man Paul, wie alt er gern für immer wäre, muss er nicht lange überlegen: «40! Da fühlte ich mich körperlich recht gut. Aber wenn ich so mein Leben betrachte, dann war es mit 50 besser.» Und Brigitt? Sie wäre mental ebenfalls gern 50, körperlich dagegen 25. Obwohl sie sich in jungen Jahren oft als «wahnsinnig hässlich» empfunden habe. Heute hingegen fühlt sie sich schön, was viel mit ihrer inneren Zufriedenheit zu tun hat. «Hätte ich diese Gelassenheit doch nur schon viel früher gehabt, es hätte mir viel Stress erspart», ist Brigitt überzeugt. Genau das sei das Schöne am Älterwerden: dass man mit zunehmender Lebenserfahrung stetig entspannter werde. «Inneren Frieden finden und dabei nicht zu streng sein mit sich selbst», bringt es Paul auf den Punkt.
Dass es Karl’s kühne Gassenschau fast 40 Jahre gibt, erfüllt Maag und Weilenmann mit Freude, auch Stolz. «Anfangs hatte ich persönlich oft das Gefühl, dass wir nur Glück hatten», erinnert sich Paul, der bei «Silo 8» Regie führt. Mehr als einmal ertappte er sich beim Gedanken, in seinen Beruf als Primarlehrer zurückgehen zu wollen. «Aber dann kam die Phase, in der ich mir sagte: Nein, wir haben uns all das hart erarbeitet.» Oft hätten sie von anderen zu hören bekommen: Das könnt ihr doch nicht machen! «Aber der Erfolg hat uns letztlich recht gegeben.»
Im Laufe der Zeit wurde den Gassenschau-Gründern bewusst, dass sie ihren ganz eigenen Stil kreiert haben. «Den nun an die nächste Generation weiterzugeben, ist toll. Das neue Stück nach ‹Silo 8› kreieren wir gemeinsam mit den Jungen.» Dem pflichtet Brigitt bei. «Wir haben das zusammen geschaffen.» Sie spielt vor allem auf die Gemeinschaft der Gassenschau-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter an. Die campieren während der Saison alle gemeinsam auf dem Gelände in Olten, schlafen und arbeiten dort, lachen und lernen, leben und lieben. «Das ist unser Zuhause!» Altersheim hin oder her.