Hanan Osman, 29, fegt mit einer Energie durchs Leben, die ihresgleichen sucht: Sie ist Influencerin und Model und führt an ihrem Wohnort St. Gallen ein eigenes Kleidergeschäft. Eineinhalb Tage die Woche arbeitet sie als medizinische Praxisassistentin im Spital und studiert nebenbei noch internationale Beziehungen. «Mengmool scho chli viel», sagt sie in breitestem St. Galler Dialekt. «Aber meine Familie unterstützt mich und übernimmt manchmal Schichten im Laden.» Hanan Osman hat zwei Brüder und drei Schwestern. Ihre Eltern fänden «cool», was sie mache. «Aber Mode und Instagram, das ist nicht ihre Welt.»
Hanan Osman, Ihre Eltern kamen als Geflüchtete aus Somalia, Sie selbst sind in der Schweiz aufgewachsen. Wie wichtig ist Ihnen Religion?
Ich bin mit dem Koran aufgewachsen und habe schon als Kind fünfmal am Tag gebetet und im Monat Ramadan gefastet. Wobei meine Eltern stets betonten: «Du musst nicht wegen uns an Gott glauben.» Sie haben mich und meine fünf Geschwister nie zu etwas gezwungen. Meine älteren Schwestern tragen zum Beispiel kein Kopftuch.
Sie selbst haben sich erst vor drei Jahren – mit 26 – dafür entschieden. Warum so spät?
Weil hier fast niemand ein Kopftuch trägt. Ich wollte nicht auffallen. Aber irgendwann wurde mir klar: Ich muss so leben, wie ich mich wohlfühle. Und das ist nun mal, wenn ich weder Haut noch Haare zeige. Ich möchte als Frau wahrgenommen werden, nicht als Sexobjekt. Seit ich nur noch mit Kopftuch aus dem Haus gehe, schauen mich die Männer kaum oder gar nicht mehr an, das finde ich sehr angenehm.
Wie waren die Reaktionen?
Manche sagten, sie fänden das ein starkes Zeichen. Andere sagten: «Ist ja megaschade um deine dunklen Locken.» Einzelne fragten auch, ob ich geheiratet habe und suggerierten damit, dass ich das nicht freiwillig mache. Krass, oder?
Nicht alle muslimischen Frauen haben die Wahl …
Mir ist bewusst, dass manche Frauen dazu gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen. Das unterstütze ich natürlich nicht. Aber genauso schlimm ist es, wenn man nicht akzeptiert, dass ich das freiwillig mache.
Müssen Sie sich oft rechtfertigen?
Mir fällt einfach auf, dass viele Leute Vorurteile haben, sobald man anders aussieht. Als Praxisassistentin etwa begegne ich immer wieder Patienten, die denken, ich spreche kein Deutsch. Manchmal bekomme ich auch zu hören, als Kopftuchträgerin unterstütze ich den Krieg in Afghanistan.
Das Kopftuch war der Startschuss für Ihre Modelkarriere. Wie kams?
Eine Agentur entdeckte mich auf Instagram, eine andere sprach mich in London auf der Strasse an. Ich sagte zuerst: «Schön und gut, aber ich bin nur 1 Meter 60 gross.» Doch sie wollten mich trotzdem – wegen des Kopftuchs. Heute bin ich bei drei Agenturen unter Vertrag, machte etwa ein Shooting für die Schweizer Börse Six und Videowerbung für den Elektrogrosshändler Sonepar. Besonders gefreut hat mich die Anfrage für eine Schmuckkampagne in der englischen «Harper’s Bazaar».
Beim Modeln geht es ums Aussehen, ums Auffallen. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihrem Glauben?
Wenn ich modle, dann trage ich ja nichts, in dem ich mich unwohl fühle. Und ich finde es schön zu zeigen, dass man Kopftuch tragen und gleichzeitig alles machen kann, was man möchte – egal was die Gesellschaft sagt.
Sind sich Ihre Auftraggeber bewusst, was es heisst, wenn sie ein muslimisches Model buchen?
Die meisten wissen, worauf sie sich einlassen. Aber es ist auch schon passiert, dass mir ein Stylist sagte, leg doch kurz das Kopftuch ab, wir machen noch ein Fotosujet mit Haar. Aber es gibt mich nicht ohne mein Kopftuch.
Die weltberühmte Halima Aden musste ihre Karriere als Kopftuchmodel beenden – die Branche habe sie gezwungen, ihren Glauben zu kompromittieren. Nachvollziehbar für Sie?
Absolut! Wenn man für die ganz grossen Marken läuft, traut man sich vielleicht weniger oft, Nein zu sagen. Lässt sich zu Kleidungsstücken überreden, die man gar nicht tragen möchte, nur um ja im Business zu bleiben. Ich habe diesen Druck nicht, Modeln ist ja nicht mein Hauptberuf.
Seit Kurzem führen Sie einen eigenen Laden mit islamkonformen Kleidern. Warum?
Weil ich gemerkt habe, dass ich in der Schweiz kaum Kleider finde, in denen ich mich wohlfühle. Oft sind sie zu eng, zu kurz oder zu tief ausgeschnitten. In meinem Laden verkaufe ich lockere Kleidung, die schlicht, aber trotzdem trendy ist. Ein Schneider in den Arabischen Emiraten stellt sie für mich her.
Wer sind Ihre Kundinnen?
Somalierinnen, Türkinnen, Albanerinnen, aber auch Schweizerinnen. Und gläubig sind längst nicht alle. Schade finde ich, wenn Nicht-Musliminnen ein Kopftuch cool finden, aber sich nicht getrauen, eines anzuprobieren. Ich sage dann immer: «Alle dürfen ein Kopftuch tragen, egal ob gläubig oder nicht.»