Für ein Foto in den Schneidersitz? Eher ein Krampf für Mujinga Kambundji auf dem weichen Sofa im Garten des Naturhistorischen Museums Bern. «Das könnte Didi besser», sagt sie und lacht, während sie ihre Beine drapiert. Ihre Schwester Ditaji hat als Hürdensprinterin eine gute Hüftbeweglichkeit, bei Flachsprinterin Mujinga ist das nicht der Fall. Die beiden haben eine andere Leichtathletik-Disziplin gewählt – äusserst schnell sind sie beide. Mujinga, 29, läuft seit Jahren in der erweiterten Weltspitze, Ditaji, 19, ist die Nummer 2 der Welt bei den U20.
Automatisch immer «die Kleine» der Familie
Zehn Jahre trennen die beiden, eine grosse Differenz. Während die ersten drei Kambundji-Schwestern altersmässig relativ nah beieinander sind, ist Ditaji sechs Jahre jünger als die Zweitjüngste Muswama. Damit war sie automatisch immer «die Kleine» der Familie. Im grossen gemeinsamen Freundeskreis der Älteren war aber auch das Nesthäkchen oft dabei. «Das war wie eine Bande, hat gfägt», sagt Ditaji. Das Haus der Kambundjis stand ohnehin immer für alle offen. Familienmenschen mögen gern viele Leute um sich herum. «Und sie haben mich überallhin mitgenommen.»
«Ditaji ist in vielen Dingen professioneller, als ich es in ihrem Alter war»
Mujinga Kambundji
Schauten die Schwestern gemeinsam eine Serie wie «Desperate Housewives», «für die Didi viel zu jung war», wie sich Mujinga erinnert, musste die Kleine jeweils die Augen zumachen, wenn die Szene zu brutal oder schlüpfrig wurde. Nach den Europameisterschaften in Zürich 2014 machten die vier Schwestern gemeinsam Ferien in New York, nahmen die zwölfjährige Ditaji mit und verzichteten dafür auf den Ausgang. Und es habe durchaus auch Vorzüge, die Jüngste zu sein: «Wenn wir ein Gruppengeschenk machen, müssen schon ein paar ausfallen, damit ich Verantwortung übernehmen muss», sagt sie lachend.
Ditaji konnte von Mujingas Erfahrung profitieren
Spätestens als Ditaji zum ersten Mal alleine in die Ferien verreiste, realisierte Mujinga, dass Didi nun nicht mehr die Kleine sei. Und nun erlebt sie die 19-Jährige gar als sehr erwachsen. «Sie ist in vielen Dingen professioneller als ich in ihrem Alter.» Das liegt auch daran, dass sie von den älteren Schwestern – alle haben Leichtathletik gemacht – sehr viel mitbekommen hat. Das betrifft den Sport, aber auch alles, was der Erfolg mit sich bringt: Medien- und Sponsorentermine, Vorbereitungsphasen auf wichtige Wettkämpfe, die Balance finden zwischen Schule, Ausbildung, Sport und Freizeit. Ditaji hat Mujingas Weg von der Überraschung an der EM 2014 zum «Gesicht der Schweizer Leichtathletik» aus nächster Nähe verfolgt und alles aufgesogen. Während Mujinga vieles für sich herausfinden musste, konnte Ditaji Jahre später von dieser Erfahrung profitieren. Und so zum Beispiel ihrem Hobby Klavier noch etwas länger frönen, bevor sie voll auf den Sport setzte.
Nun ist die Ältere beeindruckt, wie souverän die Jüngere Auftritte meistert. «Ich war in ihrem Alter viel schüchterner, zurückhaltender. Hätte ich mit 17 ein Fernseh-Interview auf Englisch geben müssen, hätte ich gesagt: ‹Yes, it was good.› Aber sie redet ausführlich über ihre Rennen.»
Die grosse Gemeinsamkeit: Wenn es zählt, liefern sie
Reif ist auch Ditajis Reaktion, als sie kurz nach den Olympischen Spielen an der U20-WM im Final, in Führung liegend, stürzt und ausscheidet. Zwar war sie enttäuscht, sieht mittlerweile aber bereits den Lerneffekt für die Zukunft. Neben diesem Malheur brilliert sie in der aktuellen Saison mit schnellen Zeiten und dem U20-EM-Titel. Und auch Mujinga setzt sich weiterhin vorne fest, erreicht drei Olympiafinals, liefert sich über 100 Meter mit Ajla Del Ponte spannende Duelle, gewinnt ein Rennen in der Diamond League. Es ist die grosse Gemeinsamkeit der beiden Schwestern: Wenn es zählt, liefern sie. Ditaji ist sogar gern nervös vor dem Start – für den Extra-Kick. Mujingas legendäre Gemütlichkeit neben der Leichtathletikbahn trifft allerdings auch auf die jüngere zu. Da muss die Bernerinnen niemand stressen wollen. Den Humor teilen sie ebenfalls. Was die zwei von den anderen Schwestern unterscheidet? Ein bisschen nerdige Faszination für Fantasy à la Harry Potter oder «Game of Thrones».
«Meine Schwestern haben mich überallhin mitgenommen. Das hat gfägt»
Ditaji Kambundji
Ditaji, die im Sommer 2022 Matur macht, wohnt als Einzige noch zu Hause bei den Eltern. Sie ist aber oft bei Mujinga und deren Freund beim Essen oder geht bei der ältesten Schwester Kaluanda vorbei, die seit sechs Monaten ein Bébé hat. Muswama hingegen wohnt zurzeit in London. Vielleicht gibts im Herbst nach der intensiven Saison noch einen Besuch bei ihr. Oder Mujinga und Ditaji gehen mit einer anderen Kollegin in die Ferien. Das ist alles noch offen.
Zwei Heimrennen zum Saisonabschluss
Zuerst stehen mit Weltklasse Zürich und der Galà dei Castelli in Bellinzona noch zwei Heimrennen an. In Zürich finden dieses Jahr sämtliche Diamond-League-Finals statt – ein zweitägiger Event auf dem Sechseläutenplatz und im Letzigrund am 8. und 9. September. Nach den Olympischen Spielen in Tokio, wo sie ein Zimmer geteilt haben, ein nächstes gemeinsames Highlight für die schnellsten Schwestern der Schweiz.