Die Erfahrungen, die Urs Althaus, 64, aufgrund seiner Hautfarbe mit Rassismus gemacht hat, sind zahlreich. Zweimal ist das Urner Model brutal verprügelt worden. Wie sich die Angriffe zugetragen haben, hat der Schauspieler in seiner Biografie «Ich, der Neger» festgehalten. Es folgt mit dem Kapitel «Neger bleibt Neger, schwarz bleibt schwarz – oder wie ich zusammengeschlagen wurde» ein Auszug aus dem Werk.
21. März 2009, vier Uhr morgens, Altdorf: Ich bin unterwegs. Warum nicht? Selbst im biederen Altdorf gibt es Lokale, um «the last for the road» zu zelebrieren. Schließlich wirbt mein geliebtes Altdorf ja mit einer jungen Kampagne für ein Uri «voller Action». Als Nachtmensch gehe ich selten früh oder sagen wir mal häufig spät zu Bett. Das hat mein Leben so mit sich gebracht. Ja, das Nachtleben war Teil meiner Arbeit als Model, als Filmschauspieler, als Agenturboss. Doch was geschah in dieser Nacht in Altdorf?
Daran kann ich mich nicht erinnern.
Ich kam aus einer Bar, deren Namen ich jetzt hier nicht in Verruf bringen will. Ich wollte nach Hause, suchte ein Taxi, das mich nach Flüelen fahren sollte. Dann krachten Schläge auf mein Gesicht. Fäuste aus der Dunkelheit. Sie hämmerten gegen meine Schläfen, gegen meinen Kopf. Sie donnerten gegen mein Kinn. Meinen Mund. Nicht einmal, mehrmals, immer wieder rein ins schwarze Gesicht.
Ganz so, als würde es den Schlägern unheimlich viel Spaß machen, mein Gesicht, ja mein Ich zu zerstören. Als hätten die gewartet, bis der «schwarze Tell aus Altdorf» nachts allein ist. Um ihre feigen Fäuste an einem auszutoben, der von körperlicher Gewalt nichts, aber auch gar nichts hält. Aber eben: Für manche Menschen darf ein Schwarzer hier und anderswo keinen Erfolg haben, darf keiner sein, den in Altdorf und Flüelen jeder kennt. Darf hier und in anderen Teilen der Schweiz nicht frei und fröhlich rumlaufen, ohne zu wissen, wer das Sagen hat!
«Nicht einmal, mehrmals, immer wieder rein ins schwarze Gesicht»
Bereits nach wenigen gezielten Schlägen muss ich zu Boden gegangen sein. Was meine Peiniger nicht davon abhielt, weiter auf mich einzudreschen. Das bekam ich aber nicht mehr mit. Ich war längst ohnmächtig!
Ich hätte wahrscheinlich lebenslange Schäden davongetragen, hätten mich nicht befreundete Jugendliche gefunden, als ich scheinbar leblos auf dem Boden lag, blutend aus all den Wunden im Gesicht.
Die Bilanz des Überfalls auf mich war fürchterlich: zweifacher Bruch des Kiefers und schwere Gesichtsverletzungen um Augen und Mund! Nebenbei bemerkt: Ich lebe auch von meinem Aussehen. Im Kantonsspital Luzern musste ich operiert werden. Es war eine schwierige Operation, die mir ermöglichen sollte, überhaupt meine Kieferpartien wieder zu nutzen, überhaupt wieder sprechen zu können.
Meine Augen waren nur mehr blutige Schlitze, ich musste an der Zunge zweifach genäht werden. Und am Kinn an beiden Gesichtshälften mit vierzehn Stichen. Das schreibt sich leichter, als es zu ertragen war und ist.
Ich wurde schon einmal brutal zusammengeschlagen! Das war vor mehr als zehn Jahren. Damals schlugen mich Neonazis in Zürich spitalreif. Als ich nach einem Abend im «Kaufleuten Club» auf dem Heimweg war.
Plötzlich wurde ich von vier oder fünf Männern, alle in schwarzen Stiefeln, angegriffen und verprügelt. Anders als in Altdorf, erinnerte ich mich aber, wie es dazu kam, dass sie aufhörten!
Ich – der Neger – lag auf dem Boden und schrie in meinem breiten Urner Dialekt: «Scheiße, ihr habt mir den Fuß gebrochen!» Da schrie einer: «Scheiße, hört auf! Das ist der aus den Zeitungen!» Sie liefen weg, und ich verlor das Bewusstsein. Indirekt hatte mir die Presse mein Leben gerettet. Zumindest Schlimmeres verhindert.
Die Polizisten, die damals von Passanten gerufen wurden, waren – nicht zum letzten Mal – unverschämt. Vielleicht mochten sie keine Schwarzen. Jedenfalls verhielten sie sich so unangemessen, dass ich mich weigerte, mich von ihnen in ihrem Wagen in die Universitätsklinik fahren zu lassen.
Kaum aus der Bewusstlosigkeit erwacht, arbeitete mein Hirn schnell genug, um meinen Stolz zu aktivieren. So wurde ich von hilfsbereiten Passanten gefahren. Dies ist auf jeden Fall eine Parallele zu Altdorf, wo ich ebenfalls bis zur Bewusstlosigkeit zusammengeschlagen wurde. Und sich ein Ordnungshüter allen Ernstes mit den Worten zitieren ließ: Einen Selbstunfall schließe er nicht aus.
Wie heute in Altdorf, war ich damals in Zürich ein Krümelhaufen. Gebrochene Rippen, gebrochener Fuß, Bänderzerrungen, offene Gesichtswunden. Nur: Es besuchten mich damals andere Herrschaften! Topmodels flogen von London nach Zürich, um mich im Rollstuhl durch den Park des Universitätsspitals zu schieben. Oder Carol, die Tochter der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, und ihr Lebenspartner Marco Grass.
Wie heute in Uri stellte mir damals die Kantonspolizei Zürich Fragen. Hielt mir stapelweise Bilder von registrierten Schlägertypen hin. Also stellte auch ich Fragen. Diese Menge von Fotos? Ihr wisst also, um wen es sich handeln könnte? Es werden doch täglich Leute wahllos verprügelt. Oder nicht ganz so wahllos. Sind einige der euch bekannten Schlägertrupps spezialisiert auf Schwule? Auf Ausländer? Menschen, die angetrunken sind – weil es da viel einfacher ist?
«Heute bin ich schwarz genug, um zu sagen: Irgendwann müsst auch ihr lernen, dass ein Schwarzer kein Freiwild ist»
Die Spitalangestellten bestätigten mir damals, dass solche Übergriffe fast täglich stattfänden. Nur! Welche Politiker wollen schon lesen, dass schwarze Schweizer verprügelt werden? Schwarze Schweizer gehören doch nicht ins Bild der reinen, weißen Tourismuswerbung einer schönen, sauberen, sicheren Schweiz!
Heute bin ich schwarz genug, um zu sagen: Irgendwann müsst auch ihr lernen, dass ein Schwarzer kein Freiwild ist. Den man aus Lust und Laune entstellt! Das gilt natürlich für alle Menschen.
Ich musste damals wie heute operiert werden – und ich konnte es Mama nicht verschweigen. Es war schon vor zehn Jahren schrecklich, ihr zu sagen: «Mama, dein Sohn liegt im Universitätsspital! Er wurde von Rassisten zu Brei geschlagen!»
Und heute? Als ich in Mamas Heimat, in Altdorf, wie ein Stück Vieh zusammengeprügelt wurde? Was konnte ich da meiner Mutter sagen? Nicht mehr als damals. Nur: Mama ist zu alt. Sie leidet an Demenz. Sie erfuhr die schreckliche Nachricht von meinem Patenkind Dimitri Moretti.
Daraufhin brach die Krankheit vollends aus. Sodass Mama in ein Pflegeheim umsiedeln musste. Jetzt ist sie mal glasklar, dann wieder nicht.
Was Mama in ihrem Leben geleistet hat, ist fast übermenschlich. Mama hat ihr Leben lang für mich gekämpft, gelebt, auch gelitten – ich will sie jetzt nicht noch mit dem neuen Hass der einen oder anderen Rassisten konfrontieren.
Exklusiv für Leserinnen und Leser von schweizer-illustrierte.ch bietet Urs Althaus letzte Exemplare seiner im Buchhandel vergriffenen Biografie an.
Das Buch kann mit Widmung per Mail an althaus@althausmedien.com bestellt werden. Preis: CHF 40.– inkl. Versand innerhalb der Schweiz (Versand ins Ausland gegen Aufpreis).
Das Angebot gilt zehn Tage ab Erscheinungsdatum des Artikels.