Die Fahrt ist lang, die Landschaft karg. Hie und da ein paar Hütten, die bald in der roten Staubwolke hinter dem Geländewagen verschwinden. Plötzlich unterbricht ein «Pling» das gleichmässige Schaukeln auf der Piste. «In Mzimba gibt es einen Choleraausbruch», steht auf Manuela Freys Handydisplay. «Bitte auf korrektes Hygieneverhalten achten, so ist die Krankheit vermeidbar!»
Das SMS kommt aus dem Hauptquartier des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) in Malawi. Es löst ein mulmiges Gefühl aus.
«Wer in der Welt herumkommt, realisiert schnell, dass wir Schweizer äusserst privilegiert leben.»
Manuela Frey
Manuela Frey (26 ) befindet sich mit einer Delegation aus der Schweiz auf dem Weg in den Norden des Landes, wo Mzimba liegt. Dort hat das SRK gemeinsam mit dem Malawischen Roten Kreuz (MRCS) 2014 eine Vielzahl von Projekten lanciert. Speziell in den Bereichen Gesundheitsvorsorge, Wasserversorgung, sanitäre Anlagen und Hygiene. Als neue SRK-Botschafterin will sich die Aargauerin ein Bild davon machen, welche Auswirkungen das Engagement auf das Leben der malawischen Landbevölkerung hat. «Wer in der Welt herumkommt, realisiert schnell, dass wir Schweizer äusserst privilegiert leben. Ich möchte mich deswegen für die einsetzen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen.»
Geplant ist ein Besuch bei Alice Chanza (39) im 85-Seelen-Dorf Alufeyo Mbale. Die alleinerziehende Mutter dreier Kinder war eine der Ersten, die sich mithilfe der Rot-Kreuz-Kooperation eine eigene Latrine bauen konnte und lernte, wie bedeutend die Handhygiene für das Vermeiden von Krankheiten ist.
Händewaschen rettet Leben
Als Manuela Frey in Alufeyo Mbale ankommt, nimmt Alice sie herzlich in Empfang und zeigt ihr, dass mittlerweile jede Wohnhütte im Dorf über ein eigenes Toilettenhäuschen verfügt. Die Graffitis an den Latrinen zeigen, wie stolz die Dorfbewohner auf ihre Errungenschaft sind. «Wasch dir die Hände!», mahnt ein Schriftzug. «Seit 2014 gehen wir nicht mehr in den Busch!», jubelt ein anderer.
Vor jedem stillen Örtchen steht ein eigenartiges Gebilde aus zwei Astgabeln und einer PET-Flasche. «Das ist ein ‹Tippy Tap›», erklärt Alice Chanza. «Wenn man mit dem Fuss den Behälter kippt, kann man sich unter fliessendem Wasser die Hände mit Seife waschen.» Manuela Frey probiert das sofort aus, unter penibler Anleitung von Alice. «Hier lernt man ja noch gewissenhafter Händewaschen, als es mir als Kind beigebracht wurde», staunt das Model.
Händewaschen kann hier über Leben und Tod entscheiden. Malawi ist eines der ärmsten Länder der Welt. Nur die Hälfte der rund 20 Millionen Menschen im Land haben unmittelbaren Zugang zu sauberem Wasser. Eine Wasserflasche, für die Manuela Frey in einem Markt umgerechnet 50 Rappen bezahlt, ist für Menschen mit einem Tagesbudget von weniger als einem US-Dollar unerschwinglich – also für mehr als die Hälfte der Bevölkerung. In diesem Armutskontext ist die Gesundheitslage im Land prekär. Es fehlt auch an Sanitäranlagen, Gesundheitswissen und Hygienekompetenz. Jährlich sterben Hunderte malawischer Kinder an Durchfallkrankheiten, die vermeidbar gewesen wären.
Bis vor vier Jahren gab es auch im Dorf von Alice Chanza kein sauberes Wasser. Die Bewohnerinnen mussten im halb ausgetrockneten Flussbett nach trüber Flüssigkeit graben. 2018 erhielt das Dorf eine Wasserpumpe am Rand der Siedlung. Das Bohrloch reicht 40 Meter tief und ist ergiebig genug, um voraussichtlich 250 Menschen während 45 Jahren mit Trinkwasser zu versorgen – eine von 37 Wasserpumpen, die mithilfe von Spendengeldern aus der Schweiz gebaut oder revidiert wurden. «Komm, ich zeige sie dir», sagt Alice und bedeutet Manuela mit Händen und Füssen, sich einen Eimer zu schnappen.
Die Wasserpumpe steht am Dorfrand und ist mit einem Handhebel ausgestattet, den die Frauen gemeinsam bedienen. «Ein kleines Work-out», scherzt Manuela. Doch die richtige Arbeit liegt noch vor ihr. Als sie sich wie Alice den vollen Eimer auf den Kopf heben will, scheitert sie prompt. «Ich wusste gar nicht, wie schwer 20 Liter sind! Und das tragen hier schon Zehnjährige?» Sie macht eine Geste wie ein Bodybuilder. «Unglaublich, wie stark ihr Frauen seid!» Alice lacht und eilt zu Hilfe.
Als Freiwillige des Roten Kreuzes hat Alice Chanza mittlerweile eine Vorbildfunktion. Sie engagiert sich sowohl in ihrer Siedlung als auch an der Schule ihrer 15-jährigen Tochter Alinafe. Dort gibt es Müttergruppen, die sich in Menstruationshygiene fortbilden, und Kurse für Teenagerinnen, um eigene Monatsbinden herzustellen. Die Schule hat enorm von der Zusammenarbeit profitiert: Während im Rest des Landes weiterhin 70 Prozent der Gesundheitszentren und Schulen mit mangelnden oder ganz fehlenden Sanitäranlagen auskommen müssen, gibt es hier neue Latrinen und ein Gartenprojekt zum Anbau von Mais und Senfblättern, mit dem die Schule jedem Kind künftig täglich eine Mahlzeit offerieren kann. So will man die gesunde Entwicklung fördern und der heranrollenden Hungerkrise im Land entgegenwirken.
Das Buschtelefon ist ein wichtiges Kommunikationsmittel
Einmal pro Monat nimmt Alice an einer Weiterbildung teil, um Neues über Hygiene und Gesundheitsvorsorge zu lernen. Mit diesem Wissen zieht sie, wie viele andere Freiwillige, von Haus zu Haus und unterrichtet ihre Nachbarn, Bekannten und Verwandten. Eine Art Buschtelefon, mit dem das Rote Kreuz jährlich rund 30 000 Haushalte in ruralen Gebieten erreicht.
Auch an diesem Nachmittag zieht sie von Hütte zu Hütte. «Beim aktuellen Choleraausbruch will ich sicherstellen, dass alle die Hygienemassnahmen gewissenhaft umsetzen.» Denn dass das penible Händewaschen seine Wirkung zeigt, ist unbestritten. «Alice erzählte mir, dass ihre Kinder viel seltener krank sind, seit das Dorf von den SRK-Projekten profitiert», sagt Manuela. Sie begleitet ihre Gastgeberin bei den Besuchen in weiteren Hütten. Jetzt mit einem sicheren Gefühl. In Alufeyo Mbale hat die Cholera keine Chance.