Ihre Eigentumswohnung in Bern ist ein helles und freundliches Kaleidoskop eines gelebten Lebens. Mit einer fantastischen Aussicht auf die Silhouette der Berner Altstadt. Überall hängen Fotografien von Lieblingsmenschen. Davor Heidi Maria Glössner: immer elegant, gut gelaunt, perfekt geschminkt und frisiert. Sie lebt zusammen mit ihren elfjährigen Maine-Coon-Katzen Wanda und Chili und feiert am 20. Oktober ihren 80. Geburtstag.
Macht die Zahl 80 Eindruck?
Ich finde es lustig, dass ich jetzt 80 bin. Die Zahl beeindruckt mich nicht. Weil ich zum Glück immer noch gesund bin.
Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?
Ganz bescheiden, da ich mitten in den Proben fürs Stück «Die Ärztin» in St. Gallen bin. Am Geburtstag mit meiner Familie in Luzern, am nächsten Abend mit ein paar wenigen Freunden in Bern.
Haben Sie ein Beauty-Geheimnis?
(Lacht.) Das werde ich oft gefragt. Ich kaufe weder teure Cremes, noch liess ich mich je botoxen. Übrigens das schlimmste Gift der Welt, finde ich. Und dann die Tierversuche dafür – grauenhaft! Ich glaube, man bleibt jung, wenn man interessiert am Leben bleibt. Und weil ich immer noch spielen darf. Ich habe den schönsten Beruf der Welt!
Wie wichtig ist Ihnen Ihr Aussehen?
Sehr wichtig. Ich wäre sonst ein totaler Komplexhaufen. Ich bin überhaupt nicht so selbstsicher, wie man vielleicht denkt. Auch finde ich mich nicht so schön, wie manche behaupten. Ohne Make-up würde mich kein Mensch auf der Strasse erkennen. Ich habe ein Gesicht, das keine Farbe hat. Deshalb gehe ich nie ohne Wimperntusche und Lippenstift aus dem Haus. Dann fühle ich mich besser.
Keine Beschwerden?
Doch. Ich habe seit acht Jahren eine Makuladegeneration – eine unheilbare Augenkrankheit. Und ich wurde gerade am linken Auge am grauen Star operiert. Jetzt sehe ich wieder ein bisschen besser, Gott sei Dank.
Arbeiten Sie nur noch aus reiner Lust am Spielen oder auch aus finanziellen Gründen?
Die Lust am Spielen ist immer noch riesengross. Aber sagen wir es so: Ich bin dankbar, dass ich noch einen Nebenjob habe. Sonst müsste ich mich viel mehr einschränken. Ich habe «nur» die AHV und eine kleine Pension.
Was haben Sie aus 80 Jahren Leben gelernt?
Früher hätte ich gesagt, eine gewisse Gelassenheit. Aber die ist mir in letzter Zeit wieder abhandengekommen. Zu viel Furchtbares passiert gerade auf der Welt: die Kriege, der Klimawandel und all die politischen Katastrophen. Ich kann schwer damit umgehen. Zum Glück lenkt mich das Theater ab.
Was ist Ihnen gelungen?
Mein Leben! Ich habe so ein schönes, abwechslungsreiches und spannendes Leben. Kürzlich habe ich in einem Interview gesagt: «Wenn mein Leben heute Abend zu Ende wäre, dann wäre dies okay.» Denn ich habe so viel erlebt. Es kann gar nicht noch mehr Aufregendes passieren.
Was ist weniger geglückt?
Gut, man kann sagen, da ich eine geschiedene Frau bin, alleinerziehend war, ist es mir nicht gelungen, eine harmonische Familie aufzubauen.
Es klingelt an der Haustür. Heidi Maria Glössner begrüsst ihren Part-ner, den Architekten Adrian Strauss. Kennengelernt haben sie sich vor sechs Jahren. «Ich weiss es noch genau: Es war der 22. Mai 2017 um 14 Uhr», erzählt der 77-Jährige lächelnd, nachdem er auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz genommen hat. «Wir trafen uns zum Lunch. Es war quasi ein Blind Date. Verkuppelt hat uns meine Schwiegertochter. Sie fand, ich solle nach meiner Scheidung wieder jemanden kennenlernen.» Er habe Heidi Maria Glössner früher einmal gesehen – von Weitem. Und seiner Schwiegertochter damals gesagt, dass dieser Typ Frau ihm gefallen würde. Die Schwiegertochter kannte Heidi Maria Glössner. So führte das eine zum anderen.
Was für eine Beziehung führen Sie beide?
Seit meine grosse Liebe, Giovanni, vor zehn Jahren gestorben ist, kann ich mich nicht mehr so richtig verlieben. Wir waren 23 Jahre lang zusammen. Adrian und ich sind Herzensfreunde. Wir sind zwar kein klassisches Liebespaar, aber er ist mein Partner. Uns verbindet eine innige Freundschaft.
Was ist das Schwierigste mit 80?
Das Abschiednehmen von Menschen, die man gernhat. Und das Abschiednehmen von der Libido. Die Körperlichkeit steht nicht mehr an erster Stelle wie früher in den turbulenten Jahren bis zu meinem 75. Geburtstag. Das Kribbeln zwischen Mann und Frau ist mir abhandengekommen. Das ist ein bisschen traurig.
Und das Schönste?
Dass man machen darf, was man will. Dass man sagen darf, was man denkt, und nicht mehr auf die Meinung anderer Rücksicht nehmen muss.
Bereuen Sie etwas?
Nein. Alles gehört zu mir. Auch die Fehler, die ich gemacht habe. Auch wenn manche Dinge schmerzhaft waren, habe ich gelernt, zu akzeptieren. Ich habe grosses Vertrauen ins Schicksal und denke, es passiert alles so, wie es muss.
Haben Sie Glück gehabt in Ihrem Leben?
Unbedingt. Mir ist immer alles leichtgefallen. Schon in der Schule. Ich bin so liebevoll aufgezogen worden, deshalb habe ich mir immer gesagt, das reicht für ein ganzes Leben. Ich war immer ein grosszügiger Mensch. Und ich habe das Gefühl, das wurde mir x-fach zurückgeschenkt.
Trotzdem: Das Leben ist nicht immer ein Ponyhof. Gab es auch Schicksalsschläge?
Man kann sagen, dass ich schon vor meiner Geburt einen Schicksalsschlag hatte. Meine deutsche Mutter musste –mit mir schwanger – während des Zweiten Weltkriegs vor den Bomben in den Luftschutzkeller fliehen. Als kleines Kind, bereits in der Schweiz, hatte ich vier Jahre lang Angst-zustände. Das wurde damals schon als pränatales Trauma diagnostiziert. Als ich mit fünf in die Ferien zu meiner Mutter nach Deutschland fuhr, gab es noch immer viele Ruinen. Ich hatte Albträume, wollte nicht mehr zu meiner leiblichen Mutter, sondern nur noch zurück in die schöne, heile Schweiz.
Dieses Mal klingelt es nicht an der Haustür, sondern es miaut im Garten. Wanda, die Katze, will rein. Obwohl Heidi Maria Glössner eine Katzentreppe vom Parterre in ihre Wohnung im ersten Stock angebracht hat, klappt das nicht mit den Tierchen. Mehrmals täglich geht sie die Treppen rauf und runter, um die Katzen raus- und reinzulassen. Auch dies halte sie fit, schmunzelt Heidi Maria Glössner.
«Uns verbindet eine innige Freundschaft»
Heidi Maria Glössner
Seit 55 Jahren stehen Sie auf der Bühne. Für welche Charaktere wurden Sie gebucht?
Ich habe quer durch die ganze Theaterliteratur gespielt. In grossen Tragödien, in grossen Klassikern. Aber auch in frivolen Boulevardstücken wie beispielsweise bei «Irma la Douce». Im Film werden Typen gecastet. Da bin ich meistens für die elegante Dame abonniert. Im Theater bekommt man die Chance für unterschiedliche Rollen. Das macht das Leben so bunt.
Was treibt Sie an, auch mit 80 immer noch das Beste auf der Bühne zu geben?
Ich muss gar keine Kraft mobilisieren, es ist das Interesse. Das Interesse an den Menschen und ihren Geschichten.
Gibt es eine Lieblingsrolle?
Ja! Eine ganz wesentliche Rolle für mich war die der Maria Callas in «Meisterklasse», der Schweizer Erstaufführung 1997. Die Einsamkeit dieser Frau in ihren letzten Jahren hat mich sehr bewegt. Wenn sie singt, dann bekomme ich Hühnerhaut. Ihre wunderbare Stim-me hat sie ihrer grossen Liebe, Aristoteles Onassis, geopfert. Weil er Opern nicht mochte und sie nächtelange mit ihm durchfeiern musste. Für keine andere Rolle habe ich so viele Komplimente bekommen. Meine wichtigste Rolle überhaupt.
Warum sind Sie nie nach Hollywood gegangen?
(Lacht laut.) Dort habe ich ja angefangen! Pardon, ein kleiner Witz. Trotzdem: Mit 21 besuchte ich meinen Bruder in Kalifornien. Er lebte dort. Durch eine Freundin, deren Vater bei Universal arbeitete, kam ich in die Studios rein. Und durfte bei den Dreharbeiten mit Doris Day und Rock Hudson zuschauen. Als ich am Set einmal sagte, dass ich Schauspielerin werden möchte, sagte mir Doris Day: «Heidi, wir helfen dir. Deine blauen Augen auf Technicolor, das kommt gut.» Aber davor hätte ich Angst gehabt. Ausserdem fand ich die Dreharbeiten so langweilig. Ich wollte Theater spielen. Der Livemoment auf der Bühne, der Kontakt mit dem Publikum – das fasziniert mich bis heute.
Und wieder klingelt es. Dieses Mal ist es das Telefon. Am Apparat ihr Sohn Volker. Heidi Maria Glössner wurde mit 28 Mutter. Jetzt ist sie Grossmami von zwei Mädchen, sechs und acht Jahre alt.
Macht es Spass, Grossmutter zu sein?
Aber ja! Oft habe ich aber ein schlechtes Gewissen, weil ich immer noch viel arbeite und deshalb nicht so oft zur Verfügung stehen kann. Umso mehr freue ich mich, wenn ich in den Ferien Zeit für meine Enkelinnen habe.
Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema. Was denken Sie über Sterbehilfe?
Ich bin total dafür. Davon handelt übrigens auch das nächste Stück «Gott» von Ferdinand von Schirach, in dem ich in St. Gallen mitspiele. In der Schweiz ist das Gesetz so, dass das Recht auf den eigenen Tod ein Freiheitsrecht des Men-schen ist. Das möchte ich auch für mich beanspruchen. Wenn ich absolut nicht mehr leben möchte, hoffe ich, das Medikament zu bekommen.