Das Kopftuch, das Mahbube Ibrahimi (20) aus dem Iran mitgebracht hat, benutzt sie heute als Foulard. Vor zwei Jahren ist die gebürtige Afghanin aus dem Iran, wo sie und ihre Familie aus politischen Gründen verfolgt wurden, über Griechenland in die Schweiz geflüchtet. Die junge Frau lebt in Zürich in einer Wohngemeinschaft, macht bald Matura, danach will sie hier Medizin studieren. «In der Schweiz fühle ich mich zum ersten Mal richtig frei und daheim.»
Anders die Situation in ihrem Heimatland. Seit der Rückkehr an die Macht 2021 haben die Taliban die Rechte von Mädchen und Frauen in Afghanistan massiv beschnitten. Ohne männliche Begleitung dürfen sie nicht spazieren gehen oder einkaufen. Die Schule besuchen dürfen sie nur bis zur sechsten Klasse. Über eine Million Mädchen sind davon betroffen. «Sie haben keine berufliche Zukunft, werden viel zu früh verheiratet, bekommen viel zu jung Kinder, viele sterben bei der Geburt.»
Hilfsprojekt «Wild Flower»
Deshalb gründet Ibrahimi mit einer Schweizer Freundin vor ein paar Monaten das Hilfsprojekt Wild Flower, wilde Blume. Per Handy geben sie von der Schweiz aus Mädchen und Frauen in Afghanistan Onlineunterricht. Inzwischen sind es schon über 100 Frauen zwischen 12 und 40 Jahren, die von 50 Freiwilligen unterrichtet werden. Unter anderem in Mathematik, Gesundheit, Englisch, Informatik – auch Aufklärung über Frauenrechte gehört dazu.
Der Fernunterricht ist für die Afghaninnen gratis: Ihr Internetzugang wird von der Schweiz aus bezahlt. Finanziert wird Wild Flower durch Spenden und Benefizanlässe. «Die Warteliste von interessierten Schülerinnen ist lang», sagt Ibrahimi, «und wir sind froh um weitere Freiwillige.»
Wissen als Schlüssel zur Freiheit
Die Frauen in ihrer Heimat seien wissbegierig, «sie wollen lernen und sich so emanzipieren. Dank dem Fernunterricht finden sie neue Freunde. Wild Flower ist auch ein Fenster zur Welt.»
Eine wilde Blume könne sich durch Asphalt kämpfen und komme dann zum Blühen, sinniert Ibrahimi. Auch afghanische Frauen seien wilde Blumen. «Sie sitzen in ihren Häusern fest und wollen sich trotzdem weiterbilden.» Als Dank hat ihr eine Lernende ein Buch in der Landessprache Farsi geschickt. Titel: «Gutenachtgeschichten für rebellische Mädchen».
Workshop für afghanische Männer geplant
Werden sie von der Sittenpolizei erwischt, müssen die Schülerinnen mit harten Strafen rechnen. Die Frauen können oft nur am Unterricht teilnehmen, wenn die Männer bei der Arbeit sind. Eine Schülerin wurde von ihrem Vater geschlagen, als er merkte, was seine Tochter tat. Es gibt aber auch viele Familienväter, die ihre Töchter unterstützen.
Mahbube Ibrahimi erlebte diesen Hass gegenüber Frauen sogar hier in der Schweiz: Als sie in einem Asylzentrum ohne Kopftuch vor die Tür wollte, drohten ihr junge Afghanen mit dem Tod.
Doch der Widerstand wächst – wie eine wilde Blume. Ibrahimis nächstes Projekt: Workshops für Afghanen in der Schweiz mit dem Thema Gleichberechtigung von Männern und Frauen. «Das soll meine Landsmänner bei ihrer Integration unterstützen.» Sie lächelt. «Auch sie sind auf eine Art wilde Blumen.»