We are familiy! Wenn Mujinga Kambundji nach den Sternen greift und im Sprint Gold und Silber gewinnt, verzückt sie das ganze Land. Und wenn ihre jüngere Schwester Ditaji an den Europameisterschaften in München mit einer famosen Leistung über 100 Meter Hürden den Medaillensatz komplett macht, nimmt die Geschichte schon fast märchenhafte Züge an.
«Wenn ich Ruhe brauche»
Auf der Tribüne jubeln drei Generationen mit. Mutter Ruth, Vater Safuka sowie die Schwestern Kaluanda und Muswama – und in München erstmals an einem grossen Titelkampf im Ausland auch Grossmutter Hanni Nafzger, 88. Mit ihr verbindet die Kambundji-Schwestern eine ganz spezielle Beziehung. Mujinga sagt stellvertretend: «Ihr Bauernhof in Noflen ist der Ort, wo ich hingehe, wenn ich Ruhe brauche. Raus aus der Stadt. Es gibt immer etwas Feines zu essen, einen warmen Platz am Ofen im Winter oder einen Sonnenplatz im Sommer. Es ist der Rückzugsort, wo die Familie zusammenkommt.»
Die Europameisterschaften in München haben die Schweizer Leichtathletik mit sechs Medaillen in andere Sphären gehoben. Die Hälfte davon brachten die Kambundjis ins Ziel. Die Geschichte der Berner Familie mit den vier Schwestern, dem kongolesischen Vater und der Schweizer Mutter stehen für eine moderne kosmopolitische und offene Schweiz. Und für Zusammenhalt. Die drei grösseren Schwestern nahmen Nesthäkchen Ditaji immer überall mit, das Haus der Kambundjis stand für alle offen. Familienmenschen mögen gern viele Leute um sich herum. Alle vier Schwestern haben sich der Leichtathletik verschrieben, zwei brachten es an die Weltspitze.
«Ein Hafen der Sicherheit»
Ein Mann, der Mujinga und Ditaji besser kennt als viele andere im Schweizer Sport, ist Adrian Rothenbühler. Der Sprinttrainer war lange die sportlich wichtigste Bezugsperson von Mujinga – und begleitete nun Ditaji auf ihrem Weg aufs EM-Podest. Zur Kraft, die den beiden die Familie gibt, sagt er: «Das ist ein unglaublich wichtiger Faktor – quasi ein Hafen der Sicherheit, der gerade in schwereren Zeiten einen grossen Halt gibt. Jeder Trainer, der mit den beiden arbeitet, muss das wissen.»
Mujinga bestätigt seine Worte vollumfänglich: «Die Familie ist vor allem in den Momenten extrem wichtig, wenn die Öffentlichkeit nicht dabei ist und es vielleicht mal nicht so gut läuft. In schwierigen Momenten braucht man jemanden, mit dem man über alles sprechen kann.» Aber auch in einem Wettkampf könne es den Unterschied ausmachen, wenn man den Support so intensiv spüre: «In München war alles sehr speziell – und hochemotional. Es ist immer ein sehr schönes Gefühl, wenn die Familie im Stadion ist – auch wenn man auf der Bahn davon nicht direkt etwas spürt.»
«Enorm gross Konkurrenz»
Dass sie jemals an einem Grossanlass Gold und Silber im Sprint gewinnen würde, hätte sie nie gedacht. Aber auf gewisse Weise verlief ihr Entwicklungsprozess ganz natürlich. Mujinga Kambundji sagt: «Ich wurde im Verlauf der Jahre immer schneller – und meine Ziele wurden immer höher.» Grundsätzlich könne man sagen, dass in der Schweizer Leichtathletik eine extrem positive Dynamik entstanden sei: «Die sechs Medaillen, die wir in München gewinnen konnten, machen solche Erfolge auch für die nächste Generation greifbar. Man darf nicht vergessen, dass wir in der Leichtathletik gegen eine enorm grosse Konkurrenz kämpfen. Praktisch in jedem Land der Erde rennt jemand.»
Von dieser Gegnerschaft lassen sich die Kambundjis nicht abschrecken – schon gar nicht die erst 20-jährige Ditaji. Zur Ausgangslage vor dem Bronze-Lauf sagt sie: «Ich wusste, dass sich mir eine Chance bietet. Aber ich wusste auch, dass ich ein fast perfektes Rennen brauche. Und rückblickend kann ich sagen: Es ist mir gelungen.»
«So überwältigt»
Mit ihrer Schwester jubelte auf den Tribünen des Olympiastadions Mujinga besonders laut. Es sei für sie speziell schön gewesen, die Wettkämpfe noch aus einer anderen Perspektive zu geniessen: «Man realisiert dann erst richtig, wie gross die Emotionen im Publikum sind.» Ihre jüngere Schwester wusste auf der Bahn zu Beginn gar nicht, wo ihr die Sinne stehen – und daran änderte sich auch nach dem Empfang im Hotel nichts: «Ich war noch am Morgen danach so überwältigt, dass ich den Erfolg nicht richtig realisierte. Es ist einfach mega cool.»
Ist Mujinga Kambundji in ihren Interviewaussagen bemerkenswert analytisch und reflektiert, schwingt bei Ditaji das Emotionale auch am Tag nach ihrem Bronze-Lauf noch mit. Adrian Rothenbühler sagt, dass es bei ihr nur ein Prinzip gebe: «Vorwärts, vorwärts, vorwärts – immer auch mit einer gesunden Portion Risiko.»
Keinen Druck
In wichtigen Punkten seien die beiden aber trotzdem wieder gleich: «Durch die Unterstützung der Familie und dank ihrem stabilen Umfeld können sie ihrem Sport extrem lustbetont und locker nachgehen. Die Eltern machen alles für die Kinder, aber Druck, wie man ihn von anderen Sportlereltern kennt, gibt es keinen.» Und dann kommt Rothenbühler auf eine weitere Gemeinsamkeit zu sprechen: «Beide haben ihr Potenzial noch nicht ausgereizt. Beiden werden noch schneller werden.» Das sind schlechte News für die Gegnerinnen. Denn schon jetzt gilt: Der kongolesische Name Kambundji bedeutet (frei übersetzt) auf Deutsch «schnell», kraftvoll, hoch erfolgreich».