Äusserlich wirkt Yannik Zamboni, 37, tiefenentspannt. Doch der Modemacher gesteht: «Ich kann vor Nervosität nicht einmal essen.» Er schreitet von Schminktisch zu Schminktisch, checkt, ob alles plangemäss läuft. Die Stylisten kleben den Models falsche Wimpern auf und sorgen dafür, dass jede Haarsträhne richtig sitzt.
Alles soll stimmen, wenn Yannik Zamboni seine «DNA»-Kollektion 2024 präsentiert, an der das sechsköpfige Kernteam monatelang gearbeitet hat – bis zum letzen Moment.
Die New York Fashion Week findet zweimal jährlich statt. 71 etablierte Designer sowie fünf Newcomer durften ihre Mode diesen September an einer der wichtigsten Modewochen der Welt zeigen. Da Zambonis Label Maison Blanche nicht ins offizielle Programm der NYFW aufgenommen wurde, veranstaltet er seine eigene Schau. «Finanziell ein totales Minusgeschäft», sagt er.
Allerdings gelten Modenschauen als Prestige-Booster, fördern die Markenbekanntheit und erreichen viel Aufmerksamkeit.
Diese möchte der Designer auf ein Thema richten, das ihm am Herzen liegt: dem gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Anzeigen führen selten zu einer Verurteilung. Grund: mangelndes Beweismaterial.
Yannik Zamboni handelt präventiv und fertigt Waschetiketten an, auf denen steht «Do not wash if you’ve just been sexually assaulted» («Nicht waschen, wenn du gerade eine sexuelle Belästigung erlebt hast»). So soll die DNA des Täters nicht verloren gehen. Er selbst habe übergriffige Situationen erlebt, sei aber «vom Schlimmsten verschont» geblieben.
Ausschlaggebend für die Kampagne, die er mit der renommierten Schweizer Agenturgruppe Jung von Matt lancierte, waren zwei Personen aus seinem Umfeld. «Sie sind Opfer sexueller Übergriffe und können es nicht beweisen.» Von nun an integriert Zamboni die Etikette in all seinen Kleidungsstücken.
Die Kollektion repräsentiert gleichzeitig die DNA des Labels Maison Blanche. Kurz gesagt plädiert sie dafür, dass jeder Mensch tragen kann, was er oder sie will. Selbst das Alter spielt keine Rolle, beweist die 72-jährige Carmen Meister-Meier. «In seiner Kleidung fühle ich mich einfach wohl.»
Das Best-Ager-Model pflegt ein langjähriges Verhältnis mit Yannik Zamboni, einem ihrer «Lieblingsmenschen». Mit der Botschaft dieser Kollektion kann sie sich total identifizieren. «Ich habe bereits als Kind sexuellen Übergriff erlebt, aber mir glaubte niemand.»
«Bye guys», ruft Yannik Zamboni, als er den Raum verlässt. Beim Endspurt ist das Team auf sich allein gestellt. Der Designer kehrt zurück in sein Hotel am Broadway für ein Fresh-up und ein Time-out. Zwei Stunden vor Showbeginn steigen der Designer, Social-Media-Manager Brian Kuske und Assistent und Studio-Manager Daniel Kaldis ins Taxi, lassen die Champagnerkorken knallen.
Im Auto erhält Yannik schlechte Nachrichten: Ein paar Models verspäten sich – die Agentur hatte sie an die falsche Adresse geschickt. Für Aufregung bleibt allerdings keine Zeit. Im Club angekommen, arbeiten alle auf Hochtouren. Die Models werden angezogen – die meisten in Weiss, der Grundton von Maison Blanche. «Vielleicht wechsle ich wieder mal zu Farbe», meint Zamboni.
Gerade rechtzeitig erscheint der ganze Cast für die Proben. Die ersten Gäste stehen schon Schlange. «Wir machen das jetzt im Schnelldurchgang», ruft Art Director Ben Prince, der bereits Virgil Ablohs Shows für Louis Vuitton inszenierte.
Als Yannik Zamboni 2022 als Heidi Klums Gewinner der US-Fernsehsendung «Making the Cut» Teil der New York Fashion Week war, fand seine Show in einem der angesagtesten Clubs statt. «Dieser hier spricht hingegen die soziale Szene direkt an», so Prince.
Minuten vor dem Auftritt versammeln sich die Models backstage, draussen hinter dem Club. Ausgerechnet jetzt regnet es in Strömen. Die Models flüchten sich unter eine Markise. Immer wieder ruft jemand «Achtung!», wenn gerade eine Ladung Wasser runterkommt.
Irgendwo dazwischen geht Zamboni auf die Knie, putzt die weissen Schuhe eines Models, einer anderen schnürt er das Korsett zu. «Niemand geht auf den Laufsteg, bevor ich dem Look mein Okay gebe.»
Die Show hätte vor dreissig Minuten beginnen sollen. Im Publikum wartet Thomas Hayo. Der Art Director und langjährige Freund von Heidi Klum ist da, um Yannik Zamboni zu unterstützen. «In Amerika steht Yannik noch ganz am Anfang seiner Karriere.» Diese These bestätigt der Mangel an internationalen Medien und Absagen von Prominenz.
Auch Zambonis Förderin Heidi Klum fehlt, sie musste an einen Dreh. «Sie hätte mich am meisten unter Druck gesetzt, weil sie mich entdeckt hat», meint Zamboni. Dennoch: «Yanniks Chancen in Amerika sehen super aus», ist der ehemalige «Germany’s Next Topmodel»-Juror überzeugt.
«Gehts dir gut?», fragt Yannik Zamboni jedes Model vor dem grossen Auftritt. Er ist aufgeregt, glücklich zugleich. Dann ertönt ein lauter Bass, der Club erstrahlt in Rot – Showtime! Der Designer steht hinter der Bühne, schickt alle los. Zum Schluss ist er an der Reihe. Er holt tief Luft, läuft los.
Yannik Zamboni erntet tosenden Applaus, als er sich verbeugt. Jetzt kann er den Moment geniessen. Nach der Show fallen die Models Yannik Zamboni um den Hals. Ob er zufrieden ist? «Das weiss ich erst, wenn ich das Feedback meiner Freunde einhole.» Doch bevor er das tut, hat er eine Idee: «Lasst uns trinken!» Und vielleicht endlich auch etwas essen.