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Miss Helvetia nach Superspreader-Jodelmusical

«Meine Welt ist momentan unheil»

Die Berner Jodlerin Barbara Klossner, bekannt als Miss Helvetia, ist am Superspreader-Event in Schwyz aufgetreten. Danach musste sie in Corona-Isolation. Das trübt ihre Lebensfreude nicht.

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Miss Helvetia

Hier in der St. Annakapelle in Saanen BE hat Barbara Klossner, 40, nach vielen Wochen erstmals wieder Engagements als Jodellehrerin.

david birri

«Explodierende Corona-Fälle in Schweizer Kanton nach Jodel-Event», schrieb die «New York Times». Was ist passiert? Ende September fanden im Mythenforum in Schwyz zwei Aufführungen des Jodelmusicals «Uf immer und ewig» statt, vor 600 Zuschauern. In den folgenden Tagen breitete sich das Coronavirus in der Region Schwyz rasant aus. Schnell hiess es, die Anlässe seien Superspreader-Events gewesen. «Ein Darsteller war infiziert», sagt Veranstalter Erwin Bertschy, «Symptome hatte er erst zwei Tage nach der letzten Vorstellung.» Am Abend einer Aufführung gabs in Schwyz eine Beizenfasnacht mit Freinacht, die Lokale waren pumpenvoll. «Unfair, dass der Schwarze Peter uns zugeschoben wird. Wir haben nichts falsch gemacht.»

Aerosolexperte Michael Riediker spricht von einem Superspreader-Event: «Eine Gruppe jodelnder und tanzender Menschen ist das Extremste, was man auf einer Bühne machen kann.» Was sagt Hauptdarstellerin Barbara Klossner? Die 40-jährige Jodlerin ist bekannt als Miss Helvetia. Sie gehörte zu den vier Darstellern, die nach der letzten Aufführung Symptome bekamen und positiv auf Corona getestet wurden.

Barbara Klossner, wie erlebten Sie die zehntägige Isolation?
Die ersten sechs Tage habe ich viel geschlafen, danach war es mühsam. Ich lebe im Berner Diemtigtal, allein, meine Familie wohnt in der Nähe. Ich durfte nicht mal den Abfallsack entsorgen. Irgendwann schlug es mir aufs Gemüt. Zum Glück konnte ich online Jodelunterricht erteilen, ich nahm selber wieder online Gesangsstunden, übte täglich für mein Opern-Engagement in Lausanne. Das tat meiner Seele gut. Meine Freundin hat mir ab und zu etwas Feines gekocht, das Menü stellte sie vor meine Haustür. Am 8. Oktober um 23.59 Uhr war es ausgestanden.

Wie geht es Ihnen heute?
Gesundheitlich ausgezeichnet. Doch ich hinterfrage viel, vor allem die Verhältnismässigkeit der Corona-Massnahmen. Wohin wird das alles führen? Ich motiviere mich mit positiven Gedanken, mache viel Sport, Ballett, Capoeira. Das befreit meinen Geist. Hinzu kommt die Freude am Leben.

Haben Sie Angst vor Corona?
Ich habe Respekt. Angst ist ein schlechter Ratgeber.

Miss Helvetia

Barbara Klossner Ende September beim Jodelmusical in Schwyz.

ZVG

Das Jodelmusical sorgte als Superspreader-Event für Schlagzeilen.
Es ist eine Ehre, in der «New York Times» zu kommen. Solchen Wirbel hätten wir uns auch nach der Premiere gewünscht. Wir hatten immer volle Säle und begeistertes Publikum.

Fühlen Sie sich als Sündenbock?
Ein wenig schon! Der Veranstalter hat das Schutzkonzept der Behörden umgesetzt und eingehalten. Die Zuschauer sassen an ihren Plätzen, einige trugen Maske, der Kanton wollte die angebotene Tracing-Liste nicht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich hier jemand angesteckt hat. Falls doch, tut es mir leid. Die Beizenfasnacht war kaum ein Thema: Dort hat das Virus bis in die Morgenstunden gefeiert.

Werden Sie angefeindet?
Böse Nachrichten erhielt ich keine.

Beim Jodeln gehts um eine heile Welt. Wie ist die Ihrige?
Meine Welt ist momentan unheil, es wird ja so viel verboten! Doch ich flüchte mich in die wenigen schönen Momente, die ich umso mehr geniesse. Mein Gesang soll den Menschen guttun, das ist meine Mission. Es ist lebensnotwendig, dass wir kleine heile Welten aufrechterhalten. Sonst werden wir alle depressiv.

Sie geben weiterhin Konzerte.
Solange es die Vorschriften erlauben und ich im Rahmen der Schutzkonzepte auftreten darf, werde ich nicht zu Hause sitzen. Die Welt braucht mehr denn je Gesang, Musik und Tanz.

Hat die Politik versagt?
Staatliche Unterstützung für die Kulturbranche wäre zwingend notwendig. Ab März wurden fast alle Auftritte abgesagt. Als Jodlerin und Sängerin wurde mir quasi ein Arbeitsverbot auferlegt. Schlimm! Unsere Branche hat einen Ausfall von 14 bis 20 Monaten, wir Kulturschaffenden leiden. Ich zweifle, ob die Politiker dies realisieren.

Was ist Ihre Botschaft?
Ich habe ein Lied geschrieben, es heisst «Häb dr Sorg». Es ist für mein Mueti, es jodelt mit den Engeln. Schaut zu eurer Gesundheit! Ernährt euch gesund, treibt Sport, macht Musik. Und vor allem: Jodelt und singt! Habt Freude am Leben, geniesst jede Sekunde!

Wie schützen Sie die Zuhörer?
Ich halte mindestens zwei Meter Abstand zum Publikum. Obwohl ich nun immun sein sollte.

Wäre Singen mit Maske eine Option?
Sag nie nie. Der Klang würde darunter leiden, und der Stimme tut es nicht gut.

Was bedeutet Jodeln für unsere Kultur?
Jodeln ist Volksgut, Opium fürs Volk. Frei nach Nietzsche: «Ohne Jodeln wäre das Leben ein Irrtum!»

Thomas Kutschera
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Von Thomas Kutschera am 23. Oktober 2020 - 11:41 Uhr