Neun Jahre alt ist Michael von der Heide, als er frisch gebadet im Frottee-Pischi auf dem heimischen Sofa in Amden SG sitzt, gebannt auf den TV-Bildschirm schaut und weiss: Auf diese Bühne will er auch einmal. Und er will diese Frau heiraten. Wir schreiben das Jahr 1980, und die 30-jährige Paola Felix tritt mit «Cinéma» beim Grand Prix Eurovision de la Chanson an, wie der Eurovision Song Contest damals heisst.
Der erste Plattenvertrag
Elf Jahre später – Michael trägt inzwischen keine Frottee-Pischis mehr, dafür als diplomierter Pflegefachmann öfter mal weisse Kittel – steht er tatsächlich auf der ersehnten Grand-Prix-Bühne. Ganz so gross wie der ESC ist der GP St. Gallen/Graubünden/Fürstentum Liechtenstein des lokalen Radiosenders Gonzen zwar nicht, aber von der Heide gewinnt den Gesangswettbewerb. Und erhält kurz darauf seinen ersten Plattenvertrag.
Es ist Liebe auf den ersten Blick, als sich Michael von der Heide und Willi Spiess, 55, zwei Jahre später im Zürcher Café Odeon begegnen. (Paola ist da übrigens seit über zehn Jahren mit Kurt Felix verheiratet). Der junge Wilde, der von der grossen Bühne träumt, und der aufstrebende Modedesigner: Das passt. Oder auch nicht. Der quirlige Lebemann und der stoische Pragmatiker. Immer wieder fliegen die Fetzen. Die Eifersucht ist gross, auf beiden Seiten. Die Liebe ist grösser. Bis heute. Als Michael und Willi zusammenziehen, besitzt der Musiker «ein Bett, einen Harass als Nachttisch, ein Harmonium und eine Bananenkiste voller Kleider.» Für die Einrichtung der gemeinsamen Wohnung in Rümlang ZH, wo das Paar seit acht Jahren mit Kater Sämi, 19, lebt, ist Willi zuständig. Ebenso für Michaels Bühnenoutfits. «Ich habe in all den Jahren Willis Geschmack angenommen. Ohne ihn hätte ich gar keinen Stil», meint Michael von der Heide lachend. «Doch, doch – einfach einen furchtbaren», flachst Willi in der ihm eigenen trockenen Art.
Der schweizer Paradiesvogel
Es kommt das Jahr 1998. Und ein Hit, der durch die Decke geht: «Jeudi Amour». Die Radiosender in der Deutsch- und der Westschweiz spielen den Song rauf und runter, alle singen: «Mon premier amour et mon second amour, c’est toi.» Die Schweiz ist fasziniert von diesem Paradiesvogel, der es schafft, selbst dann weltmännisch zu wirken, wenn er Dialekt singt. Und schweizerisch bodenständig, wenn er es in Französisch oder Hochdeutsch tut. Endlich ist er da, der ersehnte Ruhm und Erfolg. Aber er ist ein zweischneidiges Schwert. «Ich konnte plötzlich nicht mehr Tram fahren in Zürich, ohne angesprochen zu werden. Die Leute waren manchmal richtig übergriffig.» Auch ein Essen im Restaurant mit Willi kann zum Spiessrutenlauf werden. Das nervt den Sänger mehr als seinen Liebsten: «Der Erfolg war immer Michaels grosser Traum. Ich wusste dies. Das war nun halt die Kehrseite der Medaille.» Mittlerweile hat sich der Trubel wieder gelegt. «Mein Publikum ist mit mir älter geworden. Da fällt niemand mehr in Ohnmacht, wenn ich im Restaurant neben ihm sitze. Zum Glück», meint der Musiker.
Bald nutzt Michael von der Heide die Bühne nicht nur für die Musik, sondern tritt immer öfter als Schauspieler auf. Auch vor der Kamera. Eine Hauptrolle in einem Kinofilm – obwohl öfter angefragt – hat er sich bisher allerdings nicht zugetraut. «Letztendlich bin ich ja immer noch Musiker.» Einer, um den sich die ganz Grossen der Branche als Duettpartner reissen. Seine alte Freundin Sina (man hatte die gleiche Gesangslehrerin), Züri-West-Frontmann Kuno Lauener, die deutsche Punk-Legende Nina Hagen und – Paola Felix! Aus dem gemeinsamen Lied «Wo ist das Land» entsteht eine innige Freundschaft, was ja auch so etwas ist wie ein Ja-Wort.
Vor dem Milliarden-Publikum
2010 erfüllt sich der zweite Wunsch des kleinen Buben von damals. Michael von der Heide vertritt die Schweiz am Eurovision Song Contest im norwegischen Oslo. Dass er es mit «Il pleut de l’or» nicht in den Final schafft, enttäuscht ihn zwar. Aber das Erlebnis, vor einem Milliarden-Publikum aufzutreten, zu wissen, dass der eigene Song in unzähligen Radiostationen in ganz Europa gespielt wird, ist mit nichts vergleichbar. Der Traum ist wahr geworden: Der kleine Michael von der Heide aus Amden, das einzige reformierte Kind im katholischen Dorf, der einzige Bub mit deutschem Vater, das Kind, das immer anders war, ist ein Star.
An seinem 50. Geburtstag am 16. Oktober steht Michael auf der Bühne. Und zwar genau da: in seiner Heimat hoch über dem Walensee. Zusammen mit dem Männerchor Amden. Im Publikum seine Mama «und wohl auch das eine oder andere Schulgspänli». Ein bisschen sentimental sei er schon, gesteht Michael von der Heide. «Es ist alles so schnell gegangen.» Alt fühlt er sich hingegen nicht. «Schliesslich hatte ich in letzter Zeit oft mit Menschen zu tun, die mehr als doppelt so alt sind wie ich.» Während der Coronakrise ist Michael Vollzeit in seinen gelernten Beruf als Pflegefachmann zurückgekehrt, hat Nachtdienst in einem Betagten- und Pflegeheim geschoben. «Das hat vieles relativiert.»
Ohne viel Tamtam
Die Herbstsonne scheint auf die grosszügige Terrasse. Michael von der Heide und Willi Spiess geniessen die Ruhe – seit Covid gibt es viel weniger Fluglärm über Rümlang – und Michaels selbst gebackenen Aprikosenkuchen. «So wie das alte Herren eben tun», meint von der Heide grinsend. Als er sein Jubiläumsalbum «Echo» im Zürcher Theater am Hechtplatz tauft, widmet er den letzten Song «dem Schönsten» – seinem Willi. Ohne grosse Liebeserklärung, ohne viel Tamtam. Die Show gehört auf die Bühne. Daneben muss sie nicht sein. Michael von der Heide hat mehr erreicht, als er sich je erträumt hat. Erfolg, Freundschaft, Liebe. Dabei ist er immer irgendwie der Knirps im Frottee-Pyjama geblieben. Und wird dies wohl auch die nächsten 50 Jahre sein.