Mehr Maismehl? Oder mehr Wasser? Loco Escrito, 32, wirft einen fragenden Blick zu seinem Kumpel Rodrigo, 47. Der grinst, zuckt die Schultern und fängt einfach mal an zu kneten. Die beiden backen bei Nicolas Herzig – so Loco Escritos richtiger Name – daheim im Zürcher Oberland Arepas, kolumbianische Maistortillas. Das Rezept stammt von Nicolas’ Vater, der vor einem guten Jahr starb. «Arepas isst man in Kolumbien zu jeder Tageszeit und mit allem», erklärt Nicolas. «Papa mochte sie am liebsten mit Sbrinz-Käse.»
«Es hat gereicht»
Als Sohn eines kolumbianischen Vaters und einer Schweizer Mutter in Medellín geboren, kam Loco Escrito als Baby mit seiner Familie in die Schweiz. Nach der Trennung der Eltern kehrte sein Vater vor gut zwölf Jahren nach Kolumbien zurück. «Unser Verhältnis war nach wie vor sehr eng. Wir sahen einander regelmässig, hier wie dort», sagt Loco Escrito. Als er seinen Papa nach dem Weihnachtsbesuch in Medellín 2020 zum Abschied umarmte, ahnte er nicht, dass es das letzte Mal sein würde.
Zwar litt dieser schon länger an Herz- und Lungenproblemen, war oft im Spital. Und sein Sohn merkte, dass der Lebenswille schwand. «Trotzdem rechnet man nie mit so etwas», sagt Nicolas. Fernando Herzig war erst 63 Jahre alt, als er an Organversagen starb. «Ich glaube, sein Lebensblatt war einfach vollgeschrieben. Er hat viel erlebt, viel durchgemacht, Krankheit, Sucht. Es hat gereicht.»
Der Trauer folgt die Dankbarkeit. Und der Wunsch nach Erinnerung. So ist schnell klar, dass Loco Escritos nächstes Album den Namen seines Vaters tragen wird: «Fernando». «Mein Papa hat mich gelehrt, meinem Herzen zu folgen und grosse Träume zu haben. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.»
Endlich Preise abstauben
Den Song «Mi Superman» singt er gemeinsam mit Rodrigo alias Rodry-Go!, der ebenfalls vor einiger Zeit seinen Vater verlor. Noch etwas, das die beiden verbindet. Rodrigo Rodriguez Puerta wuchs in Kolumbien auf und spielte in der Band von Salsa-Queen Celia Cruz. Vor über 20 Jahren kam er in die Schweiz. Loco Escrito lernte er vor acht Jahren an einem Festival kennen. «Ich habe sein Talent sofort erkannt.»
Heute – unzählige Chart-Hits, Platin- und Gold-Auszeichnungen später – sind die beiden nicht nur Bandkollegen, sondern auch eng befreundet. Dabei sei Loco Escrito immer Nico geblieben, sagt Rodrigo. Einzig das Abstauben der Preise – unter anderen vier Swiss Music Awards und einen MTV Music Award – dauert etwas länger. Auch wenn Nicolas findet, er sei nicht mehr ganz so pingelig wie früher.
Auch was Dinge wie Arbeitsmoral und Pünktlichkeit angeht, ist Nicolas ganz Schweizer. Anderes nimmt er hingegen südamerikanisch locker. Zum Beispiel sein Image als sexy Latin-Star. «Ich trage allgemein nicht so gern Kleider, vor allem wenns heiss ist. Ich glaube, jeder meiner Nachbarn hat mich schon nackt gesehen», meint er lachend. «Dass ich auf der Bühne mein durchgeschwitztes Shirt ausziehe, war für mich nur logisch. Als ich merkte, dass das Publikum auf den Strip wartet, hab ich angefangen, damit zu spielen. Mit einem Augenzwinkern, und nicht, weil ich mich bewusst als Sexsymbol etablieren wollte.»
Ein Glück, dass auch seine Freundin Michelle, 25, mit dieser Rolle leben kann. Die kaufmännische Angestellte, die lieber nicht in der Öffentlichkeit steht, lernt Loco Escrito während des Lockdowns dank einem Instagram-Fauxpas kennen. «Ich stellte ein auf meinem Balkon gedrehtes Video online und merkte nicht, dass im Hintergrund jemand durchs Bild lief: ihre Mutter, die in der Nachbarschaft wohnt», erzählt Nicolas lachend.
Das Leben eines Buchhalters
Dem Social-Media-Kontakt folgt ein erstes Date. «Wir gingen Töff fahren, und es fühlte sich vom ersten Moment an gut an.» Natürlich habe sie gewusst, wer er sei. «Aber sie hat dem weder zu viel noch zu wenig Beachtung geschenkt.» Zumal er während der beiden letzten Coronajahre ja eher das Leben eines Buchhalters geführt habe als das eines Hitparadenstürmers.
Für Nicolas’ Tochter Aisha, 6, ist es einerlei, ob ihr Papa berühmt ist oder nicht. «Sie ist stolz auf meine Musik und wenn ich auf der Bühne stehe. Aber viel wichtiger ist die Zeit, die ich mit ihr verbringe.» Er und seine Ex-Freundin teilen sich das Sorgerecht, mindestens drei Tage die Woche sieht er die Kleine. Ihm liegt am Herzen, dass seine Tochter sich frei entfalten kann. «Bei mir gibts kein Handy und kein iPad. Sie darf ab und zu mal TV schauen, dann schaue ich mit. Ich finde es wichtig, mich mit meiner Tochter zu beschäftigen.»
Sbrinz in Ehren
Ein Kind zu erziehen, sei gleichzeitig die schönste und die schwierigste Aufgabe überhaupt, sagt Loco Escrito. Ob Aisha sein musikalisches Talent geerbt habe, könne er noch nicht sagen. Derzeit sei sie vielseitig interessiert. «Ich würde mich freuen, wenn sie irgendwann etwas findet, wofür ihr Herz brennt. Ob das, wie bei mir, die Musik ist oder etwas anderes, ist unwichtig.»
Er werde so oder so immer stolz sein auf sein Kind. So wie sein Vater stolz war auf ihn. «Er konnte meinen Erfolg zwar nicht richtig einordnen, hat aber in Kolumbien allen erzählt, in der Schweiz sei ich ein grosser Star», sagt Nicolas lächelnd. Das ihm gewidmete Album hätte Fernando grosse Freude bereitet, keine Frage. Und dass sein Sohn sein Arepas-Rezept mit Sbrinz in Ehren hält, bestimmt auch.