Umgeben von Vorhängen, selbst gemalten Bildern und Ateliergspänli, klappt Lisa Christ (33) ihr Macbook zu. Hier am Zürcher Stadtrand, gleich am Fuss des Uetlibergs, schreibt die Satirikerin ihre Texte und plant ihre Auftritte. Die letzten Tage waren stressig für Christ. Denn seit bekannt wurde, dass sie den Salzburger Stier, den renommiertesten deutschsprachigen Kleinkunstpreis, erhält, wollen viele Medien etwas von ihr. «Ich hab mich am Tag nach der Bekanntgabe auf der Frontseite vom Blick gesehen – ein merkwürdiges Gefühl», sagt sie und läuft einmal quer durchs Atelier.
Dabei steht Christ schon länger in der Öffentlichkeit. Und seit ihrer Jugend auf der Bühne. Bei einem Poetry-Slam-Wettbewerb machte sie 2007 auf sich aufmerksam. Und gewann 2011 die Schweizer U20-Slam-Meisterschaften. Inzwischen ist ihr Publikum gewachsen und die Wahlzürcherin regelmässig bei SRF zu hören oder zu sehen.
Der Antrieb, der sie für ihre Arbeit motiviert, ist in all den Jahren derselbe geblieben: «Mich fasziniert das Unmittelbare der Bühne. Ich bin in diesem Moment genau dort und das Publikum auch. Es findet ein Energieaustausch statt.» Tatsächlich wirkt Lisa Christ wie ein sehr energiegeladener Mensch, jemand, der viel zu geben hat, jemand, der gern in Bewegung ist. Sie ist daher auch gern draussen und spaziert zwischen all der Arbeit am Computer durch die Gegend.
Pascal, einer der Freunde und Freundinnen, die sich mit Christ das Atelier teilen, macht sich einen Tomatensalat, als sie ihren Mantel anzieht. Den Schal legt sie sich lose um den Hals, läuft zum Supermarkt gegenüber und kauft sich eine Cola. Ein schmaler Weg führt ins Grüne. «Ich versuche, mit offenen Augen und einem offenen Herzen durch die Welt zu gehen», sagt Christ und denkt dann kurz nach, «obwohl, das muss ich nicht mal versuchen, das passiert mir einfach. Ich habe wenige Filter.»
Diskriminierung und Sexismus als Thema auf der Bühne
Wenige Filter bekommt auch zu spüren, wer sich mit Lisa Christs Texten und Auftritten auseinandersetzt. Wenn sie etwa in der satirischen SRF-Kolumne «Zytlupe» bissig den Fall des deutschen Comedians Luke Mockridge und dessen «diskriminierende Flachwitze» analysiert. Oder wenn Christ in ihrem aktuellen Bühnenprogramm «Love*» davon redet, wie das, was wir Liebe nennen, im Angesicht unseres Zeitgeistes dahinschmilzt und zu welch ulkigen Situationen das führen kann. Manchmal ist das lustig, manchmal ziemlich unbequem. Das weiss auch Christ selbst: «Ich fordere mein Publikum heraus, indem ich schonungslos ehrlich bin mit meinen Beobachtungen.» Ihre Selbsteinschätzung lautet entsprechend: «Ich bin keine Comedian. Ich fordere Veränderung.»
Nimmt kein Blatt vor den Mund
Immer wiederkehrend ist dabei die Thematik Diskriminierung. Vor allem den Sexismus im Alltag klagt sie an und macht ihn für jene erfahrbar, die gern über ihn hinwegschauen. Eine Arbeit, die Christ nicht nur Fans bringt, sondern auch Widerstand. Von Belehrungen bis zu Morddrohungen war schon alles in ihrem E-Mail-Postfach. Was strafrechtlich relevant ist, zeigt sie an, den Rest versuche sie, möglichst nicht an sich ranzulassen.
Comedienne mit ADHS
Als Christ vom Waldweg wieder die Asphaltstrasse betritt, wirft eine Krähe eine Nuss auf den Boden. Und wiederholt den Vorgang – bis die Nuss zerbricht und der Vogel das Innere verspeist. Christ staunt und unterbricht das Gespräch – «Siehst du, das ist mein ADHS. Ich bin schnell abgelenkt, wenn mich etwas interessiert», sagt sie und lächelt.
«Ich versuche, mit offenen Augen und einem offenen Herzen durch die Welt zu gehen»
Lisa Christ
Sie hat die Diagnose erst seit Kurzem. Wie auf der Bühne scheut sich Christ auch im Alltag nicht zu benennen, was ihre Lebensrealität ausmacht. Genauso war es, als sie an Long Covid litt und eine Auszeit nehmen musste. «Ich habe vor allem gelernt, mich selbst besser zu schützen, um in meinem Umfeld Gutes bewirken zu können», sagt sie. Die Jahre, in denen sie ohne Pause durchgearbeitet hat, sind vor-bei. Immer häufiger stehen – wie dieses Wochenende, an dem sie ihren Vater besucht – bewusst Tage ohne Laptop an.
Die Krähe fliegt davon, Christ schaut ihr nach. Zurück in ihrem Atelier, erklingt Lounge-Musik aus einer Bluetooth-Box. Wo genau die Stier-Figur hinkommt, ist noch offen – ein leer geräumtes Plätzchen hat sie noch nicht. Über die Auszeichnung freut Lisa Christ sich dennoch sehr und nennt den Preis eine «wahnsinnige Bestätigung der eigenen Arbeit». Darauf hingearbeitet hat Christ aber nicht, und sie sagt: «Ich werde auch jetzt so weitermachen, wie ich ohne Preis weitergemacht hätte. Vielleicht einfach mit ein bisschen mehr Rückenwind.»