Einfach wars nicht. «Wie soll man das auch spielen, ständige, latente Todesangst?», fragt Morgane Ferru, 30. Trotzdem ist für die Zürcherin sofort klar: «Das will ich machen», als ihr die Hauptrolle in Michael Steiners Verfilmung des Geiseldramas «Und morgen seid ihr tot» angeboten wird. Morgane Ferru verkörpert Daniela Widmer, 38, die vor zehn Jahren mit ihrem damaligen Partner David Och, 41, in Pakistan von Taliban verschleppt und acht Monate lang gefangen gehalten wurde, bevor ihnen die Flucht gelang.
Beim ersten Treffen mit Daniela ist Morgane «sehr nervös. Ich hatte einen ellenlangen Fragenkatalog vorbereitet.» Die Aufregung verfliegt im Nu. «Ich war von Danielas Präsenz fasziniert. Wir haben uns sofort verstanden.» Auch Daniela Widmer schiebt gleich alle Bedenken beiseite: «Morgane ist empathisch und war anfangs angenehm zurückhaltend. Ich wusste, das kommt gut.» Dieses Gefühl bestätigt das Publikum des Zurich Film Festival, wo «Und morgen seid ihr tot» Ende September Premiere feiert, mit frenetischem Applaus und Standing Ovations für das Werk. «Ein unglaubliches Gefühl», sagt Morgane. Auch weil die Premiere in ihrer Heimatstadt stattfindet.
Morgane, Tochter eines französischen Vaters und einer deutschen Mutter, wird in Zürich geboren und wächst hier auf. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Freund, Schauspieler Ulrich Brandhoff, 36, in Berlin.
Morgane (l.) mit Ex-Geisel Daniela Widmer. «Und morgen seid ihr tot» läuft ab 28. Oktober im Kino.
Getty Images for ZFFIhre Heimatstadt besucht sie so oft wie möglich. Nicht nur, weil sie den Zürichsee vermisst, sondern vor allem Vater Alain, 68, und Schwester Gwendoline, 33, die nach wie vor in der Limmatstadt wohnen (die Mutter lebt mittlerweile in Frankreich). Dann sitzen die beiden Schwestern schon mal einige Stunden in Gwens kleiner Küche und quatschen über Gott, die Welt und die Kunst. Gwendoline Ferru ist freischaffende Künstlerin, designt zum Beispiel T-Shirts, illustriert Bücher, schafft Gemälde oder kreiert Silberschmuck. Als Kinder habe man sich schon ab und zu gefetzt. «Aber eigentlich waren wir sehr symbiotisch», sagt Morgane. Gwen beschützt die kleine «Mo», wenn sie geärgert wird. Morgane schaut zu ihrer grossen Schwester auf, will genauso sein wie sie.
So stösst sie denn auch mit 13 Jahren zu einer Theatergruppe, in der Gwendoline bereits aktiv ist. Später schreibt, inszeniert und spielt sie als Maturaarbeit ein Theaterstück gemeinsam mit einer Freundin. Diese und auch Gwen ermutigen Morgane, sich an der Schauspielschule zu bewerben. Dies ist sozusagen der Todesstoss für Papa Alains Wunsch, seine jüngere Tochter als Anwältin zu sehen. «Ich habe schnell akzeptiert, dass sie andere Prioritäten hat», meint der Informatiker lachend.
Zu Besuch in Zürich bei Papa Alain und Schwester Gwendoline (r.). Der Vater hätte seine jüngere Tochter gern als Anwältin gesehen.
Geri BornAn der Schauspielschule in München lernt Morgane Sven Schelker, 31, kennen, der in «Und morgen seid ihr tot» David Och verkörpert. Er schlägt sie für die weibliche Hauptrolle vor. «Ich habe lange gesucht. Als ich Morgane traf, wusste ich: Sie ist die Richtige», sagt Regisseur Michael Steiner, 52. Nach zwei Saisons als Gast bei den Münchner Kammerspielen, einer Saison im Ensemble des Schlosstheaters Celle und einem Gastvertrag an der Deutschen Oper Berlin konzentriert sich Morgane auf die Arbeit vor der Kamera.
Von «Tatort» über «Der Bergdoktor» bis zu «Die Chefin» und «Der Alte» gibts kaum eine Serie in Deutschland, in der Morgane Ferru nicht in einer Episodenrolle zu sehen war. Dazu kommen viele TV-Filme. Aber auch auf der grossen Leinwand machte sie schon ihre Aufwartung, etwa in «Heimatland», «Finsteres Glück» oder «Glaubenberg». Dass sie ihre erste grosse Kino-Hauptrolle in Dialekt spielen darf, freut sie. «Ich liebe es, in Schweizerdeutsch zu drehen. Es klingt nicht so geschrieben.»
In der kleinen Küche von Gwendolines Zürcher Wohnung quatschen «Mo» und «Gwen» zuweilen stundenlang.
Geri BornSo sehr sie ihre Schweizer Heimat vermisst, so sehr ist Berlin inzwischen zu Morganes Zuhause geworden. Das liegt vor allem an ihrem Freund Ulrich, ihrem «sicheren Hafen». Den gleichen Beruf zu haben, hat gute und weniger gute Seiten. «Wir tauschen uns aus, helfen einander bei der Vorbereitung auf Rollen.» Dem Liebsten zuzuschauen, wenn er auf dem Bildschirm eine andere küsst, sei allerdings auch nach acht Jahren noch gewöhnungsbedürftig. «Man macht das selbst ja auch und weiss, wie das einzuordnen ist. Aber die Bilder im Kopf sind halt kurzzeitig da», meint sie lachend.
Für Morgane steht nun erst einmal Sprecharbeit an: Sie synchronisiert sich in «Und morgen seid ihr tot» selber – sowohl in Deutsch als auch in Französisch. «Danach sehen wir weiter.» Eins ist sicher: Zum letzten Mal sehen wir Morgane Ferru nicht auf der grossen Leinwand.