Dass das Theater ihre Welt ist, wird in der Wohnung von Marlise Fischer, 68, schnell klar. Am Fenster ihres Arbeitszimmers hängt «s Vreneli». Lebensgross und sorgfältig auf einem Kunststoffkleiderbügel drapiert, baumelt die Puppe von der Gardinenleiste. Mit ihr steht die Schauspielerin aktuell auf der Bühne ihres Theaters überLand, sie tourt mit einem Stück Schweizer Volksgut aus dem bekannten Guggisberglied durch die Schweiz.
Dass ihr der jüngste Abstecher zum Film gleich einen Preis einbringt, damit rechnete die Bernerin nicht. In der TV-Dramaserie «Neumatt» spielt Fischer eine Bäuerin, die nach dem Suizid des Sohnes weiter mit Schwiegertochter und Enkelkind auf dem Hof lebt. Als Grossmutter überzeugt Fischer derart, dass sie in Solothurn den Prix Swissperform (ehemals Schweizer Fernsehfilmpreis) als beste Nebendarstellerin erhält. Sie verleihe ihrer Figur «eine faszinierende und eindringliche Vitalität», so die Jury. «Zuerst glaubte ich es nicht, dachte an einen Scherz, den man sich mit mir erlaubt. Aber ich freue mich sehr über die Auszeichnung.»
Mehr als 45 Jahre Theatererfahrung prägen Fischer. Sie steht in der Heimat auf Bühnen in Bern, Luzern, Chur und Zürich, spielt in Deutschland in Frankfurt am Main und Berlin. Dabei beginnt ihre Karriere nach der Schauspielausbildung eher stotternd. «Ich wollte sofort nach Deutschland, fand aber kein Engagement», erinnert sie sich. Aufgewachsen ist Fischer in einer kleinbürgerlichen Familie im Eisenbahnerquartier am Berner Stadtrand. Der Vater ist Grafiker bei den SBB, die Mutter kümmert sich «mit Leib und Seele» um drei Töchter. «Ich war das Nesthäkchen.»
Ihr Interesse fürs Schauspiel wecken bei Marlise zwei Darstellerinnen des Stadttheaters Bern, die an ihrer Schule ein Stück über Maria Stuart und Königin Elisabeth aufführen. «Die Präsenz dieser beiden Frauen hinterliess bei mir einen tiefen Eindruck.»
Ihre Ausbildung am damaligen Konservatorium Bern, der heutigen Hochschule der Künste, finanziert Fischer aus eigener Tasche. Wie zu der Zeit üblich, beharren ihre Eltern darauf, dass die Tochter zuerst etwas Anständiges lernt. «Nach der Handelsschule arbeitete ich dann, bis ich das benötigte Geld beisammen hatte.»
Ihre Liebe zum Theater gipfelt darin, dass Marlise Fischer 2008 gemeinsam mit vier Kollegen das Schweizer Autorentheater Langenthal überLand gründet. In den vergangenen 13 Jahren produzieren sie 16 Uraufführungen. Besonders stolz ist Fischer darauf, dass so berühmte Autoren wie Franz Hohler, 78, und Charles Lewinsky, 75, Stücke für die kleine Schauspieltruppe geschrieben haben.
Obschon Fischer seit drei Jahren in Rente ist, Ruhestand ist ihr fremd. Sie arbeitet bereits am nächsten Theaterprojekt: «Die Geldwäscher» kommt im Mai auf die Bühne. Erzählt wird die Geschichte des Schweizer Whistleblowers Rudolf Elmer, Ex-Manager der Bank Julius Bär.