Max ist immer da, wo Michelle und Luca sind. Giessen sie die Blumen, kommt er zu ihnen. Setzen sie das Schweizer Fähnli für ein Golfspiel in den Rasen, folgt er ihnen dorthin. Max ist der Roboter-Rasenmäher des Paares, benannt nach seinem Pendant im Garten von Gisins Grossmutter, und er scheint ein Faible für die Ecken zu haben, in denen sich Michelle Gisin und Luca De Aliprandini gerade aufhalten.
Und zurzeit sind sie sehr oft im Garten mit seinem perfekt getrimmten Rasen und den Bäumen, die erst noch wachsen müssen: Apfel-, Zitronen- und Olivenbäume stehen hier. Oleander, Hortensien und Rosmarin zäunen den Garten ein. Im Frühling 2017 haben die beiden Skiprofis das Haus in Riva del Garda in Norditalien noch im Rohbau gekauft, nur wenige Gehminuten vom Gardasee entfernt. Im Frühling 2018 sind sie eingezogen. Mittlerweile verbringen sie hauptsächlich die Sommer hier. «Klar, es war ein grosser Schritt, in ein anderes Land zu ziehen und ein Haus zu kaufen», sagt die Engelbergerin Gisin, «aber nun könnten wir nicht glücklicher sein.»
Trotz den vielen Touristen ist das Leben hier ruhig. Ablenkungen oder Verpflichtungen sind weit weg: der perfekte Ausgleich zum turbulenten Winter. In der Familie sind die beiden schon als Stubenhocker bekannt, weil sie ihre Abende am liebsten zu Hause verbringen. Dann wird zum Beispiel rund ums Haus gegolft – 9 : 7 stehts im Langzeit-Duell, für Gisin, die im «echten» Golf ein sehr starkes Handicap von 11 hat. Geht beim Spiel eine Blume kaputt, gibts Strafschläge. Wer verliert, trägt den Müll raus.
Seit sechs Jahren sind Gisin, 26, und De Aliprandini, 29, ein Paar. Gefunkt hats im Trainingslager in Argentinien, wo der Italiener auch Skifahrer der anderen Teams zu seinem Geburtstag eingeladen hatte. «Verrückt viel» sei passiert seither, sagt Gisin. «Anfangs hatten wir überhaupt keine Erwartungen. Wir waren sehr jung, und dann hat sich alles in einem gesunden und positiven Sinn entwickelt. Das ist cool.»
Nach einem halben Jahr Beziehung trennten sie sich kurzzeitig, als De Aliprandini mit einem Kreuzbandriss und damit seiner ersten grossen Verletzung haderte. Doch sie fanden sich wieder und meistern Höhen wie Tiefen: Gisins Medaillen bei WM und Olympia, während ihr Partner verletzt ist respektive ausscheidet. Die schlimmen Stürze von Gisins Bruder Marc, die eigenen Rückschläge oder auch die Etablierung der beiden an der Spitze. «Das schweisst zusammen.»
Dass sie denselben Job haben, ist meistens ein Vorteil. Bloss einmal ist es kritisch: Als Luca zu einer sportlich schwierigen Zeit ausscheidet, beschwert sich Michelle gleichentags über ihren vierten Platz. «Da hat er mich zusammengestaucht und mich zurück auf den Boden geholt.»
Früh in der Beziehung halten die beiden Ausschau nach einem eigenen Haus. Als sie das in Riva del Garda finden, ist ihnen schnell klar, dass dies die perfekte Lösung ist. Die unzähligen Trainingsmöglichkeiten und das stabile warme Wetter sind optimal.
Michelle Gisin kennt den Gardasee seit ihrer Kindheit: Jedes Jahr kam sie mit ihrer Familie zum Windsurfen her. Und Luca De Aliprandini ist bloss eine Stunde von hier im Val di Non aufgewachsen und fuhr regelmässig in der Nähe Motocross.
Dass sich der 29-Jährige in der erweiterten Weltspitze des Riesenslaloms festsetzte, ist alles andere als selbstverständlich: Seine Eltern hatten überhaupt nichts mit Skifahren zu tun, sein Vater war Zahntechniker und hat heute eine Apfelplantage, die Mutter ist Schulhaus-Abwartin. Die Wege zum Training sind lang, und seinen Platz in den Kadern muss er sich zwischen den Athleten mit grossen Klubs im Rücken und Skilehrern als Eltern hart erkämpfen. «Für mich war jeden Tag alles neu», sagt er.
Im Frühling 2017 entdeckt er das Angebot des Hauses in Riva, kurz danach besichtigt das Paar die Baustelle das erste Mal. Danach geht alles ganz schnell. «Wir waren selber ein wenig überrascht und überwältigt, dass wir ein Haus gekauft hatten.» Teilweise durften sie noch mitreden, bei der Aufteilung im Keller etwa, wo sie einen Kraftraum für das Sommertraining einrichten. Die Ausstattung klappt ohne Streit, aber mit Kompromissen. Luca entscheidet über den Boden innen, Michelle über die Gartenplatten.
Der Garten ist vor allem De Aliprandinis Reich. «Ich bin ein Tüpflischiisser», sagt er, der einwandfrei Schweizerdeutsch spricht. Ist er unterwegs, muss seine Freundin notieren, wie viel Wasser im Regenmesser ist. «Er ist der schweizerischste Italiener, den ich kenne», flachst Michelle. Weshalb das mit ihnen so gut funktioniert? Sie ergänzen sich.
Er ist der ruhige Gegenpol des «Luftgeschöpfs», wie Dominique Gisin ihre energetische, übersprudelnde Schwester mal genannt hat. Doch wenn Luca spricht, sitzt der Spruch. «Sie redet für mich mit», sagt De Aliprandini grinsend. Michelle legt die Schräubchen der gekauften Möbel sortiert hin, er baut sie dann ohne Anleitung zusammen. Er kocht auch ohne Rezept, «Kochen ist wie Kunst», dann gibts Risotto mit Äpfeln und Champagner oder mit den Randenstielen. Luca hilft Michelle, etwas ruhiger zu sein; sie zieht ihn dafür aus seiner Komfortzone. Sie schreiben sich auf Italienisch, reden Schweizerdeutsch – «und blödeln auf Italienisch».
«Er ist der schweizerischste Italiener, den ich kenne»
Michelle Gisin über Luca De Aliprandini
Die kulturellen Unterschiede spürten die beiden vor allem zu Beginn: Die Italiener sind viel direkter, manchmal sass Michelle mit grossen Augen am Tisch von Lucas Familie. Und umgekehrt wusste er nicht, weshalb sie um den heissen Brei herumredete. «Doch wir haben uns gefunden.»
Dass sie zusammengehören, ist für beide klar. Heiraten, Kinder: irgendwann, aber das pressiert «wirklich nicht». Aus Spass hat Michelle mal gesagt, dass er mit dem Antrag das verflixte siebte Jahr abwarten soll, bitte aber nicht mehr als das achte. Doch nun winkt sie nur lachend ab, als er das erzählt. Das mögliche Kinderzimmer ist heute ein Gästezimmer, häufig benutzt von Gisins Familie. Vor allem Dominique kommt oft mit Freund Pascal zum Surfen.
Man spürt, wie wohl sich das Paar in seinem gemeinsamen Haus fühlt. Dennoch betont Gisin, dass sie noch «sehr, sehr verbunden» mit ihrer Schweizer Herkunft ist. «Ich gehe heim», das kann für sie nun eben beides heissen: Engelberg und Riva del Garda.