Eigentlich sind die Berge Dani Arnolds Spielplatz. Seit Tochter Ladina auf der Welt ist, spielt der Profi-Bergsteiger nicht nur mit Karabinern, sondern auch mit Kuscheltierchen. «Ich habe auf dem Weg zum Gipfel oft gelitten und gekämpft. Mit Ladina relativiert sich vieles.» Denise und Dani Arnolds erstes Kind kam vier Wochen zu früh zur Welt. 2500 Kilogramm wog das Frühchen. Die Lehrerin und frischgebackene Mutter blickt auf eine bewegte Zeit zurück. «Dani war mein Fels in der Brandung. Dass ich nach einigen Komplikationen nun ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht habe, hat uns noch fester zusammengeschweisst.»
Anfang Jahr hat das Paar sein neues Haus in Bürglen UR bezogen. Hier tragen von 4000 Einwohnern 200 den Nachnamen Arnold. Denise rollt den Schlafsack auf dem Sofa zusammen, während Ladina friedlich in ihrem Baby-Bettchen schlummert. Das ist im gemeinsamen Bett nicht immer so. Steht eine anspruchsvolle Bergtour bevor, verbringt Denise die Nacht mit ihrer Tochter im Wohnzimmer, damit Dani ungestört schlafen kann.
Im Moment geniesst der Kletter-Crack allerdings sein grosses Glück mit seiner kleinen Familie. Die Situation ist für den gelernten Maschinenmechaniker neu. Hat sich seine Risikobereitschaft durch die Geburt verändert? «Mir ging es noch nie nur um die Leistung. Ich liebe meinen Beruf und kann niemandem die Schuld geben, wenn etwas schiefgeht. Darum ist es wichtig, Touren gut zu planen, ein Gefühl für Gefahren zu entwickeln und nicht ans Limit zu gehen, wenn es für einen selber nicht stimmt. Meine Lebensversicherung ist die Erfahrung.»
Über dem Tisch im Wohnzimmer hängen Fotografien von seiner letzten Expedition an den Baikalsee. Dabei läuft es einem schon beim Hinschauen kalt den Rücken runter. Nur Dani Arnold wird beim Betrachten der Aufnahmen warm ums Herz. «Als Jugendlicher sah ich in der Schweizer Illustrierten eine Reportage über diese unwirkliche Gegend. Die Spalten im türkisblauen Eis waren für mich so magisch, dass ich immer einmal dahin wollte.»
Im Winter sinken die Temperaturen beim tiefsten und ältesten See der Erde auf minus 40 Grad. Das 40 bis 80 Zentimeter dicke Schwarzeis des Baikalsees ist glasklar. «Aufgrund der Kälte zieht es sich noch mehr zusammen und wird pickelhart. Die Bedingungen zum Eisklettern sind so extrem, dass sich bisher fast kein Athlet dieser Herausforderung gestellt hat.»
Genau das richtige Abenteuer für den Urner, der mit aussergewöhnlichen Speed-Aktionen von sich reden machte. 2011 bezwang er in zwei Stunden und achtundzwanzig Minuten die Eigernordwand und 2015 in einer Stunde und sechsundvierzig Minuten die Nordseite des Matterhorns. Über seinen Rekord an der 1200 Meter hohen Grandes-Jorasses-Nordwand im Montblanc-Massiv sagte er damals: «Was ich erlebe, ist kein Trancezustand, sondern real. Ich bin mir voll bewusst, was passiert, wenn ich ausrutsche. Als Profi muss ich mir das Recht aufs Risiko mittlerweile fast schon erkämpfen. Es braucht Courage, hinzustehen und zu sagen: Ja, dieses Risiko bin ich eingegangen, und ich finde es gut!»
Die Reise an den Baikalsee fand letzten Februar statt. Zusammen mit einer Film- und Fotocrew – sowie seinem Vater Fredy. Der Wildhüter bestieg erst zweimal ein Flugzeug. Etwa genauso oft war er in Zürich. «Dass mein Vater einmal ‹sein› Schächental für einen Trip ans andere Ende der Welt verlässt, war eine echte Überraschung.» Wie sein Daddy liebt Dani das Geräusch von Schnee, wenn er unter den Sohlen knirscht: «Das klingt für uns beide wie Musik.»
Auf der 13-tägigen Expedition nach Russland wurde er vom Outdoor-Ausrüster Mammut begleitet. Früher faszinierten den Abenteurer Bergsteigerorte wie Patagonien, Nepal oder Alaska. «Heute interessieren mich auch die Menschen und ihre Kultur.» Die Idee, die Herbstkollektion 2021 im passenden Umfeld zu fotografieren, stiess bei ihm auf Begeisterung.
Die schlecht dokumentierte Region und die Sprachbarrieren erschwerten allerdings die Suche nach geeigneten Kletterrouten. Fündig wurden sie auf Olkhon Island, eine von rund 50 Inseln. «Die Kulisse war bizarr und verlangte mir mental und körperlich alles ab», so der Mammut-Athlet. Er kletterte 40 Meter lange Routen im achten Schwierigkeitsgrad. «Wegen der Kälte dauerte jeder Handgriff dreimal so lang. Auch das Eindrehen von Schrauben im harten Eis war noch nie so schwierig.»
Dabei kam es auch zu brenzligen Situationen. «Mit einem Hovercraft-Fahrzeug sausten wir in der Nacht über den See, als plötzlich das Benzin ausging – und damit auch die Heizung. Als das Ersatzfahrzeug kam, waren wir fast tiefgefroren.» Dass seine Tochter einmal in seine Fusstapfen tritt, hofft er nicht. «Das wäre für uns Eltern ein Albtraum», sagt Arnold lachend. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis Ladina lieber mit Karabinern spielt als mit Kuscheltierchen.