Sie hat das Schweizer Kunstturnen über Jahre geprägt. Doch nun ist damit Schluss. Giulia Steingruber, 27, beendet ihre aktive Karriere. Das gibt die St. Gallerin am Freitagvormittag an einer eigens einberufenen Medienkonferenz im Walter Zoo in Gossau bekannt. «Wer hätte gedacht, dass ich so schöne Erfolge würde feiern können?», sagt die Ostschweizerin. «Ich durfte Geschichte für den Schweizer Frauen-Turnsport schreiben.»
Die letzten fünf Jahre seien kräftezehrend und nervenaufreibend gewesen. Eine Fuss-Operation, der Tod ihrer Schwester, ein Kreuzbandriss, dann die Corona-Pandemie und die verschobenen Olympischen Spiele – «ich war durchgehend im Comeback-Modus». Am Schluss waren Kopf und Körper müde. «Aber alle Aufs und Abs haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.»
Mit Giulia Steingruber tritt die erfolgreichste Schweizer Kunstturnerin ab. Sie hat die Szene hierzulande geprägt, die Jungen mit ihren Erfolgen inspiriert, und das lange Zeit als Nischensportart abgetane Kunstturnen wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Wert, den Giulia Steingruber für das Schweizer Kunstturnen hatte, ist gross – und der Sport dürfte noch einige Jahren davon zehren.
Denn mit ihrem immensen Erfolg ist die Gossauerin nicht nur in die Herzen der Fans gesprungen, sondern auch in die breite Öffentlichkeit. Und das völlig zurecht: Denn mit Steingruber tritt die erste Schweizer Kunstturnerin ab, die an den Olympischen Spielen eine Medaille gewinnen konnte. 2016 schrieb die St. Gallerin in Rio de Janeiro Schweizer Sportgeschichte, als sie an ihrem Paradegerät zu Bronze sprang.
Ein Jahr später konnte sich Steingruber auch an den Weltmeisterschaften bronzenes Edelmetall sichern. Die Ausbeute an Europameisterschaften ist ebenfalls beeindruckend: Insgesamt konnte Steingruber im Verlauf ihrer Karriere sechs Gold-, eine Silber- und drei Bronzemedaillen ergattern. Ihre letzte EM-Medaille holte sie an den Europameisterschaften in Basel im Frühling dieses Jahres, als sie den Sprungfinal für sich entscheiden konnte. Fünf Jahre zuvor hatte sie das Heimpublikum in Bern bereits mit zwei Goldmedaillen, herausgeturnt am Sprung und am Boden, in Ekstase versetzt.
Ihr letzter internationaler Auftritt an den Olympischen Sommerspielen in Tokio diesen Sommer war derweil nicht nach Wunsch verlaufen. Steingruber verpasste die Qualifikation für den Sprung nach muskulären Problemen haarscharf, womit ihr die Chance verwehrt blieb, unter den besten acht ihre Medaille verteidigen zu können. Im Mehrkampf setzte sie mit dem 15. Platz derweil ein Ausrufezeichen. «Nach diesem megaschönen Abschluss ist für mich die Rücktrittsentscheidung nach Tokio relativ schnell gefallen.»
Für ihren Traum vom Turnen gab Giulia Steingruber schon in Kindheitstagen Vollgas. Bereits mit 14 Jahren wechselte sie ins Nationale Sportzentrum nach Magglingen. Früh muss sie sich von ihrer Familie losbinden, um zur besten Kunstturnerin zu werden, die dieses Land je hatte. Doch der Erfolg liess nicht lange auf sich warten: Bereits mit 18 Jahren gewann sie ihr erste Medaille an internationalen Titelkämpfen. Bronze am Sprung an der EM 2012 sollte ihre Edelmetall-Sammlung einläuten.
Wie Steingruber an der Pressekonferenz verraten hat, ist derzeit noch nicht ganz klar, wohin ihr Weg sie weiter führen wird. Den Fokus wird sie nun erstmal auf ihre Weiterbildung im Marketing-Management legen, die sie begonnen hat und die ihr grossen Spass macht. Auch dem Turnen möchte sie weiterhin treu bleiben. Sie plant, ihre Trainerausbildung weiterzuverfolgen, damit sie ihre riesige Erfahrung dereinst an den Nachwuchs weitergeben kann.