Lo&Leduc
«Ein Meister der Verknappung»
Lo & Leduc stehen vor dem Spiegel im The Barber Shop in Zürich und schauen rein. «Es ist der Moment im Chanson, in dem sich der Männerchor auftut, als Mani Matter seinen Mund öffnet, der mir sehr präsent ist», sagt Luc «Leduc» Oggier (33) über das Lied «Bim Coiffeur». Schon als Kind kam der Mundart-Musiker anhand eines dünnen Notenbüchleins mit dem Berner Chansonnier und dessen Liedern in Berührung. «Als Erstes war es ‹Dr Gloon›, ein traurig-schönes Lied», erinnert er sich.
«Eine Stärke von Matters Liedern ist, dass man sie als Kind so bildhaft vor Augen hat.» Ganz klassisch hörte Duo-Partner Lorenz «Lo» Häberli (36) erstmals von Matter: «In der Schule sangen wir ‹S Zündhölzli›.» Für ihn ist klar, weshalb Matters Texte noch heute bestehen können. «Er ist ein Meister darin, grosse gesellschaftliche, philosophische Themen ganz verknappt auf eine sehr einfache Geschichte herunterzubrechen», sagt Häberli. «Matter gehört zu einem Mundart-Kanon, mit dem man in Berührung kommt, wenn man selber auf Mundart Lieder macht.»
Lo & Leduc haben selbst mit ihrer Mundart-Musik Geschichte geschrieben – «079» ist der bis heute erfolgreichste Schweizer Song aller Zeiten. Gerade ist mit «Luft» ihr achtes Album erschienen. «Uns fasziniert an Mundart, dass die Sprache lebt und sich weiterentwickelt», sagt Oggier. «Schön, hat Mani Matter ‹äs Zündhölzli azündt und das het e Flamme gäh und die brönnt bis hüt›.»
Bim Coiffeur bin i gsässe vor em Spiegel, luege dry
Und gseh dert drinn e Spiegel wo ar Wand isch vis-à-vis
Und dert drin spieglet sech dr Spiegel da vor mir
Und i däm Spiegel widerum dr Spiegel hindefür
Und so geng wyter, s′isch gsy win e länge Korridor
I däm my Chopf gwüss hundertfach vo hinden und vo vor
Isch ufgreit gsy i eier Kolonne, z'hinderscht isch dr Chopf
I ha ne nümme gchennt, so chly gsy win e Goofechnopf
My Chopf, dä het sich dert ir Wyti, stellet öich das vor
Verloren ir Unäntlechkeit vom länge Korridor
I ha mi sälber hinde gseh verschwinde, ha das gseh
Am heiterhälle Vormittag und wi wenn nüt wär gscheh
Erchloepft han i mys Muul ufgschperrt, da sy im Korridor
Grad hundert Müüler mit ufgange win e Männerchor
E Männerchor us mir alei, es cheibe gspässigs Gfüel
Es metaphysischs Grusle het mi packt im Coiffeurgstüel
I ha d′Serviette vo mer grissen, ungschore sofort
Das Coiffeurgschäft verla mit paar entschuldigende Wort
Und wenn dir findet i sött e chly meh zum Coiffeur ga
De chöit dir jitz verstah warum i da e Hemmig ha
Copyright: Zytglogge Verlag
Peter Reber
«Ein grandioser Geschichtenerzähler»
Am Anfang seiner Karriere mit Peter, Sue & Marc sei er in ähnlichen Lokalen aufgetreten wie Mani Matter, erzählt Peter Reber (73). «Getroffen haben wir uns leider nie.» Damals habe es wenige Berührungspunkte zwischen dem Berner Troubadour und den Folksongs des Trios gegeben. «Aber Matter hat alle Künstler, die nach ihm in Mundart sangen, nur schon dadurch beeinflusst, dass er gezeigt hat, dass man damit ein breites Publikum erreichen kann.»
So ist er auch für Reber, der selbst mit Liedern wie «Jede bruucht sy Insel» oder «Ds Hippigschpängschtli» Mundart-Kulturgut schuf, immer ein Vorbild geblieben. «Mani Matter war kein begnadeter Instrumentalist – zum Glück, denn das würde von den Texten ablenken –, aber er hatte ein gutes musikalisches Gefühl. Bis man die Zeilen so perfekt mit der Melodie in Einklang bringt, braucht es viel Arbeit. Er war ein grandioser Geschichtenerzähler, und sein träfer, trockener, oft schwarzer Berner Humor sucht bis heute seinesgleichen.»
Besonders gut zur Geltung kommt Letzterer in «Si hei dr Wilhälm Täll ufgfüert». Dass aus Friedrich Schillers Plädoyer gegen Unterdrückung und Gewalt eine Dorfschlägerei in einer Landbeiz wird, sei «so absurd und sarkastisch, dass es einfach nur grossartig ist», sagt Peter Reber. Dass Mani Matters Lieder auch 50 Jahre nach seinem Tod so beliebt sind, wundert ihn nicht: «Eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte.»
Si hei der Wilhälm Täll ufgfüehrt im Löie z'Nottiswil
Da bruchts viel Volk, gwüss z'halbe Dorf, hett mitgmacht i däm Schpil,
Die andri Helfti isch im Saal gsy, bim'ne grosse Bier
Als Publikum, het zuegluegt und isch gschpannt gsy, was passier.
Am Aafang isch es schön gsy, do het als Schtouffacherin
D'Frou Pfarrer mit dem Schnyder gret, i Wort vo tiefem Sinn
Und als isch grüert gsy, sy het dasmal nid gseit, s'Chleid sig z'tüür
Und är het guet ufpasst das är der Fade nid verlüür
Uf zmal, churz vor em Öpfelschuss, der Lehrer chunnt als Täll
Sy Suhn, dä frogt'ne dis und äis, do rüeft dert eine schnäll
Wo un'drem huet als wach isch gschtande, so dass jede ghört
Wiso fragt dä so dumm, het dä ir Schuel de nüt rächts gleert
E Fründ vom Täll, e Maa us Altdorf, zwickt em eis uf ds Muul
Und dise wo der huet bewacht, git ume, gar nid fuul
Und schtoost ihm mit syr Helebarde eine z'mitts i Buuch
Da chunnt scho s'Volk vo Uri z'schpringe, Donner jetzt geits ruuch
Die einte, die vo Öschterrich, die näh für d'Wach Partei
Die andre, die vo Altdorf, für ä Täll, ei Schlegerei
Mit Helebarde, Cartonschwärt, Culisse, schlöh sy dry
Der Täll ligt und'rem Gessler scho, da mischt der Saal sech y
Jetz chöme Gleser z'flüge, jede schtillt sy gheimi Wuet
Es chrose Disch u Bänk und's Bier vermischt'sech mit em Bluet
Der Wirt rouft sech sys Haar, d'Frou schinet broch'ni Glider y
Zwo Schtund lang het das duuret, do isch Öschtrich gschlage gsy
Si hei der Wilhälm Täll ufgfüehrt im Löie z'Nottiswil
Und gwüss no niene i naturalistischerem Styl
D'Versicherig het zahlt - hingäge eis weiss ig sithär
Sy würde d'Freiheit gwinne, wenn sy däwäg z'gwinne wär
Sy würde d'Freiheit gwinne, wenn sy däwäg z'gwinne wär
Copyright: Zytglogge Verlag
Evelinn Trouble
«Matter ist ein Pionier»
Ihr Versuch ist gescheitert. Sängerin Evelinn Trouble (33) wollte einst «Alls wo mir id Finger chunt» auf Englisch übersetzen. «Ich finde, das Narrativ hat universelles Potenzial. Aber es war leider schwieriger, als ich dachte, darum habe ichs wieder aufgegeben», erzählt sie. Die Songwriterin singt selbst lieber auf Englisch, fühlt sich in jener Sprache wohler, da ihr Mundart zu nahe am Alltag ist. «Umso grossartiger finde ich es, wenn es andere schaffen, darin poetisch zu sein und Tiefgang zu haben. Matter ist da ein Pionier», sagt die Zürcherin im Theater Basel, für dessen Stück «Wilhelm Troll» (ab 23. 11., Kleine Bühne) sie die Musik schreibt.
Bereits in der Pfadi singt Evelinn Trouble, die gebürtig Linnéa Racine heisst, «Dr Sidi Abdel Assar vo El Hama» und «S Zündhölzli» am Lagerfeuer mit Gitarre. Die Lieder begleiten sie durch die Kindheit – danach gehen sie ihrem Leben eine Zeit lang verloren. Durch ihr Musikschaffen kehren sie zu ihr zurück. «Ich habe sie wiederentdeckt. All die vielen Facetten, die er zwischen den Zeilen einwebt, welche mir als Kind nicht aufgefallen sind.» Aktuell sind sie gar sehr präsent. Am 24. November, an Mani Matters Todestag, hat sie im «Heitere Fahne» in Bern einen kleinen Gastauftritt am Abend zu seinen Ehren. Ob alle seine Texte zeitlos sind, wisse sie nicht, «aber sie sind auf jeden Fall alle wertvolle Zeitdokumente. Er malt unglaubliche Bilder mit seinen Worten – was er beschreibt, wird plastisch.»
Am Tag won i uf d'Wält bi cho, si hei mers speter gseit
Da het my Mueter grad deheim es Suppegschir verheit
Und sider ischs mys herte Los bis a mys Läbesänd
Alls wo mir id Finger chunnt verbricht mer i de Händ
I cha mer müe gäh wi i wott, es nützt mer alles nüt
Was geschter no isch ganz gsy isch i tuusig Bitze hütt
Die Schärbehüüfe won i hinderla, die rede Bänd
Alls wo mir id Finger chunnt verbricht mer i de Händ
I han emal es Meitschi gchennt, s'isch truurig aber wahr
Es Meitschi ganz us Porzelan mit rabeschwarze Haar
Uf einisch isch es zue mer cho, het gseit jitz isch es z'änd
Alls wo mir id Finger chunnt verbricht mer i de Händ
Und won i's du zum letschten Abschid a mys Härz ha trückt
Da han i's z'fescht umarmet und vor Liebi grad erstickt
I has nid äxtra gmacht, dir chöit mers gloube, sackermänt
Alls wo mir id Finger chunnt verbricht mer i de Händ
Si hei mi vor e Richter gstellt und hei mi geschter ghänkt
Und won i scho bi ghanget, da uf ds mal, wär hätt das tänkt
Da het dr Strick la gah im allerletschtischte Momänt
Alls wo mir id Finger chunnt verbricht mer i de Händ
Und sider blyben i vagant und mache lieber nüt
Dir wärdet das begryffe, drum syt güetig, liebi Lüt
Und gryffet ou i ds Portmonee und gäht e mildi Spänd
Alls wo mir id Finger chunnt verbricht mer i de Händ
Copyright: Zytglogge Verlag
Pedro Lenz
«Ich mag das Spiel auf zwei Ebenen»
Pedro Lenz (57) ist sieben Jahre alt, als Mani Matter stirbt – und damit in sein Leben tritt, denn die Nachbarsbuben hören die eine Platte, die sie besitzen, rauf und runter. Heute kennt Pedros knapp fünfjähriger Sohn Nicanor viele Matter-Lieder auswendig. «Der kindliche Zugang spricht auf die Einfachheit und den Witz an. Später begreift man die Komplexität und auch die Ernsthaftigkeit seiner Texte. Ich mag dieses Spiel auf zwei Ebenen. Es ist faszinierend», sagt der Mundart-Autor.
Seine eigenen Werke haben zwar eher Schriftsteller als Liedermacher inspiriert. Trotzdem verbindet ihn mit Matter die Authentizität, die Präzision im Ausdruck, die man seiner Meinung nach nur in der eigenen Muttersprache so hinbekommt. «Mani Matter auf Amerikanisch würde nur funktionieren, wenn er Amerikaner wäre.» Die Übersetzungen seiner eigenen Bücher findet Pedro Lenz zwar sehr gelungen, und er freut sich über sie. «Aber ein bisschen etwas geht beim Übersetzen halt doch verloren.»
Am «Lied vo de Bahnhöf» gefällt ihm die melancholische Stimmung und die Nostalgie, die es hervorruft. Schliesslich wären Zeilen wie «Im Wartsaal isch gheizt, sitzt e Ma won e Stumpe roucht wo stinkt» in der heutigen Zeit undenkbar. Zudem reist er zu seinen Lesungen meist im Zug. «Ich kenne das Gefühl, ständig an Bahnhöfen rumzustehen und zu warten, zur Genüge», so der Autor.
Das isch ds Lied vo de Bahnhöf wo dr Zug
Geng scho abgfahren isch
Oder no nid isch cho
Und es stöh Lüt im Rägemantel dert und tue warte
Und ds Gepäck hei si abgstellt und zwöi
Chind luegen am Outomat
Ob nid doch dert no meh
Usechöm als die Caramel wo si scho hei gässe
Und dr Bahnhofvorstand telefoniert
D'Mütze hanget ar wand
Und im Wartsaal, isch gheizt
Sitzt e Max
Won e Stumpe roucht wo stinkt und list ds Amtsblatt
Mängisch lütet e Gloggen und en Arbeiter
Mit schwarze Händ
Stellt e Weiche, me weis nid für was
Dänk für d'Güeterwäge wo vor em Schopf stöh
Und dr Bahnhofvorstand leit d'Mützen a
S'fahrt e Schnällzug verby
Und es luftet no gäng
Waretdäm, dass dr Vorstand scho sy Huet wider abziet
Das isch ds Lied vo de Bahnhöf wo dr Zug
Geng scho abgfahren isch
Oder no nid isch cho
Copyright: Zytglogge Verlag
Tashan
«Keiner verkörpert die Berner Mundart mehr»
Die Berner R&B-Queen hat fürs Shooting ausgerechnet «Hemmige» ausgesucht. Das mag auf den ersten Blick überraschen, steht Tashan doch für Body Positivity. Aber: «Alle, die sagen, es sei ihnen immer völlig egal, was andere denken, lügen», sagt die 30-Jährige. Auch sie, die ihre Musik und ihren Körper hemmungslos auf den sozialen Medien präsentiert, hadert immer wieder «mit einem Bild, das eigentlich gar nicht relevant ist. Ich selbst zu sein, ist täglich eine neue Herausforderung.»
Mani Matters Lieder widerspiegeln einen Teil ihrer Identität, sagt Shanta Venkatesh, wie die Musikerin richtig heisst. «Keiner verkörpert die Berner Mundart mehr als er.» Tashan ist zweisprachig aufgewachsen, bezeichnet Englisch als ihre «Seelensprache» – und hat gerade die Erfahrung gemacht, dass man sich «so, wie einem der Schnabel gewachsen ist», eben doch am besten ausdrücken kann. Einen Ausflug ins Hochdeutsche mit ihrer Musik bezeichnet sie als «spannende, lehrreiche Erfahrung». Sie habe gemerkt, dass sie sich da nicht richtig wohlfühlt. Zumal sie immer mehr Wert auf die Texte legt, «auch wenn Melodien und Vibes mehr meine Stärken sind». Im TV-Knaller «Sing meinen Song» sang sie auch schon in Dialekt, machte aus Dodos «Zürimaa» ein «Bärner Meitschi». Kann sie sich mal einen eigenen Mundart-Song vorstellen? «Sag niemals nie.»
S'git Lüt, die würden alletwäge nie
Es Lied vorsinge, so win ig jitz hie
Eis singen um kei Prys, nei bhüetis nei
Wil si Hemmige hei
Si wäre vilicht gärn im Grund gno fräch
Und dänke, das syg ires grosse Päch
Und s'laschtet uf ne win e schwäre Stei
Dass si Hemmige hei
I weis, das macht eim heiss, verschlat eim d'Stimm
Doch dünkt eim mängisch o s'syg nüt so schlimm
S'isch glych es Glück, o we mirs gar nid wei
Das mir Hemmige hei
Was unterscheidet d'Mönsche vom Schimpans
S'isch nid die glatti Hut, dr fählend Schwanz
Nid dass mir schlächter d'Böim ufchöme, nei
Dass mir Hemmige hei
Me stell sech d'Manne vor, wenns anders wär
Und s'chäm es hübsches Meiteli derhär
Jitz luege mir doch höchstens chly uf d'Bei
Wil mir Hemmige hei
Und we me gseht, was hütt dr Mönschheit droht
So gseht me würklech Schwarz, nid nume Rot
Und was me no cha hoffen isch alei
Dass si Hemmige hei
Copyright: Zytglogge Verlag