Konzentriert hält Jason Brügger (31) die Landmaschine fest, stapft Schritt für Schritt in seinen Gummistiefeln übers Kartoffelfeld. Er atmet heftig, die Anstrengung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ein seltsames Bild – verband man bisher doch ganz anderes mit Jason: luftig-leichte Akrobatik, höchste Präzision, Poesie und ganz viel Glitzer. Jason lacht, wischt sich den Schweiss von der Stirn und meint mit einem liebevollen Blick zu seinem Partner Mattia (27): «Ich habe herausgefunden, dass man gleichzeitig ganz gegensätzliche Träume leben kann. Das hat allerdings eine Weile gedauert.»
Erfolg und Einsamkeit
Tatsächlich hat Jason Brügger als Knirps zwei Berufswünsche, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Bauer und Zirkusartist. Das Rennen macht Letzteres. Nach der Matura besucht Jason die renommierte Zirkusschule im kanadischen Montreal. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz gewinnt er die SRF-Castingshow «Die grössten Schweizer Talente», schafft es danach im deutschen Pendant «Das Supertalent» auf RTL in den Final. Dann hebt der Luftakrobat karrieremässig ab. Er tourt mit den Zirkussen Monti und Knie, hat unzählige Engagements im In- und Ausland. «Es war Wahnsinn. Alles, was ich mir je erträumt hatte, geschah sozusagen mit einem Fingerschnippen.»
Jason lässt seinen Blick über die surreal anmutende Szenerie schweifen. Vor ihm die Autobahn, das urbane Flair von Basel. Hinter ihm die pure Natur, Feld, Wiese, 30 herumwuselnde Hühner, die übermütig tollenden Hunde Bombo, Lotta und Tosca, Mattia, der bei allem, was er tut, eine fast meditative Ruhe ausstrahlt, egal, ob er die Hühner in den Stall treibt oder eine Kaffeetasse auf den Tisch stellt. Die Landparzelle bei Basel, auf der das Paar einen Grossteil seiner Zeit verbringt, befindet sich seit 15 Jahren im Besitz von Mattias Familie. Hier lebt der studierte Agronom und Berufsschullehrer seinen kleinen Traum. Und teilt ihn mittlerweile mit seinem Partner Jason.
Als dieser vor gut einem Jahr erstmals vor ihm steht, um Eier von seinen Hühnern zu kaufen, hat Mattia keine Ahnung, wer Jason Brügger ist. Es ist auch nicht wichtig – ihn beeindruckt Jasons Interesse für die Landwirtschaft und für sein «Paradiesli». «Es fühlte sich sofort richtig an», sagt Mattia. «Und irgendwie erwachsen», ergänzt Jason. Bereits zwei Jahre vor dieser Begegnung hat Jason Brügger seine Artistenkostüme an den Nagel gehängt. Je länger, desto mehr nagen die Schattenseiten des glitzernden Showbusiness an ihm.
Auf der anderen Seite von Aufregung, Erfolg und Applaus stehen Stress, Erschöpfung und Einsamkeit. «Seit ich von zu Hause ausgezogen bin, habe ich jeden Geburtstag meiner Mutter verpasst. Und Weihnachten verbrachte ich nach der Show jeweils allein in irgendeinem Hotelzimmer.» Als vor drei Jahren Jasons Neffe, der Sohn seiner Schwester, zur Welt kommt, ist für ihn klar: «Ich will seine Geburtstage nicht auch verpassen.» Er kehrt Bühne und Manege den Rücken zu, es fällt ihm überraschend leicht: «Meine Sehnsucht nach Zeit für mich selbst, für meine Liebsten, nach einem ganz normalen Leben war überwältigend.»
Das «normale Leben» – für Jason eine aufregende Erfahrung – geniesst er in vollen Zügen. Er studiert eine Weile lang Psychologie, lässt sich zum Hundetrainer und Pilates-Instruktor ausbilden, arbeitet als Travel-Agent und als Klassenassistent an einer Schule. Und widmet seinen Liebsten ganz viel Zeit. Seit er Mattia kennt, verbringt das Paar jede freie Minute in dessen Familiengärtchen, das es inzwischen gemeinsam bewirtschaftet. Allem Dreck an den Schuhen zum Trotz: «Mit der Zeit fehlte mir doch die Kreativität», sagt Jason.
Und beschliesst: Die Show geht weiter. Damit, dass die Angebote wieder reinflattern, kaum dass er wieder gebucht werden kann, hat er nicht gerechnet. «Was für ein tolles Gefühl, so eine treue Fanbasis zu haben.» Seinen ersten grossen öffentlichen Auftritt gibts Anfang Mai an der Eröffnungsfeier des Inklusions-Monats. Trotz diesen erneuten Höhenflügen sieht Jason Brügger seine Zukunft ganz und gar am Boden. Sein grosser Traum: gemeinsam mit Mattia einen Bauernhof kaufen oder pachten. Und nebenher hin und wieder im Glitzerkostüm durch die Luft wirbeln. Manchmal erfüllen sich eben doch alle Träume, egal, wie gegensätzlich sie scheinen.