Es geht nichts über Attitüde. Nicht, dass Musiker Camen, 47, Allüren hätte. Aber sein Kater hat sie definitiv. «Wenn ich zu Hause bin, würde er niemals durchs Katzentörli ins Wohnzimmer kommen. Dann sitzt er auf der Terrasse und kratzt an der Tür, bis ich öffne», erzählt Pascal Camenzind (so Camens echter Name) lachend.
Camen ist am Sonnenbaden, als Santos erstmals auf seiner Terrasse in Winterthur auftaucht. Ab dann erscheint er jeden Tag. Als seine Besitzerin umzieht, bittet sie Pascal, den Kater bei sich aufzunehmen. «Santos hat mich ausgesucht, nicht umgekehrt», sagt er. So spielt die Katze nun im Leben von Camen, der nie ein Haustier wollte, die Hauptrolle – neben der Musik natürlich.
Dass er Musiker werden will, wusste Pascal schon als Kind. Nicht nur das: Er will berühmt werden, Stadien füllen, Autogramme geben. Seine Unterschrift dafür übt er bereits als Knirps. Nach ersten musikalischen Gehversuchen trifft Pascal auf einer Musikmesse auf einen der damals grössten Pop-Stars von Europa: DJ Bobo. Er singt ihm spontan vor, eine Woche später hat der 20-Jährige einen Plattenvertrag in der Tasche. Aus Pascal Camenzind wird Camen. Seine Songs stürmen die Charts, er tourt mit DJ Bobo, später mit der Boyband ’N Sync um Justin Timberlake durch Europa, tritt vor Zehntausenden Fans auf, wird überall erkannt, gibt Autogramme. Alle seine Kindheitsträume sind wahr geworden.
Fünf Jahre später. Zwar schiesst Camens Karriere steil nach oben, doch geht sie künstlerisch nicht in die Richtung, die sich der Musiker wünscht. Als er für ein nächstes Album seine Songs nicht mehr selbst schreiben, sondern nur noch singen soll, schmeisst er hin – auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. «Ich dachte ehrlich gesagt, dass ich das allein genauso gut schaffe.» Aber es kommt kein Vertrag mit einer grossen Plattenfirma zustande. Camen gerät rasch in Vergessenheit, Erfolg und Ruhm schwinden – und irgendwann auch das Geld. «Der Moment, in dem ich mir eingestehen musste, dass ich nicht mehr von der Musik leben konnte, war extrem hart.»
Zum ersten Mal seit dem Ende seiner KV-Lehre sucht Camen einen Job abseits der Bühne. Und heuert bei den SBB als Billettkontrolleur an. Während sich die Existenzängste zwar furchtbar anfühlen, nimmt er das Verschwinden in der Versenkung nicht als Scheitern wahr. Der Job bei der Bahn, den er heute noch hin und wieder ausführt, gibt ihm finanzielle Sicherheit. Nun kann Camen musikalisch das tun, was er will. Er schreibt Songs – Soul –, tritt damit im In- und Ausland auf und begeistert sein Publikum. «Ich vermisste zwar das Berühmtsein und die Aufmerksamkeit», gesteht er. «Aber sie sind der Preis, den ich gezahlt habe für meine musikalische Freiheit.»
Bei einem Auftritt in einem Zürcher Lokal wird er von einem der Produzenten des Films «Color of Heaven» (mit Carlos Leal) entdeckt, der für die Produktion eine Band für einen kurzen Auftritt sucht. Camen übernimmt den Part. Und bekommt auf dem Set einen Plattenvertrag angeboten. Der erste Song des Comeback-Albums heisst «Wake Up Next To You» und kommt auf Youtube und Spotify richtig gut an.
Mittlerweile tritt Camen auch wieder an grossen Locations auf. «Es läuft richtig gut», sagt er. Fast wie in alten Zeiten. Dabei will Pascal Camenzind gar nicht unbedingt dorthin zurück. «Ich bin sehr glücklich mit mir, meiner Musik – und mit Santos.» Wer braucht schon Ruhm und Ehre, wenn er einen Kater mit Attitüde hat.