Die Kinder haben Hunger! Samira, 17, Matteo, 15, und Tamara, 12, sind soeben von ihrem Surfkurs auf dem Heidsee zurückgekommen. «Der Wind war nicht schlecht», meint Matteo. «Aber es ist nicht ganz einfach, sich auf dem Brett zu halten.»
Nun gibt es im Garten des Ferienhauses auf der Lenzerheide Cervelats vom Feuer. Am Nachmittag wollen Magdalena und Roberto Martullo in den Bündner Bergen wandern gehen. Die Kinder sind mässig motiviert – ganz normale Teenager eben. «Inzwischen sind wir ihnen manchmal peinlich», meint Roberto Martullo, 57, gelassen. «Das war in unserer Jugend genau gleich.»
Die ganzen Sommerferien verbrachte Familie Martullo-Blocher auf der Lenzerheide, wo sie vor fünf Jahren ein Ferienhaus gebaut hat. «Hier gehen wir jeweils zur Alp», scherzt Magdalena Martullo-Blocher, 50. «Auf immerhin 1600 Meter über Meer.»
Auch die Hühner von Tamara sind mit auf die Alp gekommen. Sie ist die Jüngste der Martullo-Kinder. Während Samira ein modisches T-Shirt trägt und Matteo eine coole Sonnenbrille, schmiegt sich Tamara in einem unbeobachteten Moment an ihren Vater. «Die Zwerghühner habe ich zu Hause mit einer Wärmelampe ausgebrütet», erzählt sie. Nun gackern diese zufrieden unter einer Tanne.
Daneben steht ein Hühnerstall für die Nacht – auch wenn der Fuchs noch nie vorbeigekommen ist. Dafür gibt es hier Hasen, Rehe und Eichhörnchen. Und im Winter hatte sich zum Leidwesen der Martullos ein Wiesel in der Hausfassade eingenistet.
Inzwischen ist das Wiesel wieder vertrieben. Das gleiche Schicksal droht SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo: Die Bündner Parteien haben sich für die Nationalratswahlen vom Oktober in zwei Listenverbindungen zusammengeschlossen – nur die SVP muss alleine antreten. Das Ziel ist klar: Die anderen Parteien wollen der SVP den zweiten Sitz abnehmen, den Martullo vor vier Jahren überraschend gewonnen hat.
Ein Bündnis mit der SVP sei für seine Partei nie infrage gekommen, sagt CVP-Nationalrat Martin Candinas, 39. «Das unsägliche SVP-Plakat mit dem Apfel und den Maden zeigt eindrücklich, dass dies der richtige Entscheid war.»
Ob Magdalena Martullo die Wiederwahl in den Nationalrat schafft, ist völlig offen. Doch sie scheint das gelassen zu nehmen: «Es wäre ja einfacher, wenn ich nicht mehr nach Bern müsste», sagt sie, ganz in der Tradition ihres Vaters Christoph Blocher, 78. Dieser betonte stets, die Politik sei mehr Pflicht als Vergnügen.
Natürlich macht Blochers Tochter trotzdem alles, um wiedergewählt zu werden. Sie besucht unzählige Veranstaltungen, kämpft in Bern erfolgreich für höhere Wasserzinsen, die Berglandwirtschaft und die Tourismusförderung. Und sie spendiert als EMS-Chefin am Tag der offenen Tür 12 000 Bündner Puura-Chalbsbratwürste.
Ihr eigenes, selbstbewusstes Fazit: «Die Bündner haben von mir mehr erwartet als von anderen Nationalräten. Zu Recht.» Kritischer sieht das die Bündner SP-Nationalrätin Silva Semadeni, 67. Magdalena Martullo kenne sich zwar gut aus in ihren Dossiers, meint sie. Fügt aber an: «Man merkt, dass Frau Martullo in Graubünden nicht verwurzelt ist.» Der Alltag in den vielen Bündner Tälern, wo man auch Italienisch und Romanisch spreche, sei ihr nicht vertraut. «Sie versucht, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, indem sie als grosszügige Spenderin auftritt.»
Martullo widerspricht: «EMS unterstützt seit je zahlreiche grössere und kleinere Projekte, die der Öffentlichkeit zugutekommen.» Und um ihren Wohnsitz offiziell vom Kanton Zürich nach Graubünden zu verlegen, müsste Magdalena Martullo die Kinder aus der Schule nehmen – was sie nicht will. «Die einzige andere Möglichkeit wäre, mich von meinem Mann zu trennen», lacht sie. «Das will ich natürlich auch nicht.»
Die Kinder werden noch ein paar Jahre in der Schule bleiben: Mit Tamara ist die Jüngste gerade neu im Gymnasium. Am Mittag kommt nun niemand mehr zum Essen nach Hause. Bisher hatte Vater Roberto Martullo jeweils gekocht und den Kindern bei den Hausaufgaben geholfen. Nun hat er wieder mehr Freiheiten. Diese nutzt er für sein Geschäft als Personalvermittler.
Roberto Martullo ist auch zuständig für die Interviews mit Mitarbeitern, die bei der EMS-Chemie im direkten Umfeld seiner Frau tätig sind. «Schliesslich kenne ich sie so gut wie kaum jemand», sagt er. Tatsächlich: Ob in der Hängematte vor dem Ferienhaus oder beim Kuss auf dem Sessellift: Roberto und seine Magdalena machen einen harmonischen Eindruck.
Gerade hat sich Roberto den neuen Jaguar I-Pace gekauft – mit Elektromotor. «Ich habe meine Frau nicht um Erlaubnis gefragt», betont er. Magdalena Martullo, mit über vier Milliarden Franken Vermögen eine der reichsten Schweizerinnen, ist trotzdem zufrieden: «In diesem Jaguar gibt es viele Teile der EMS-Chemie, ein tolles Auto.»
Die Familie Martullo kämpft also gegen den Klimawandel – obwohl die SVP von diesem nichts wissen will? Magdalena Martullo sagt: «Wir gehen bei der EMS-Chemie seit je sparsam mit Ressourcen um. So haben wir 85 Prozent des CO2-Ausstosses reduziert und unseren Wasserverbrauch halbiert.»
Inzwischen ist die ganze Familie mit dem Sessellift auf den Piz Scalottas gefahren, 2324 m ü. M. Über dem Parpaner Rothorn hängen ein paar weisse Wolken. Von hier führt der Weg runter zur June Hütte. «So, los gehts, schneller», ruft Magdalena Martullo ihren Kindern zu. Diese sind, wie Teenager in diesem Alter eben sind: etwas langsamer. «Du musst nicht immer so rennen», gibt Samira ihrer Mutter zur Antwort.
In der Hütte geniesst Magdalena Martullo-Blocher ein herzhaftes Stück Apfelkuchen. «Solche Ausflüge mit der Familie sind der wahre Luxus für mich», seufzt sie zufrieden. Auch die drei Teenager bestellen ein Dessert. Die Wanderung ins Tal müssen die Eltern jedoch alleine machen. Die Kinder ziehen es vor, mit der Sesselbahn zu fahren. Ganz normale Teenager eben.