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Zukunftsforscher Matthias Horx

«KI wird uns wieder auf unsere Menschlichkeit zurückführen»

Krisen, Klimawandel, künstliche Intelligenz: Die Welt erscheint so ungewiss wie lange nicht mehr. Die Zukunftsforscher Matthias Horx und Oona Horx Strathern zeigen Szenarien für 2025 und ­danach. Ein Besuch in ihrem Zukunftshaus in Wien.

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Matthias Horx in seinem Büro. Futuristisch sind vor allem die Vorhänge. «Technische Gadgets testen wir, wohnen tun wir aber analog.

Matthias Horx in seinem Büro. Futuristisch sind vor allem die Vorhänge. «Technische Gadgets testen wir, wohnen tun wir aber analog.

Regina Hügli

Wie wohnt jemand, der sich jeden Tag mit der Zukunft beschäftigt? Absolut idyllisch. Am Stadtrand von Wien, wo die Vögel zwitschern und der Wald nur einen Fussmarsch entfernt ist, steht das «Future Evolution House». Hier leben Matthias Horx (69) und Oona Horx Strathern (61). Er ist einer der einflussreichsten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Sie renommierte Beraterin, die sich mit dem Wohnen der Zukunft befasst.

«Falls Sie ein ufoartiges Gebilde erwartet haben, müssen wir Sie enttäuschen», sagt Matthias Horx schmunzelnd, als er uns im oberen von zwei viereckigen Gebäuden mit Flachdach und bodentiefen Fenstern empfängt. Oben arbeiten die beiden, unten wohnen sie. Dazwischen liegt der Garten.

Seit 2010 leben Matthias Horx und Oona Horx Strathern im «Future Evolution House» bei Wien. Sie haben es selber entworfen.

Seit 2010 leben Matthias Horx und Oona Horx Strathern im «Future Evolution House» bei Wien. Sie haben es selber entworfen.

Regina Hügli

«Unser Haus ist ‹socially smart›», sagt Oona Horx Strathern in ihrem Büro, das mit seinem eklektischen Mix aus Teppich, Kunst und einem Sofa in Erdfarben mehr an ein Wohnzimmer erinnert. Klar war für beide, dass sie mit der Natur in Verbindung sein wollten. «Ziel war, eine Superbalance zu schaffen», erklärt Matthias Horx, der in Frankfurt am Main in Deutschland aufgewachsen ist. Wenn er am Schreibtisch eine Pause brauche, gehe er in den Garten.

Wichtiger als Technik sei ihnen das Zusammenleben, bei dem jeder genug Raum hat. Dafür teilten sie das zweite Gebäude in die drei modularen Bereiche «Hub» (Wohnküche), «Love» (Elternschlafzimmer) und «Kin» (Kinder). Tristan (31) ist ebenfalls Zukunftsforscher, Julian (27) entwirft als Grafikdesigner Illustrationen für die Bücher, die die Familie publiziert.

Sprechen Sie als Familie am Esstisch nur über die Zukunft?

Matthias Horx: Das tun wir ja sowieso alle. Ohne es zu merken. Wenn man über seine Träume spricht, den nächsten Urlaub oder über Ängste. Das alles sind Zukunftsbilder.

Sind Sie sich stets einig?

MH: Das wäre super langweilig.
Oona Horx Strahtern: Wir haben eine weibliche und eine männliche Sicht.
MH: Wobei ich auch häufig weibliche Ansichten habe (lacht). Hinzu kommt bei uns ja noch die jüngere Generation. Tristan und ich machen gemeinsam einen Zukunfts-Podcast, in dem wir versuchen, uns zu streiten.
OH: Richtig gelingen tut euch das häufig nicht. Reizend.

Waren Sie schon als Kind fasziniert von der Zukunft?

MH: Als technikbegeistertes Kind der 60er beschäftigte mich die Mondlandung. Ich wollte immer wissen, welche Geheimnisse die Zukunft birgt.

«Besonders gut voraus­sagen kann man die Zukunft einer Ehe»

Matthias Horx

Wie kann man die Zukunft eigentlich voraussagen?

OH: Um Zukunftsszenarien aufzustellen, beobachte ich in erster Linie die Gegenwart und leite daraus ab, wohin die Entwicklung gehen könnte. Im Bereich des Wohnens ist die Einsamkeit aktuell ein grosses Thema. Da interessiert mich, welche Wohnformen dem künftig entgegenwirken könnten – etwa Clusterwohnungen, wo Grossküche und Wohnzimmer allen gehören.
MH: Die Zukunft ist so komplex, dass wir sie nur aus unterschiedlichen Perspektiven erfassen können. Wir arbeiten mit einem Mix aus Statistik, Systemtheorie, Psychologie und Sozioökonomie. Das Ergebnis steht der Philosophie oft sehr nahe.

Die Zukunft ist also keine exakte Wissenschaft?

MH: Könnten wir eine exakte Zukunft voraussagen, wären wir Propheten. Das überlassen wir lieber der Dame mit der Kristallkugel. Aber trotzdem: Erstaunlich viele Prozesse oder Phänomene sind prognostizierbar, gerade diejenigen, von denen man es nicht erwartet.

Zum Beispiel?

MH: Die Zukunft einer Ehe. Dafür gibt es einen wunderbaren Test, der mit 90 Prozent Sicherheit voraussagt, ob ein Paar in fünf Jahren noch zusammen sein wird. Aber keinen interessierts.

Warum?

MH: Zukünfte, die unsere Erwartungen enttäuschen und uns gar zur Veränderung zwingen, will niemand kennen!

«Wir sind ein emanzipiertes Paar», sagt Matthias Horx im Büro seiner Frau Oona Horx Strathern. Sein Reich ist im unteren Stockwerk.

«Wir sind ein emanzipiertes Paar», sagt Matthias Horx im Büro seiner Frau Oona Horx Strathern. Sein Reich ist im unteren Stockwerk.

Regina Hügli

In der Wohnküche des Hauses serviert Oona Horx Tee in hippen zweifarbigen Tontassen. Statt eines Esstischs gibt es eine lange Bar aus altem Holz. «Am erhöhten Sitzbereich ist man lockerer», erklärt sie. Das Paar lernte sich vor über 30 Jahren kennen. Oona Horx arbeitete als Journalistin beim «Observer» in London, er beim deutschen Monatsmagazin «Tempo». «Matthias recherchierte für eine Reportage über Kornkreise in Grossbritannien. Die brachten uns zusammen», erzählt sie schmunzelnd.

Wien haben die «überzeugten Europäer» aufgrund der Lebensqualität als Wohnsitz ausgesucht. Beruflich sind sie oft in der Schweiz. Etwa in Zürich, wo sie kürzlich das Hunziker Areal besuchten – ein wegweisendes Siedlungsprojekt, bei dem neue Wohnformen ausprobiert werden.

Werden wir künftig komplett anders wohnen als heute?

OH: Nein. Das hängt aber auch mit der Langlebigkeit von Gebäuden zusammen. Was sich jedoch bereits während der Pandemie abgezeichnet hat, ist die Wiederentdeckung des Zuhauses. Und diese hat Auswirkungen.

Welche?

OH: Weil die Leute in der Pandemie viel mehr gekocht haben, wurde die Küche wichtiger. Das bleibt. Ich nenne das «conscious kitchen». Die Menschen sind sich nicht nur bewusster, was sie kochen, sondern auch, was sie wegwerfen.

Oona Horx Strathern in ihrem Bad. «Das Bad der Zukunft ist wie ein zweites Wohnzimmer.» Da passt auch eine Liege rein.

Oona Horx Strathern in ihrem Bad. «Das Bad der Zukunft ist wie ein zweites Wohnzimmer.» Da passt auch eine Liege rein.

Regina Hügli

Was ist mit der Technik?

MH: Wir arbeiten mit Tech- und Designfirmen, da sind sprechende Kühlschränke immer wieder ein Thema. Es gab auch eine Phase, in der alle sagten, das Bad müsse ferngesteuert sein. Der Spiegel solle am Morgen sagen, wie man aussehe und welche Vitamine man einnehmen müsse. Das nennen wir «future bullshit» – Schwachsinn.

Wie sieht denn das Bad der Zukunft tatsächlich aus?

OH: Wie ein zweites Wohnzimmer. Schon heute stehen vermehrt Pflanzen im Badezimmer. Statt Plattenböden gibts mehr Holz, farbige Wände und Tapeten. Und Tageslicht. Die Leute wollen grössere Bäder und kleinere Schlafzimmer.

Und was passiert mit dem Homeoffice? Viele Firmen verlangen wieder mehr Präsenz.

OH: Eine vollständige Rückkehr sehe ich nicht. Was ich aber bei der Zusammenarbeit mit Interior Designern feststelle: Viele Firmen gestalten die Büros wohnlicher. Irgendwie müssen sie die Leute wieder zurücklocken.

Der Blick vom Büro­gebäude aufs modular designte Wohnhaus mit Solarpanels. Im Teich kann man im Sommer schwimmen.

Der Blick vom Bürogebäude aufs modular designte Wohnhaus mit Solarpanels. Im Teich kann man im Sommer schwimmen.

Regina Hügli

Oona Horx Strathern verabschiedet sich in ihr Büro, Matthias Horx erklärt derweil die ökologischen Merkmale ihres Hauses. Mit Photovoltaik an der Fassade und auf dem Dach produziert die Familie 60 Prozent ihrer Energie selbst – Ziel sind 100. In Horx’ Garage steht ein Tesla mit 200000 Kilometern auf dem Tacho. «Versuchen Sie heute einem Mann auszureden, dass ein Auto Krach machen und hinten was rauskommen muss.» Er sei aber überzeugt, dass künftig der Absatz von Elektroautos massiv ansteigen werde. «Mit noch besserer Technik werden die Autos für alle attraktiv.»

Apropos Ökologie: Wie geht es mit dem Klima weiter?

Ich gehe davon aus, dass in fünf Jahren der Höhepunkt des CO2-Ausstosses erreicht ist. Es kommt darauf an, was China – der grösste Emittent von CO2 – macht. Aber wenn man mit dem Flugzeug über das Land fliegt und sieht, wie viel Wüste dort mit Solarpanels zugebaut wurde, bin ich zuversichtlich.

Und was ist mit der Erderwärmung?

Es wird wärmer – und wir werden uns daran gewöhnen. Mehr als 2,5 Grad wärmer wird es aber nicht.

Matthias Horx veröffentlichte mehr als 20 Bücher, gründete mehrere Zukunftsunternehmen wie jüngst das «Future Project».

Matthias Horx veröffentlichte mehr als 20 Bücher, gründete mehrere Zukunftsunternehmen wie jüngst das «Future Project».

Regina Hügli

In der Schweiz, aber auch in Deutschland und Österreich sind die Grünen im Tief. Wird das so bleiben?

Wir erleben gerade, wie die grünen Inhalte – etwa die Frage, wie wir mit unserer Wirtschaft und dem Planeten umgehen – bösartig denunziert werden. Doch jeder Trend erlebt einen Gegentrend. In Umfragen sehen wir, dass die Erwärmung immer noch oben auf dem Sorgenbarometer steht, inzwischen sogar in Afrika. Deshalb rechne ich in den nächsten Jahren mit einer Renaissance – egal, wie die Partei dann heisst. In der Schweiz gibt es ja die Grünen und die Grünliberalen.

Die Motoren der EU – Deutschland und Frankreich – stecken in einer Staatskrise. Was bedeutet das für die Zukunft Europas?

Eine Krise ist ja immer ein Hinweis darauf, dass ein System, wie es sich etabliert hat, nicht mehr funktioniert. Europa wird sich neu erfinden müssen. Ansonsten wird es zerfallen.

Das klingt hart.

Die Erfahrungen der Geschichte zeigen: In dem Moment, in dem man muss, kann man sich auch verändern. Die nächsten 10, 20 Jahre werden wir in einem Chaos-Zeitalter leben, in dem sich alles neu formt und ordnet. Das System der Demokratie, wie es sich entwickelt hat nach dem Zweiten Weltkrieg als parlamentarische, repräsentative Demokratie, ist an einem Ende angelangt. Es werden sich neue Bewegungen und Parteien formen.

Während Europa schwächelt, will Donald Trump Amerika gross machen. 2023 sagten Sie, er werde 2024 wahrscheinlich scheitern.

Ich glaube immer noch, dass er scheitert. Nur auf einer anderen Ebene. Er zerstört die amerikanische Gesellschaft von innen her. Auch die USA werden sich neu erfinden müssen.

Trump gilt als Anführer des Populismus. Hat dieses Phänomen auch weltweit Bestand?

Ja. Auch weil die Medien alle Erregungen und Aufregungen unentwegt verstärken. Dadurch gewinnen die extremen Formen auf Dauer. Was die Menschen zusammenhält, ist Vertrauen. Doch eine Gesellschaft, in der sich Menschen gegenseitig verdächtigen, wirft dieses System über den Haufen. Durch diese Turbulenzen müssen wir durch.

Im Büro von Matthias Horx stehen drei filigrane Tischchen, die aussehen wie verästelte Bäume. «Die sind aus dem 3D-Drucker und aus Nylon.» Technische Gadgets nutzen die Horx so selektiv wie die künstliche Intelligenz.

Wird die KI uns ersetzen?

Nein, wo es um emotionale und komplexe Dinge geht, bleibt der Mensch unabdingbar. Die Euphorie um KI ist extrem ökonomisch gesteuert. Man sagt den Firmen: Wenn ihr KI nutzt, könnt ihr Leute einsparen, alles wird viel produktiver. Das ist oft ein Trugschluss. Meistens ist der Aufwand grösser, das, was die KI macht, zu verbessern und zu gewichten, als wenn man es durch eingespielte Teams machen lässt.

Die KI kann Menschen doch auch das Leben erleichtern?

Ja, dort, wo sie im Stillen arbeitet – etwa Krebsmedikamente entwickelt oder den Energiefluss von Millionen von Strompanels koordiniert. Grundsätzlich glaube ich, dass die KI uns wieder auf unsere Menschlichkeit zurückführen wird. Weil wir lernen, mit dieser neuen Technologie umzugehen. Das zeigt sich auch bei den elektronischen Medien. Irland etwa führt ein Mindestalter für Smartphones ein, auch andere Staaten ziehen nach. Bei sozialen Medien stehen wir am Anfang einer Ausstiegsbewegung, die Teilnehmerzahlen sinken bereits.

Freuen Sie sich auf die Zukunft?

Wenn ich zu viel Zeitung lese oder ins Internet schaue, vergeht mir schon die Zuversicht. Aber es ist ja eine Erfahrung des menschlichen Selbst, dass man sich dann wieder – wie heisst das auf Schweizerdeutsch? – berappelt.

Aufrappelt?

Ja genau, aufrappelt. Allgemein ist es besser, nicht zu viel zu erwarten und stattdessen offen und neugierig zu bleiben. Was auch hilft: Humor.

Jessica Pfister
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Von Jessica Pfister am 4. Januar 2025 - 18:00 Uhr