Marcel Huwyler, Sie schreiben in der Schweizer Illustrierten Woche für Woche «Die grosse Reportage». Nun werden Sie noch grösser – mit Ihrem Roman. Warum?
Ich werde alt und brauche das Geld. Nein, Chabis. Eine grosse Reportage zu schreiben, ist wundervoll – aber begrenzt: auf eine gute Geschichte, wenige Protagonisten und zwölf Seiten. Ich hatte mal Lust auf mehr. Jetzt ist es eine böse Geschichte mit viel Personal auf 381 Seiten.
«Frau Morgenstern und das Böse» heisst Ihr Krimi. Wann zeigt sich das Böse in Ihnen?
Laut-Telefonierer, Füsse-auf-den-
Tisch-Leger und sturzbetroffene Supermoralisten versetzen mich in Mordslaune.
Sie haben als SI-Redaktor die Fragen für dieses «Persönliche Interview» erfunden. Vor welcher fürchten Sie sich selbst am meisten?
Vor der, die nach meinem Spitznamen aus der Kindheit fragt. Einmal hier preisgegeben, befürchte ich ein Revival.
Was für ein Hintergrundbild hat Ihr Handydisplay?
Meine Redaktions-Visitenkarte, weil ich die eigene Büro-Telefonnummer nie auswendig kann.
Was in Ihrem Alltag müssten Sie aus ökologischer Sicht verändern?
Weniger lang duschen. Ich ersinne unter der Brause halbe Bücher.
Welches Gemüse gehört verboten?
Chicorée. Der hilft allerhöchstens beim Schummeln am Salat-Buffet im Restaurant. Stellt man die Blätter in der kleinsten, preiswertesten Schale hochkant am Rand auf, kann man unverschämt viel anderen Salat hineinschichten. Als Student habe ich so überlebt.
Was für ein Gemüse wären Sie?
Ein Cervelat.
Sie dürfen Ihren Wohnort neu designen: Aus welchen Orten setzen Sie ihn zusammen?
Ich nehme das Heimatgefühl des Aargauer Freiamts, den Ägerisee, die Stille der Walliser Berge, den Meerduft Gozos, die Berner Lauben, den Urner Dialekt, Stockholms Altstadt, Zugs Steuersatz und die mit cognacdunklem Holz und Gemütlichkeit ausgestatteten Buchhandlungen New Yorks.
Ihr Berufswunsch als Kind?
Posthalter, Tarzan, Tourist, Komiker oder Kasperlitheaterautor. Geworden bin ich schliesslich eine Mischung aus alldem.
Als Sie Kind waren: Was haben Ihre Eltern Ihnen da immer gesagt?
Der Satz des Vaters – «Er kann schon, wenn er will» – trieb mich zur Weissglut. Jener meiner Mutter – «Verzell kei Gschichte!» – in den Journalismus.
Welche Bücher, Musik und Filme haben Ihr Leben beeinflusst?
Die Bücher von Astrid Lindgren und W. Somerset Maugham wegen deren Klar- und Wahr
heit. Der Film «Cinema Paradiso», weil er – selbst nach tausend Mal anschauen – paradiesisch rumort. Und die Musik von Mozart, Keith Jarrett und Abba, weil sie mein Gemüt messbar rührt.
Welche Pille sollte erfunden werden?
«Die Pille danach» für sämtliche kleinen und grossen Sünden.
Als Sie 16 Jahre alt waren: Wie sah da Ihr Zimmer aus?
Die Wände waren voller Poster von Töffrennfahrern. Ich interessierte mich zwar absolut null für Motorsport, hatte die Poster aber massenweise geschenkt bekommen und besass sonst nichts zum Aufhängen.
Der beste Ratschlag, den Sie je bekommen haben?
Es sind zwei. Der erste stammt von einem alten Bergführer: Wenn du dich zu einer schwerwiegenden Entscheidung durchgerungen hast, wird dich im allerletzten Moment nochmals ein Riesenzweifel plagen – den musst du ignorieren. Dann kommt alles gut. Der zweite Ratschlag: Mach immer ein Mittagsschläfchen!
Haben Sie ein Tattoo?
Nein. Ich habe mit Dingen, die ewig halten sollen, schlechte Erfahrungen gemacht.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Schulschatz?
Caroline. Wir waren sechs und küssten uns auf dem Weg zum Kindergarten in einem Maisfeld. Es kribbelte mich am ganzen
Körper, bis ich merkte, dass ich in einem Ameisenhaufen stand.
Was wird man in 100 Jahren über unsere Epoche sagen? Wofür wird man uns loben? Wofür verurteilen?
Loben für: die Globalisierung,
die Transplantationsmedizin, die Erfindung des Staubsaugerroboters und Beat Richners friedensnobelpreiswürdige Kinderspitäler in Kambodscha. Verurteilen für: die Globalisierung, Billigflüge, Minigolfanlagen, die Rotzkotzmotz-Zentrifuge Twitter und die Gratiskultur, besonders jene der Medien.
Über welches Geschenk haben Sie sich zuletzt gefreut?
Einen Granitstein meiner Söhne. Mit dem Vermerk: «Damit es dir die Blätter deines Buch-Manuskriptes nicht wie im Film ‹Love Actually› in den Teich weht.»
Ihr Spitzname als Kind?
Mani.