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Schwingerkönig Matthias Glarner über Tränen und Pläne

«Meine Freundin war beim Rücktritt nicht so hilfreich»

Schwingerkönig. Sturz von der Gondel. Comeback. Und jetzt tritt Matthias Glarner zurück. Der Meiringer über das wochenlange Ringen mit sich selber und die Ratschläge seines Umfelds.

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Matthias Glarner, Schwinger, Ruecktritt vom Schwingsport

Matthias Glarner schaut stolz auf seine Karriere zurück.

Geri Born

Schweizer Illustrierte: Matthias Glarner, Sie sind nun Sportpensionär. Was überwiegt: Wehmut oder Erleichterung?
Matthias Glarner:
 Es war eine schwere Zeit, bis der Entscheid vor zwei Wochen feststand. Es folgte eine emotionale Stunde. Alles kam hoch. Danach gings aufwärts, und nun bin ich erleichtert.

Sie wirkten sachlich und überlegt wie immer, als Sie Ihren Rücktritt vor den Medien verkündet haben. Wie sah es in Ihrem Innern aus?
Ich war schon etwas nervös. Und als ich meiner Familie gedankt habe, kämpfte ich kurz mit den Emotionen, ich musste mich zusammenreissen. Es wurde mir nochmals bewusst, was sie alles für mich getan hat. Tags darauf war da eine ziemliche Leere. Ich wusste: Jetzt ist es fertig. Ich liess die letzten 26 Jahre Schwingsport Revue passieren.

Sie haben für Ihren Abschied nicht die grosse Bühne gewählt.
Ich habe mir genau überlegt, wie ich den Rücktritt verkünden soll, und geschaut, wie es andere Sportler gemacht haben. Marcel Hirscher hat mir imponiert. Doch jeder soll es so machen, wie es zu ihm passt. Ich war nie einer, der das Rampenlicht sucht. Dass es nach dem Königstitel Aufmerksamkeit gab, war schön. Doch es wird mir nicht fehlen, jeden Tag in der Zeitung zu sein.

Auf Instagram nahmen Sie sogar mit «zwei lachenden Augen» Abschied. Echt? Bedauern Sie nichts?
Mit zwei lachenden Augen meinte ich die Zeit, die ich erleben durfte. Es ist wohl wie im Militär – die schlechten Dinge und harten Zeiten vergisst man. Aber es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte nicht gerne einmal den Brünig gewonnen. Früher war das sogar der grössere Traum als der, Schwingerkönig zu werden. Das wird nun ein Traum bleiben. Dafür haben sich andere erfüllt. Damit kann ich gut leben.

Matthias Glarner, Schwinger, Ruecktritt vom Schwingsport,

Familiensache 2012 zu Hause bei Glarners: Vater Andreas, Mutter Heidi, Matthias und seine Geschwister Katrin und Stefan (v. l.).

Kurt Reichenbach

War der Rücktritt ein rationaler Entscheid?
Ja. Das Herz suchte verzweifelt nach Argumenten, die Karriere weiterzuführen. Doch die Kontra-Liste wurde immer länger. Ausser meiner Liebe zum Sport gab es nichts, was für eine Fortsetzung der Laufbahn sprach. Gesundheitlich reicht es nicht mehr, um mitzuhalten. In meinem Innern wusste ich das, dennoch brauchte es einen Impuls von aussen. Jemand, der mir eine Stunde lang «d’Chutte putzt het».

Wer war das?
Mein Manager Beni Knecht. Wir arbeiten schon lange zusammen und kennen uns gut. Und doch hat er die nötige Distanz. Mit meinem Trainer Roland Fuchs etwa habe ich noch über nächste Ziele gesprochen. Und mein Cousin und Schwinger-Freund Simon Anderegg schrieb mir in die Ferien ein SMS und fragte, wie wir nächste Saison trainieren wollen. Ich glaube, sie trauten nicht recht zu fragen, wie es aussieht.

Welche Rolle spielten Ihre Familie und Ihre Partnerin Claudia in der Entscheidungsfindung?
Sie waren nicht so hilfreich, wenn ich ehrlich bin (lacht). Sie sagten, sie würden mich bei jeder Entscheidung unterstützen. Es ist wertvoll, so ein super Umfeld zu haben. Aber in dieser Situation hat mir das nicht geholfen.

Nach dem Eidgenössischen reisten Sie mit Claudia drei Wochen durch Kanada. Konnten Sie abschalten?
In den ersten eineinhalb Wochen nicht. Ich habe nur herumstudiert. Bis ich merkte, dass ich keine Lösung habe. Dann habe ich das Rücktrittsthema bewusst verdrängt, um einfach zu geniessen. Gegen Ende kam die Energie zurück. Denn nach dem Eidgenössischen war ich wirklich leer. Ich dachte: Nun hatte ich das letzte Mal die Schwinghosen an, es flossen Tränen.

ESAF 2016 Schwingerkönig Matthias Glarner privat mit Freundin

Triumph: Beim ESAF in Estavayer FR wird Glarner am 28. August 2016 Schwingerkönig.

Kurt Reichenbach

Aus Enttäuschung, dass es für den Kranz nicht gereicht hat?
Es kam alles zusammen. Einerseits wurde mir bewusst, was ich geleistet habe, andererseits war ich erschöpft und enttäuscht.

Im dritten Gang mussten Sie eine umstrittene Niederlage einstecken. Haben Sie damit gehadert?
Nein, ich war hässig auf mich selber. Ich dachte: Du hast so viel dafür getan, um hier zu stehen. Und dann zeigst du so eine schlechte Leistung. Am Sonntag konnte ich mich zum Glück steigern.

Nur zwei Wochen vorher am Bernisch-Kantonalen sah es mit fünf Siegen und einem Gestellten im Schlussgang so aus, als wäre der König zurück!
Ich wusste, ich hatte das Messer am Hals. Wenn es nicht läuft, nehme ich am Eidgenössischen nicht teil. Diese Leistungssteigerung kam also genau im richtigen Moment. Doch das Konstrukt stand auf wackligen Beinen. Es war nicht alles so gut, wie es von aussen den Anschein gemacht hat.

Ihr Arzt sagte nach Ihrem verheerenden Gondelsturz im Juni 2017: Nur ein Spinner würde das Comeback wagen. Hatte er recht?
Vielleicht. Es war verrückt – aber für mich genau der richtige Weg. Mein Sportpsychologe sagte: «Mach deine Geschichte erzählenswert. Dass du mit 80 Jahren zurückschauen kannst und zufrieden bist, unabhängig vom Resultat.» Und mein Arzt schickte mir nach dem Eidgenössischen ein SMS: «Für einen, der zehn Prozent Chance hatte, jemals wieder zu schwingen, hast du es nicht schlecht gemacht.»

Matthias Glarner, Schwinger, Ruecktritt vom Schwingsport,

Unter Pensionären: Glarner im Hotel Reuti in Hasliberg BE, wo zahlreiche seiner Auszeichnungen ausgestellt sind.

Geri Born

Sie sehen in jeder Situation das Positive. Sogar nach Ihrem Unfall. Nun hat er Ihre Karriere beendet.
Ja, das ist so. Aber ich sehe es immer noch gleich: Trainingsmässig hätte ich es in meiner Karriere nicht viel besser machen können. Einzig nach dem Königstitel hätte ich mir mehr Ruhe gönnen sollen, eine längere Auszeit. Ich befand mich in einem Hamsterrad, hatte gar keine Zeit, alle Emotionen zu verarbeiten. Ich hatte den Kopf an 10'000 Orten, das führte auch zur Unachtsamkeit. Erst während der Reha hatte ich Zeit, alles zu verarbeiten.

Der Unfall passierte an einem Fotoshooting fürs Sportmagazin der Schweizer Illustrierten. Hegten Sie nie einen Groll uns gegenüber?
Ganz ehrlich: Nein! Ich habe einen Fehler gemacht. Und mich darüber aufgeregt. Es ist wie im Sport: Man sollte die Fehler bei sich suchen, sonst kommt man nicht weiter.

Genau diese Haltung brachte Ihnen viel Respekt ein. Aber Sie werden wohl immer der Schwingerkönig mit dem Gondelsturz bleiben.
Ja, das gehört zu mir, zu meinem Weg, zu meinem Leben. Doch ich will nicht deswegen bemitleidet werden. Ich ziehe erneut den Vergleich zum Schwingen: Nach dem Eidgenössischen 2013 in Burgdorf sagten mir viele wegen der ungewöhnlich harten Einteilung: «Du arme Cheib»! Das habe ich gehasst. Es gibt Dinge, die kann man nicht beeinflussen. Man kann nur an sich selber arbeiten und vorwärtsgehen.

Wie gehen Sie vorwärts? Bleiben Sie dem Schwingsport verbunden?
Für eine offizielle Funktion lasse ich mir zwei Jahre Zeit. Diesen Abstand brauche ich. Doch ich habe mein Interesse angemeldet, dass ich bei den Kleinsten in Meiringen gerne helfen würde. Und auch bei den Aktiven werde ich noch einige Schwingkurse geben.

Gibts auch privat und beruflich konkrete Pläne?
Ich habe in Bönigen eine Wohnung gekauft und bin nun stolzer Eigenheimbesitzer. Im Sommer werden wir umziehen. Hochzeit ist jedoch kein Thema. Und Kinder auch nicht – noch nicht (lacht). Beruflich habe ich aber einiges vor. Ich mache im nächsten halben Jahr berufsbegleitend eine Weiterbildung in Entrepreneurship, also Unternehmertum, an der Uni Bern. Zudem werde ich weiterhin bei den Bergbahnen Meiringen-Hasliberg arbeiten, hier stehen in den nächsten Jahren einige Projekte an. Es wartet viel Spannendes auf mich.

Viele Dinge waren für Sie als Spitzensportler nicht möglich. Worauf freuen Sie sich nun am meisten?
Am Samstagabend mal nicht mehr so nervös zu sein, in Ruhe ein Glas Wein zu geniessen und am Sonntag ganz entspannt ein Schwingfest zu besuchen! Und: endlich einmal Sommerferien zu machen. So war ich zwar schon zwölfmal auf Gran Canaria im Trainingslager, aber von der Insel habe ich noch nichts gesehen. Auch England, Wales, Schottland und Skandinavien würden uns reizen. Zudem werde ich im Februar die Fischerprüfung machen.

Von Sarah van Berkel am 2. November 2019 - 11:09 Uhr