Auf Hof Inselmatt im Berner Seeland ist es idyllisch. Von den Bauernprotesten ist nichts zu spüren. Eine Katze tapselt an den fünf Ochsen vorbei, die neugierig ihre Köpfe zwischen den Zaunlatten rausschieben. Kilian Baumann, 43, hat sie eben gefüttert, bevor er sich am Mittag auf nach Bern zur Session macht.
Bauern jammern ja gern, Kilian Baumann. Muss man ihre Proteste überhaupt ernst nehmen?
Es gibt schon Gründe für die Proteste. Besonders in den europäischen Ländern wie Holland, Frankreich oder Deutschland. Der hohe Preisdruck, mehr Bürokratie und immer neue Forderungen von Politik und Gesellschaft. In der EU ist der Druck noch grösser als in der Schweiz.
Also eifern die Schweizer Bauern einfach denen im Ausland nach?
Man schützt und stützt die Landwirtschaft hier wesentlich besser, etwa mit mehr Direktzahlungen und einem Zollschutz. Aber wir haben auch Schwierigkeiten – etwa ein starkes Hofsterben. Täglich gibt ein Bauer auf. In den letzten 40 Jahren hat sich die Anzahl Bauernbetriebe auf knapp 50 000 mehr als halbiert. Für eine vielfältige, krisenresistente Landwirtschaft zählt jeder Hof. Aber in der Politik heisst es immer nur: Wachse oder weiche.
Ist die Lage tatsächlich so schlecht? 2015 blieben Bauern und Bäuerinnen knapp 45'000 Franken pro Jahr übrig. 2021 waren es 60'000 Franken.
Es gibt eine grosse Bandbreite beim landwirtschaftlichen Einkommen. Der Bund hat in einem Bericht festgestellt, dass viele Bauern verhältnismässig viel in teure Stallbauten und grosse Traktoren investieren. Sie werden von den Agrarkonzernen dazu animiert. So bleibt natürlich weniger Geld übrig.
Die Bauern beklagen zu tiefe Preise für ihre Milch. Aber ab Juli gibt es 82 Rappen, so viel wie seit 2008 nicht mehr.
Das ist ein schwieriges Thema, weil die Abnehmer immer am längeren Hebel und die Bauern dem Markt ausgesetzt sind. Durch die Demonstrationen konnten die Bauern zeigen, dass sie nicht zu allem bereit sind. Sogar der Bauernverband hat eingelenkt und versprochen, sich mehr für die Produzentenpreise einzusetzen und die Verhandlungen zu begleiten – das haben sie bis jetzt nämlich vernachlässigt. Somit haben die Proteste hier etwas Positives bewirkt.
Ist es wirklich ein Problem von Franken und Rappen, oder gehts um Wertschätzung?
Die Wertschätzung ist ein zentrales Thema. Die Landwirtschaft wird als politische Schwungmasse benutzt. Die rechte Seite bringt im Edelweiss-Hemdli seit Jahren erfolgreich Interessen der reichen Elite durch. Darum sitzt Christoph Blocher auch immer irgendwo auf einem Heuballen. Die Folklore der Bauern mit den Schwingfesten und der Landfrauenküche wird als heile Heidiwelt zelebriert. Auf der anderen Seite fühlen sich viele Bauern aber stark kritisiert, vor allem von den Städtern. Diese stellen die Landwirte als Klimasünder dar, obwohl sie selbst oft und weit in die Ferien fliegen, während Bauernfamilien häufig bescheiden leben. Das führt zu Frust.
Die Klimakleber haben der Klimabewegung massiv geschadet. Schaden die Bauern mit den Protesten auch ihrer Sache?
Es ist eine Gratwanderung. Wenn es eskaliert, führt das sofort zu einem Meinungsumschwung. Aber grundsätzlich hat die Bevölkerung viel mehr Sympathie für Bauern als für Klimakleber übrig. In Belgien fahren die Bauern mit ihren Traktoren auf die Polizei los und überfahren Abschrankungen – und niemand sagt etwas! Demgegenüber sitzen die Klimakleber nur auf der Strasse und werden als Terroristen beschimpft. Das sind zwei Welten. Aber die Politiker wissen natürlich: Gegen Bauern macht man nichts, sonst hat man ein Problem.
Haben Sie an den Demos teilgenommen?
Nein, weil ich nicht abschätzen konnte, in welche Richtung sie sich entwickeln. Die Proteste sind in einigen Ländern von rechtsextremen Gruppierungen instrumentalisiert worden. Als Präsident der Kleinbauern-Vereinigung unterstütze ich bis jetzt aber alle Forderungen. Unsere rote Linie ist der Klima- und Artenschutz. Wenn sich die Forderungen gegen diese richten, sind wir raus! Denn wir sind die Berufsgruppe, die am stärksten von der Klimaerwärmung betroffen ist.
Der designierte SVP-Präsident Marcel Dettling sagte, die Klimaerwärmung sei gar nicht schlecht für die Bauern.
Das ist natürlich völlig absurd. Spannend war aber zu verfolgen, wie die Öffentlichkeit darauf reagiert. In der bäuerlichen Bubble gingen die Dis- kussionen los, ob es vielleicht stimme und die Vorteile überwiegen. In der städtischen Bubble hat man nur den Kopf geschüttelt. Das erklärt für mich auch den Stadt-Land-Graben. Aber sonst komme ich gut aus mit Marcel.
Sie sagten, die Proteste seien ein Weckruf an die bäuerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier.
Diese Lobby, die oft als die stärkste Lobby beschrieben wird, soll endlich schauen, dass es den Bäuerinnen und Bauern in diesem Land gut geht. Doch diese müssen auf die Strasse gehen. Da ist doch irgendetwas merkwürdig, oder? Knapp jedes vierte Mitglied der Bauernlobby ist oder war nie Landwirt. Oft sitzen sie bei grösseren Agrarkonzernen im Verwaltungsrat, arbeiten für die Grossverteiler, bei Versicherungen, die Ernten versichern, oder Ähnlichem. Diese Parlamentarier gelten als bäuerlich und haben sich in ihren ländlichen Kantonen so wählen lassen. Aber sie vertreten eben wirtschaftliche Interessen der vor- und nachgelagerten Branchen und lassen die bäuerliche Basis auf der Strecke.
Wieso verlangen die Bauern dann nicht, anständig vertreten zu werden?
Ja, das sollten sie. Ich versuche, das irgendwie transparent zu machen, aber es ist relativ schwierig.
Sie sind aus der Parlamentarischen Gruppe Landwirtschaft ausgeschlossen worden …
… ja, am Morgen nach den Nationalratswahlen. Ich habe es über die Medien erfahren. Das war schon ein Schock, anscheinend bin ich zu unangenehm geworden.
Entscheidet Bauernverbands-Präsident Markus Ritter, wer dabei ist und wer nicht?
Anscheinend schon. Erstaunlich ist vor allem, dass sich niemand dagegen wehrt. In der Gruppe bekommt man für jedes Geschäft einen Vordruck, auf dem steht, wie man stimmen soll. Und es ist ja klar, wer bestimmt, was auf diesem Ding steht, oder? Ich finde, das wirft ein komisches Licht auf diese Gruppe. Und nach meinem Ausschluss haben alle Angst, mit mir zusammenzuarbeiten, weil sie befürchten, dass sie dann die Nächsten sind. Es ist ein krasses Machtding.
Ihre politische Feindschaft mit Markus Ritter ist fast legendär. Wie kommen Sie wirklich miteinander aus?
Ich habe eigentlich kein Problem mit ihm, ausser mit seiner politischen Haltung bei Umweltfragen. Er hat sicher mehr Mühe mit mir, weil ich seine Machtpolitik transparent mache.
Bauern leben von einer intakten Natur. Sämtliche Vorstösse, die Natur zu schützen, werden aber von ihnen abgelehnt. Können die Bauern nicht über die nächste Ernte hinausdenken?
Kurzfristig sind die Umweltauflagen mühsam für den einzelnen Bauern. Längerfristig jedoch sind sie überlebenswichtig für die Landwirtschaft. Aber das ist noch nicht in den Köpfen aller Landwirte angekommen. Leider werden sie instrumentalisiert von den Konzernen, die nur Interesse an Gewinn haben. Deren Umsätze werden natürlich kleiner, wenn irgendwo ein paar Hektaren Blumenwiese hinmüssen und auf dieser Fläche kein Dünger mehr eingesetzt und somit auch nichts verkauft werden kann.
Sie wurden schon aufgefordert, sich ein Seil zu nehmen und sich am nächsten Baum aufzuhängen, erhielten Drohungen und Zeichnungen von brennenden Häusern. Wie gehen Sie damit um?
Als die Polizei mehrere Wochen auf dem Hof patrouillieren musste, war das ein neues Level. Aber die Hauptsache für mich war immer, meine Familie zu schützen. Ich hatte oft ein ungutes Gefühl, meine Frau und meine drei Kinder alleine zu Hause zu lassen. Die Lage hat sich inzwischen beruhigt, und ich konnte das eigentlich auch abhaken.
Wieso sind Sie Bauer geworden?
Ich bin auf dem Hof aufgewachsen, das hat sich so ergeben. Erst während der Lehre habe ich gesehen, was für ein spannender und schöner Beruf das ist. Obwohl ich nie der war, der schon als Kind Bauer werden wollte. Politiker aber auch nicht (lacht).
Ihre Eltern, Stephanie und Ruedi Baumann, waren das erste Ehepaar im Nationalrat. Auch das Telefonbändli Ihrer Eltern war mit Morddrohungen belegt, der Hof oft mit Beschimpfungen versprüht. Das hat Sie nicht abgeschreckt?
Anscheinend nicht (lacht). Ich dachte auch lange nicht, dass ich im Nationalrat lande. Aber ich war immer ein politischer Mensch und sehe die vielen positiven Seiten der Politik, nicht nur die negativen. Ich kann etwas verändern, wenn ich mich einsetze. Das ist das Wichtigste.
Ihre Eltern leben heute in Frankreich auf einem Bauernhof. Wie gehts ihnen?
Inzwischen wohnen sie schon über 20 Jahre in Traversères. Während der Session kommen sie hierher und helfen uns mit der Kinderbetreuung. Aber auch sie werden älter. Dass sie den Hof in Frankreich noch lange führen, glaube ich nicht.
Könnten Sie sich vorstellen, in Frankreich zu übernehmen?
Ja, das ist nicht ausgeschlossen. Aber jetzt gibts hier noch genug zu tun.