Kleider machen TV-Stars

Zweimal im Jahr herrscht im 150 Quadratmeter grossen Showroom des Schweizer Fernsehens Hochbetrieb. Im Frühling und im Herbst stehen hier in Zürich die Haupteinkleidungen an. Während mehrerer Wochen geben die Styling-Chefinnen Martina Loepfe (46) und Caterina Soldani (49) den TV-Stars einen Kleiderbügel nach dem anderen in die Hand. Neue Stücke werden anprobiert, alte neu kombiniert, abgeändert oder weitergegeben. «Was die Menschen am Bildschirm tragen, ist eine direkte Interpretation der Modetrends», sagt Soldani. Die Kleider kaufen die Expertinnen bereits ein Jahr im Voraus ein – dann, wenn die Labels ihre neuen Kollektionen präsentieren. «Wir wissen, was wem stehen würde und was optisch in welchem Studio funktioniert», sagt Loepfe.

Heute ist «Tagesschau»-Moderatorin Andrea Vetsch (47) mit Anprobieren dran. «Die meisten Reaktionen bekomme ich tatsächlich auf Lippenstift, Haare und Kleidung», sagt sie, «trotz den Nachrichten haben die Zuschauer Zeit, die Gesamterscheinung zu beurteilen.» Am Bildschirm macht die Optik der Moderationsperson gemäss einer Studie 70 Prozent aus, sekundär ist das Studiosetting.

Seit August 2021 sind Martina Loepfe und Caterina Soldani fürs Styling beim Schweizer Fernsehen zuständig. Im Team sind sie zu dritt – insgesamt 150 Stellenprozente. Sie stellen die Outfits von 220 Leuten zusammen. Dazu gehören neben den Moderatoren alle In- und Auslandskorrespondenten, Aussenreporterinnen und Personen, die in Gebärdensprache übersetzen. «Wir wollten zuerst alle kennenlernen und spüren, wer welchen Charakter hat», sagt Loepfe, und Soldani ergänzt: «Uns ist es wichtig, optisch auf ihre Persönlichkeiten einzugehen.» Für Moderatorin Andrea Vetsch ist es relevant, in andere Kleider zu schlüpfen, um in den Livemodus zu kommen. «Es ist die Rampe zur Moderation», sagt sie, «zusammen mit dem Anziehen des Tonkästchens.» Für Caterina Soldani ist klar: «Unser Styling ist für die Leute Arbeitskleidung. Auch der Arzt zieht den Kittel an, um etwas zu vermitteln.»

Anders als im Film

Die beiden Stylistinnen sind seit ihrer Kindheit von Mode fasziniert. «Ich verkleidete mich gern, spielte mit Barbies, las die ‹Vogue Bambini›», sagt Loepfe, die Graphic Design an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam studierte, bevor sie Moderedaktorin bei der Zeitschrift «Annabelle» und Modechefin bei «20 Minuten Friday» wurde. Bei «Annabelle» arbeitete sie jahrelang mit Caterina Soldani zusammen, einer ausgebildeten Couture-Schneiderin und Absolventin der Zürcher Hochschule der Künste. «Auch nach über 30 Jahren im Business bin ich noch fasziniert, wie ich mit Kleidern etwas rausholen, vermitteln, fröhlich oder traurig gestalten kann.» Sie selbst würde am liebsten in Uniform herumlaufen, mag maskuline Mode. Auch Martina Loepfe trägt bevorzugt Hoodies, Jeans und Sneakers. «Es ist nicht wie im Film ‹The Devil Wears Prada›, Stylisten laufen am schlimmsten herum», sagt sie lachend. «Wir dürfen, weil wirs besser wissen.» Der Beruf sei auch alles andere als chic. «Rumrennen, schwitzen und am Boden rumkriechen, um Kleider abzuändern, ist unser Alltag.»

Nach jahrelanger Erfahrung mit Modeshootings mussten sie sich erst ans Fernsehen gewöhnen. «Dass man meist nur den Oberkörper sieht, war speziell für uns», sagt Loepfe. Allerdings sind die «Tagesschau»-Moderatorinnen und -Moderatoren neuerdings kurz mit ganzem Körper zu sehen. «Darum müssen wir jetzt auch die Schuhe beachten.»

Seide hui, Rüschchen pfui

«Orange hätte ich früher nie getragen. Aber ich bin schnell zu begeistern», sagt Andrea Vetsch. «G &G»-Moderator Michel Birri, 35, hingegen sieht bei orangen Kleidern rot. Er mag lieber Grün. «Als Moderator im Kinderprogramm konnte ich die Farbe nie anziehen, weil wir im Green Screen standen. Und statt nur immer Shirts kann ich jetzt Anzüge tragen.» Doch nicht alles, was chic aussieht, ist auch fürs Fernsehen gemacht. Moirés und andere Muster flimmern am Bildschirm. Manche Outdoor-Stoffe sind zu «laut», wie die Expertinnen sagen. Sie verursachen am Mikrofon Geräusche. Leinen funktioniert nicht, weil, kaum geglättet, die Kleidung schon wieder zerknittert aussieht. «Die Falten werfen zudem zu viel Schatten», so Loepfe. «Am leichtesten fallen Seide, Viskose und Lyocell.» Ein anderes Material stösst bei den Zuschauern immer wieder auf Ablehnung, wie Soldani erzählt. «Leder und Lederimitat scheinen ein Reizmaterial zu sein, wirken aufs Publikum unpassend.»

In den letzten Jahren hat auch das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewonnen. «Weil wir ein Service public sind, haben wir eine Verantwortung den Zuschauern gegenüber, dass wir vorsichtig mit dem Budget und den Ressourcen umgehen», sagt Caterina Soldani. Alle Kleider gehören SRF. Gibt jemand ein Stück zurück, kann es eine andere Person neu kombiniert und geändert tragen – Durchschnittsgrösse ist bei den SRF-Frauen 36, bei den Männern 50/52.

Aber auch die Weltlage und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen das Styling. Als Russland die Ukraine angriff, hatte dies Einfluss auf die Farbwahl der Kleider. Auf Camouflage, fröhliche Farben sowie Gelb-Blau-Kombinationen wurde eine Zeit lang verzichtet. Nicht zuletzt spielt die Emanzipation der Frauen und das damit verbundene Frauenbild der Schweiz eine wichtige Rolle. «Wir wollen keinen Überfeminismus propagieren, jedoch gestandene, intelligente Frauen zeigen», sagt Soldani. Rüschchenblusen bei den Damen waren einmal, strenge Anzüge bei den Herren ebenso. Sie darf auch einen coolen Anzug tragen, er auch Farbe.

Modische Must-haves Michel Birri und Andrea Vetsch sind mit ihren neuen Looks eingedeckt. Und auch alle Auslandskorrespondenten sind vor den Festtagen noch in den Showroom geströmt. Neben all dem, was fürs Fernsehen berücksichtigt werden muss, haben Martina Loepfe und Caterina Soldani aber auch Tipps für das private Styling parat: «Einen guten Blazer, einen klassischen Max-MaraMantel, gut sitzende Jeans, ein weisses Shirt und tolle Sneakers gehören in jeden Kleiderschrank.»