Zuerst das Vergnügen, dann die Arbeit. Der Termin zu Hause bei Nik Hartmann in Buonas ZG beginnt mit einem Mittagessen: grilliertes Lamm, drei verschiedene Salate, selbst gemachten Holundersirup. Fürs Interview zündet er sich eine Pfeife an.
Nik Hartmann, die Schlagzeile Ihres ersten Interviews 2005 in der Schweizer Illustrierten lautete: «Ich höre gerade auf zu rauchen».
Ich habe stets ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich Raucher bin. Jetzt kann ich das ja zugeben. Immerhin, 2017 habe ich aufgehört.
Und was ist jetzt mit der Pfeife?
Pfeife rauche ich seit einem Jahr höchstens einmal pro Woche. Pfeiferauchen ist ein guter Indikator: Wenn ich Lust auf eine Pfeife habe, bedeutet es, dass ich sehr entspannt bin.
Die Journalistin Margrit Sprecher hat Sie in der Zeitung «Die Zeit» einst als mittelgross, mitteljung und mittelhübsch beschrieben.
Ich weiss noch, wie enttäuscht und beleidigt ich mich gefühlt habe, als ich das gelesen habe. Mit etwas Distanz muss ich sagen, dass mir diese Frau voraus war. Ich war oder bin in vielen Dingen mittelmässig oder mittig.
Auch politisch? Ihre Frau Carla ist in Risch ZG Friedensrichterin und CVP-Mitglied.
Und meine Eltern sind in der FDP. Ich selber bin nie gerne Vereinsmitglied irgendwo gewesen. Ich fühle mich dann so verpflichtet. Politisch wäre ich in einer Mittepartei richtig. Oder in einer wirtschaftsfreundlichen Partei am linken Flügel.
Sind Sie religiös?
Nein. Ein wenig vielleicht. Ich bin Mitglied der Kirche und würde es nicht wagen auszutreten. Ich attestiere der Kirche auch bei uns im Dorf etwa, dass sie eine wichtige gesellschaftliche Rolle innehat. Es ist schön, auch mal einen Gottesdienst zu besuchen. Aber nicht, um in den Himmel zu kommen. Von Kind auf faszinieren mich das Judentum, Israel. Ich habe schon oft zu Carla gesagt, dass ich in einem früheren Leben vielleicht Jude gewesen sein muss.
Das müssen Sie uns erklären.
Es ist ein Gefühl. Und ich möchte das nicht politisch verstanden wissen. Die Kultur, die Musik, das Essen – mich fasziniert die Lebensweise. Ich schaue im Moment auf Netflix alle jüdischen und palästinensischen Serien. Es ist eine mir fremde Welt – und doch ist sie mir auf eigenartige Weise sehr nah.
Meinen Sie das orthodoxe Judentum?
Nein, sobald die Religiosität kategorisch wird, bin ich draussen. Es sind auch nicht die religiösen Riten, denen ich mich besonders hingezogen fühle.
Dafür sind Sie ein Mensch mit einer ziemlich grossen Leidenschaft für Kunst. In Ihrem Haus gibts keine weissen Wände.
Schon meine Eltern haben mich oft an Ausstellungen mitgenommen. Die Atmosphäre in Ateliers fand ich magisch. Das sind Orte, an denen aus dem Nichts wunderschöne Dinge entstehen.
Sind Sie ein verhinderter Künstler?
Ach, ich war immer zu vernünftig und wollte es allen recht machen. Dabei haben mich bildende Künstler, Musiker oder Schriftsteller schon als Bub fasziniert. Stattdessen habe ich so etwas Langweiliges wie Jus studiert.
Waren Sie selber talentiert?
Ich hätte wahrscheinlich Berufsmusiker werden können. An der Querflöte war ich richtig gut, obwohl ich wenig geübt habe. Mitte 20 habe ich das Jus-Studium geschmissen und bin zum Radio gegangen, um ein wenig Rock ’n’ Roll in mein Leben zu bringen. Dort war ich der Musikbranche nahe, hatte aber einen gesicherten Monatslohn. Es stimmt schon, ich bleibe immer schön mittig, nie zu extrem.
In Ihrem Haus hängen viele Bilder, auch von sehr namhaften Künstlern wie Franz Gertsch.
Ich habe zu jedem Bild eine besondere Beziehung. Vom bemalten Putzlumpen von Gabi Fuhrimann bis zum Holzschnitt von Franz Gertsch, dem in meiner alten Heimat Burgdorf ein Museum gewidmet ist. Es ist schön, wenn man die wertvolle Arbeit eines anderen Menschen zu sich nach Hause nehmen kann. Und weisse Wände sind ja wirklich eine Verschwendung.
Hat Ihre Frau Carla ein Vetorecht, wenn Sie teure Kunst kaufen möchten?
Wir machen jeweils einen Kassensturz und schauen, was möglich ist. Das letzte Bild, das ich unbedingt wollte, war ein Gemälde von Chrissy Angliker. Und es lag eigentlich nicht drin. Gekauft haben wir es trotzdem. Dafür leisten wir uns sonst wenig Luxus.
Der Eames-Sessel in der Stube ist nicht günstig.
Den habe ich mir vor 20 Jahren von meinem ersten Lohn beim Fernsehen gekauft. Den Esstisch und die Stühle haben wir von meinen Eltern übernommen. Das Sideboard ist von Carlas Grossmutter, das haben wir restauriert. Ich finde, wir haben eine gute Mischung zwischen Wohnlichkeit und Design. Ich mag es nicht, wenn es aussieht wie in einem Showroom eines Möbelhauses.
Stichwort «zu Hause bleiben»: Sie haben kürzlich in einem Interview Wanderer, die den Lockdown nicht einhalten, «Tuble» genannt. So deutliche Worte hört man von Ihnen nie.
Es war ein Telefoninterview, das ganz am Anfang des Lockdown stattfand. Niemand wusste, was uns erwartet. Und es ging um die Leute, die Motorrad fahren oder wandern gehen. Ich habe etwas salopp gesagt, das sei doch doof und diese Leute seien doch «ä chli Tuble».
Bereuen Sie die Aussage?
Nein. Es war nicht halb so scharf gemeint, wie es rüberkam. Ich staune in solchen Momenten eher darüber, dass meine Aussagen überhaupt von Bedeutung sind.
Kein Wunder, man kennt Sie im ganzen Land.
Ich bin höchstens eine Lokalprominenz, schon im Welschland kennt mich kein Mensch. Und für diese Bekanntheit habe ich meiner Meinung nach nicht viel geleistet. Denn auf einem Bildschirm zu erscheinen, ist heute keine Kunst mehr. Das erklärt vielleicht auch meinen Wunsch, SRF zu verlassen und etwas anderes zu leisten.
Sie arbeiten künftig für CH Media, wo Sie in einer Co-Leitung die Eigenproduktionen von 3+, 4+, 5+ und 6+, TV24, TV25 und S1 verantworten. Was die Aufmerksamkeit betrifft, ist das kein Aufstieg. Wieso also dieser Schritt?
Manchmal verliebt man sich einfach neu! Ich war 20 Jahre beim Schweizer Fernsehen und kann hinter alle Aufgaben, die man als Moderator erfüllen kann, ein Häkchen machen. Ich wollte nicht weg vom Schweizer Fernsehen, ich wollte an einen neuen Ort.
Was können Sie dort tun, was beim Schweizer Fernsehen nicht möglich war?
Sendungen produzieren und Verantwortung übernehmen, kreativ sein. Ich habe ein unternehmerisches Naturell, das ich bei CH Media ausleben kann.
Bei SRF gab es diese Möglichkeiten nicht?
Ich habe bei SRF so viel machen und erleben können, da fand ich es schwierig, Forderungen zu stellen. Und habe immer das Gefühl, dass andere selber darauf kommen könnten. Ich spürte schon länger, dass ich reif für einen radikalen Schritt bin. Mir graute stets davor, irgendwann nicht mehr genug gefragt zu sein. Denn die nächste Generation kommt zwangsläufig. Da läuten meine Alarmglocken früher als vielleicht bei anderen.
Von der heilen Wanderwelt zu seichten Realityshows wie «Der Bachelor». Manche sprechen da von Trash. Schauen Sie diese Sendungen?
Nein, bis zur Unterschrift bei CH Media nicht. Nun haben wir als Familie angefangen, «Die Bachelorette» zu schauen. Und wissen Sie was? Es hat uns gepackt (lacht)! Ich muss mich da überhaupt nicht verstellen. Auch Carla geht voll mit und regt sich immer auf, wenn die Bachelorette den einen oder andern Kandidaten aus dem Rennen nimmt. Man muss auch nicht alles immer so wichtig nehmen. Wir sprechen von TV-Unterhaltung, nicht von Operationen am offenen Herz.
Fassen wir mal zusammen: Sie haben ein künstlerisches Flair, mögen aber Trash. Sie sind Stadtmensch und Landmensch. Und Bewegungsmensch und Stubenhocker.
Ich bin alles, aber alles zu seiner Zeit. Wahrscheinlich, weil ich Zwillinge im Sternzeichen bin. Ich war auch nie derjenige, der nur einen einzigen Musikstil gut fand, nicht mal als Teenager.
Hat man als TV-Konsument ein falsches Bild von Nik Hartmann?
Nein, eher ein unvollständiges. Ich bin ja eher zufällig in der Volkskultur gelandet, so hiess der Bereich damals. Ich bekam dort eine Chance, obwohl ich zuvor nie eine Sendung gesehen hatte. Ich hätte problemlos auch bei der Kultur landen können oder bei den Nachrichten. Nur beim Sport wäre ich am falschen Ort gewesen. Fussball interessiert mich noch heute kein bisschen.
Letzte Frage: Wieso sind Sie ein typischer Schweizer? Und wieso nicht?
Ui, das ist schwierig. Ich bin ein typischer Schweizer, weil ich mich nicht schäme, ab und zu ein Bünzli zu sein. Und ich bin kein typischer Schweizer, weil ich Roger Federer nicht vergöttere.
Sie wandern gerade auf dünnem helvetischem Eis!
Lassen Sie es mich anders formulieren. Ich bin untypisch schweizerisch, weil ich Roger Federer nicht über alles verehre. Weil es mir suspekt ist, wenn jemand so gross ist. Und das wiederum ist sicher typisch schweizerisch (lacht).