Mit einem Lächeln klappt Fabienne Bamert, 32, das Fotoalbum auf ihrem Schoss zu. Es sind schöne, unbeschwerte Erinnerungen, diese Bilder von früher, wie sie als Kind mit «Mömel» herumtollte, Ski fuhr, badete. Auf dem Handy zeigt sie aktuelle Fotos, auf denen «Mömel» im Rollstuhl sitzt. «Mömel», so nennt die «Samschtig-Jass»-Moderatorin liebevoll ihre Mutter Edith. Sie lebt mit ihren gerade mal 62 Jahren im Alten- und Betagtenheim in Oberägeri ZG.
Fabienne Bamert ist sechs Jahre alt, als sie von der unheilbaren Nervenkrankheit ihrer Mutter erfährt. Ihre Eltern leben da bereits getrennt. «Mein Bruder und ich wussten von Beginn an, dass sie an Multipler Sklerose leidet. Mami ging immer offen damit um und hat sich nie beklagt – bis heute kein einziges Mal.» Anfangs weiss die Mutter ihre körperlichen Beeinträchtigungen wie ein lahmendes Bein noch clever zu kaschieren. Bis dann, als kurze Spaziergänge nicht mehr möglich sind. «Ihre körperliche Verfassung verschlechterte sich stark. Aber für jedes neue Problem gabs stets eine Lösung, wir wussten uns zu helfen.»
«Ihre Patientenverfügung ist gemacht, selbst ich habe eine. Es ist so wichtig.»
Rollstuhl besorgen, Auto umbauen, Katheter setzen. Und allen körperlichen Einschränkungen zum Trotz wollten Fabienne und ihr Bruder Sandro, 30, so lange wie möglich mit Edith unter einem Dach leben. «Sie hatte auch immer klar die Mutterrolle – und war sehr streng!» Doch als vor zehn Jahren Sandro in Landquart studiert, Fabienne in Luzern arbeitet und sich Ediths Zustand verschlechtert, müssen alle drei einsehen, dass es mit der Betreuung daheim nicht mehr geht. «Wenn sie umfiel, war niemand da, um ihr zu helfen. Deshalb zog sie bei klarem Verstand und nur 52-jährig ins Heim», sagt Bamert. «Ich glaube, sie wollte meinen Bruder und mich entlasten. Das will sie bis heute.» Ihr sei es drum wichtig zu erzählen, was diese Krankheit für Betroffene bedeuten kann.
Mittlerweile fesselt die Krankheit Edith Bamert ans Bett. Die einstige Telefonistin kann keinen Anruf mehr eigenständig beantworten und ist vollumfänglich pflegebedürftig. «Seit zwei Jahren baut auch ihr Hirn ab. Das ist viel schwieriger zu akzeptieren.» Fabienne Bamert hält inne. «Mami war immer meine wichtigste Ratgeberin, ermunterte mich, nach Peru in den Dschungel zu reisen, Fallschirm zu springen. Sie prägt meine positive Lebenseinstellung.»
Multiple Sklerose ist nicht bloss ein gelegentlicher Schub, der wieder heilt. «Viele denken das. Aber nein, das Nervensystem wird stets in Mitleidenschaft gezogen. Zudem verläuft die Krankheit bei jedem anders. Sie ist heimtückisch.» Im Fall ihrer Mutter verläuft die Krankheit schwer, stetig und abfallend. «Und je länger, je schneller.» Neben all der Bürokratie – dafür ist Bruder Sandro zuständig – und all den logistischen Herausforderungen wie Ärztebesuche – die übernimmt meist Fabienne – waren die Geschwister früh mit dem Thema Tod konfrontiert. «Mittlerweile sehen wir das nüchtern. Ihre Patientenverfügung ist gemacht, selbst ich habe eine», sagt Bamert. «Es ist so wichtig, all dies zu regeln – und zwar über das Leben hinaus. Angehörige sollten wissen, ob sich jemand lebenserhaltende Massnahmen, eine Beerdigung oder Kremierung wünscht.» Fabiennes Mutter will ihren Körper nach dem Tod der MS-Forschung zur Verfügung stellen.
Sicher zweimal pro Woche besucht Fabienne Bamert ihre Mutter im Heim. Der Lockdown hat die Beziehung schwer gefordert und Edith unterfordert. Fast alle Kontakte zur Aussenwelt fielen weg. «Vier Monate haben wir uns strikt an die Regeln gehalten. Sie mit Masken, Handschuhen und auf Distanz besucht», erzählt Bamert. Immerhin konnte Edith ihre Tochter im «Donnschtig-Jass» als Aussenmoderatorin am TV erleben. Das Pflegepersonal schreibt ihr jeweils auf eine Tafel, wann Fabienne in welcher Sendung im Schweizer Fernsehen zu sehen ist, und schaltet ihr die Show ein. «Es ist überraschend, was Mömel sich jeweils merken kann.»
Dass sie Unterhaltungssendungen wie aktuell «Samschtig-Jass» und bald auch «SRF bi de Lüt – live» moderiert, sei wegen des privaten Schicksals kein Widerspruch, sondern mache Sinn. «Gerade durch Mamis MS-Erkrankung empfinde ich viel Lebensfreude und habe Interesse an den Menschen und ihren Geschichten», sagt sie. «Zudem haben mein Mami, mein Bruder und ich dadurch eine sehr enge Bindung.» Bamert glaubt, dass ihre Mutter das Rucksäckli bekommen hat, das sie auch tragen kann. «Es ist aber einfach ein riesiges.»
Lollipop schlecken und baden im Ägerisee – Fabienne Bamert will weiterhin viele schöne Dinge mit ihrer Mutter erleben und Erinnerungen schaffen. «Im Wasser ist sie mega happy, was auch mich glücklich macht. Und solange es diese Momente gibt, halten wir an allem fest.»