Über dem alten Hafen Port Vell in Barcelona leuchtet der Himmel orange. Es ist sechs Uhr morgens, als der Wecker von Nils Frei (51) klingelt. Der Weltklassesegler aus dem Seeland geht ins Bad und macht sich frisch. In der Stube seiner kleinen Wohnung in Barceloneta Beach springt Besuchern ein gerahmtes 3-D-Wechselbild ins Auge: Es zeigt den Bielersee.
Der alte Hase: «Meine Frau beliefert mich mit Ragusa»
Auf dem Tisch liegen zwei dicke «Alinghi»-Wälzer, die über die beiden Siege am America’s Cup 2003 und 2007 berichten. Frei ist der alte Hase des neu formierten Schweizer Syndikats Alinghi Red Bull Racing. Seine Funktion als Cheftrainer hat er im Zuge einer Neudefinition der verschiedenen Aufgaben an den Italiener Pietro Sibello abgetreten. Als Account Manager kümmert sich Frei nun um die Partner und Sponsoren.
Nils Frei spaziert in wenigen Minuten zur Basis, wo er um 7.45 Uhr eintrifft. Das Frühstück bereitet er sich in der Kantine zu: «Am liebsten esse ich Früchte.» Im Verlauf dieses Morgens führt der Familienvater spanische Journalisten durch den schicken Gastrobereich. Zum Mittagessen gibts eine Schweizer Spezialität: Raclette. Frei streicht den Käse auf die Teller der hungrigen Gäste. Am Nachmittag führt er Gespräche mit Thomas Villette, Leiter Kommunikation, und Anna Bratina, Leiterin Hospitality. Um 20 Uhr endet der Arbeitstag von Nils Frei. Er verlässt die Basis und trifft sich mit Arbeitskollegen zum Apéro, später zum Abendessen im Restaurant.
Die Familie von Nils Frei lebt in La Neuveville BE. Die Kinder Maëlle (20) Elliot (18) und Stella (16) sind in Ausbildung, Ehefrau Caroline Frei arbeitet als IT- und Projektmanagerin bei Swiss Equestrian in Bern. «Wir sehen uns alle zwei Wochen, entweder in Barcelona oder in der Schweiz.»
Fehlt Nils Frei die Schweiz? «Aus der Schweiz fehlt mir nichts», sagt Frei und schmunzelt, «mit einer Ausnahme: Jedes Mal, wenn mich meine Frau besucht, bringt sie Ragusa mit!» Die Zeit des Alleinseins verbringt Frei mit Kitefoilen, einer Art Kitesurfen. Ab und zu besucht er auch ein Heimspiel des FC Barcelona.
Das Kraftpaket: «Viele meinen, ich sei ein Formel-1-Pilot»
Nico Stahlberg (32) liegt auf einer Hantelbank. Sein Puls rast, der Schweiss tropft, er atmet schwer. Der Thurgauer trainiert im Gym zum Song «CooCool» von Róisín Murphy. Stahlberg hat Oberarme wie Popeye. Er wuchtet zwei 32,5 Kilogramm schwere Kurzhanteln achtmal nacheinander in die Höhe. An der Beinpresse drückt der ehemalige Olympia-Ruderer ein Gewicht von 400 Kilogramm rauf und runter. Auf dem Indoor-Bike spult er 70 Kilometer ab. Durchschnittsgeschwindigkeit: 35 Stundenkilometer! Nach zwei Stunden beendet er das Training. Und geht in die Massage.
Nico Stahlberg ist einer von neun Velofahrern des Alinghi-Red-Bull-Racing-Teams. Ohne die Power-Group geht Segeln nicht! Denn die Kraftpakete erzeugen mit ihrer Strampelei den Öldruck, der die Hydrauliksysteme des Boots steuert. «Damit wird sichergestellt, dass die Segel im 20-minütigen Rennen in der optimalen Windrichtung eingestellt werden können und dadurch den höchsten Speed aufnehmen», sagt Stahlberg. Als Ruderer ist der 100 Kilogramm schwere Athlet prädestiniert für diese Aufgabe. «Beim Rudern kommen 70 Prozent der Kraft aus den Beinen, 20 Prozent aus dem Rumpf und 10 Prozent aus den Oberarmen.»
Am Abend schlendern Nico Stahlberg und Freundin Linda Greter (30) über die Plaça Reial. Passanten tuscheln: «Ist das nicht …?» Stahlberg trägt ein Cap mit dem Alinghi-Red-Bull-Racing-Teamlogo. Der gelernte Forstwart schmunzelt: «Viele meinen, ich sei ein Formel-1-Pilot – und Linda ein Model.» Seit über einem halben Jahr lebt die Luzernerin mit Stahlberg in einer Vierzimmerwohnung in Hafennähe. Die Primarlehrerin unterrichtet an der Schweizerschule in Barcelona. «Ich möchte Nico bei der Erfüllung seines Lebenstraums unterstützen», so Greter. Mussestunden verbringt das Paar mit Ausfahrten auf dem Töff ins Hinterland oder mit Spaziergängen durch die Gässchen Barcelonas.
Der Steuermann :«Heute fliegen wir mit 100 Sachen übers Meer»
Arnaud Psarofaghis, Hochgeschwindigkeitssegeln wird oft mit der Formel 1 verglichen. Stimmt das?
Ja. Unser Boot, die AC75, ist eine richtige Rennmaschine, vergleichbar mit einem Formel-1-Boliden. Wir verständigen uns über Funk, dafür haben wir Spezialisten an Bord. 20 Leute nehmen am Morgen das Boot in Betrieb – alle Experten sind mit Computern ausgerüstet. Acht Athleten bringen dann das Boot zum «Fliegen».
Wie hat sich der Rennsegelsport in den letzten 20 Jahren verändert?
Der America’s Cup hat sich zu einem Hochtechnologie-Wettbewerb entwickelt. Aus Sicherheitsgründen tragen wir auf dem Schiff Helme, Skibrillen und kleine Sauerstoffflaschen, die sich an den Westen oder im Cockpit befinden – für den Notfall. Diese Schutzmassnahmen gabs vor 20 Jahren nicht. Damals segelten wir mit 25 Stundenkilometern, heute jagen wir mit 100 Sachen übers Meer.
Die Segler tragen Sauerstoffflaschen. Warum denn das?
Die Sauerstoffflasche gehört zur Sicherheitsausrüstung und wird verwendet, falls wir beim Kentern des Boots unter Wasser festsitzen sollten.
Die meiste Zeit leben Sie in Barcelona. Vermissen Sie Ihre Heimat Genf?
Ja, vor allem die Nähe zu meiner Familie und meinen Freunden. Aber auch die Ruhe fehlt mir, denn ich stamme aus Corsier-Port, einem winzigen Dorf nahe Genf.
Sie haben mit Ihrer Partnerin einen fast zwei Jahre alten Sohn. Leben sie bei Ihnen in Barcelona?
Ja, wir haben eine Wohnung ganz in der Nähe der Basis.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit – gehen Sie etwa zu einem Spiel des FC Barcelona?
Nein. Meine Freizeit verbringe ich lieber mit meiner Familie. Manchmal fahren wir aufs Land.
Was erwartet Ihr Chef, Ernesto Bertarelli, von Ihnen und den Teammitgliedern?
Er will, dass wir den nächsten America’s Cup gewinnen!
Wie managt er das Team?
Er ist zwar nicht oft hier, aber er steht immer mit einigen von uns und mit dem Management in Kontakt. Ausserdem weiss er genau, was passiert, und hat eine sehr gute Vorstellung davon, wie alle Dinge ablaufen sollten. Er gibt alles, um Menschen zu helfen und Erfolge zu erzielen. Auch hat er ein gutes Gespür für die Bedürfnisse der Menschen. Er managt uns also sehr gut.
Die Rennjacht ist in Barcelona!
Nach einwöchiger Reise ist die Rennjacht «BoatOne» per Lastwagenkonvoi im März in Barcelona eingetroffen. Das Boot wurde in Ecublens VD gebaut. Es löst die bisherige Trainingsjacht «BoatZero» ab, mit der das Team 124 Segeltage verbrachte. Gewassert und getauft wird «BoatOne» vermutlich im April. Überschattet wird das Ereignis vom Tod des Segeldesigners Gautier Sergent. Der Franzose starb 47-jährig an einem Herzinfarkt.