Zufall oder Schicksal? Das eine schliesst das andere nicht aus. Und oft geht beides Hand in Hand. Dass Musikerin Ta’Shan, 28, ihre Sounds derzeit in einem Kleiderschrank aufnimmt, verdankt sie dem Schicksal. Besser gesagt: Corona.
Das improvisierte Mini-Studio hat die Künstlerin in ihrem Elternhaus in Münsingen BE eingerichtet. Denn eigentlich würde Ta’Shan gerade durch verschiedene europäische Länder touren und auf Festivalbühnen stehen. «Halb so schlimm», meint sie schulterzuckend. «Es kommt so, wie es muss.»
Wer könnte das besser wissen als Shanta Azalea Venkatesh? Ihr indischer Vater und ihre Berner Mutter – damals beide in der Reisebranche tätig – trafen einander in einem Flugzeug. Das mag Zufall gewesen sein. Dass die Tochter nach ihrem Praktikum beim EDA keine Diplomatinnen-Karriere anstrebte – so wie es Papas Traum war –, zeichnete sich allerdings schon früh ab.
Shanta liebt seit Kindertagen Hip-Hop und nimmt mit gerade mal 14 Jahren ihren ersten eigenen Song auf. Ihr Vater scheint schon damals zu ahnen, dass «Shanta» – Hindi für «Frieden» – eben nur eine Seite dieses talentierten Mädchens ist. Schliesslich ist er es, der seine Tochter oft genug auf ihre andere Seite hinweist. «Don’t give me your Ta’Shan!», sagt er jeweils, wenn sie in seinen Augen zu viel «Attitüde» (auf Hindi eben «Ta’Shan») an den Tag legt. Klar, dass die friedliche Shanta irgendwann einen Ort braucht, um ihr Ta’Shan auszuleben. Und das ist die Bühne!
Shanta aber denkt nicht im Entferntesten an eine Musikkarriere, als sie vor sieben Jahren Ferien in Los Angeles macht. Im Airbnb, in dem sie damals logiert, befindet sich – welch Zufall – ein Musikstudio. Shanta krempelt ihre Pläne um und bleibt drei Monate in den USA. Die meiste Zeit verbringt sie in eben diesem Musikstudio. Zurück in der Schweiz, ist klar: «Ich versuchs jetzt einfach.»
Nächste Station: London. Ihr Music-Business-Studium beschert Ta’Shan nicht nur ein Grundwissen über die geschäftliche Seite ihrer Traumkarriere, sondern auch wichtige Beziehungen in der Musikbranche. Und Erfahrungen. «Ich nahm jeden Auftritt mit, den ich irgendwie kriegen konnte», erzählt sie. «Und habe mehr als einmal vor einer Handvoll Leuten gesungen. Da brauchts schon einiges an Durchhaltewillen, um nicht aufzugeben.»
Zu Ta’Shans Fans der ersten Stunde gehört allerdings ein Mitarbeiter der BBC. Das staatliche Radio- und TV-Netzwerk des britischen Königreichs gibt jedes Jahr jungen Talenten die Chance, am legendären Glastonbury Festival im Süden Englands aufzutreten. Auf der «Introducing Stage» standen schon Ed Sheeran oder George Ezra zu Beginn ihrer Karriere. Und auf genau dieser Bühne findet sich Ta’Shan vergangenen Sommer wieder. «Absolut surreal!», beschreibt sie das Gefühl.
Ta’Shans Markenzeichen ist nicht nur ihr eingängiger Mix aus R’n’B, Hip-Hop und Pop, sondern auch ihr Look. Dabei hat sie lange mit ihrem Aussehen gehadert. «Diskriminierende Aussagen wegen meiner Hautfarbe haben mich nie wirklich gestresst. Ich bin stolz auf meine Wurzeln», sagt Shanta. «Aber bei uns in Europa gilt schlank immer noch als Schönheitsideal. Wenn du als Teenager nicht Kleidergrösse 36 trägst, giltst du einfach nicht als schön. Ich dachte in meiner ganzen Jugend und auch später noch, ich sei nicht so attraktiv wie andere.»
Das änderte sich mit dem Umzug nach London: «Erst da realisierte ich, dass Menschen in unzähligen Farben und Formen daherkommen und dass jede okay ist», sagt Ta’Shan. Heute setzt sie sich mit ihrer Musik für «Body Positivity» ein. «Wenn ich mich um Vergleiche sorgen würde, wäre mein Leben peinlich», singt sie zum Beispiel im Song «Mami». Und in «Foodie»: «Ich bin ein Foodie, deshalb sieht mein Körper saftig aus.»
Apropos Foodie: In Zukunft möchte Ta’Shan nicht nur mit ihrer Musik für Furore sorgen. Gerade hat sie unter dem Label «Bombay Mami» – ihr Debütalbum heisst «Bombay Mami Volume 1» – eine scharfe Sauce auf den Markt gebracht. «Essen, Mode, Design – ich habe unzählige Ideen», sagt sie. Und einen Businessplan. Nur hat Corona sie gerade etwas ausgebremst. «Das ist natürlich schade. Vor allem um mein Heimspiel am Gurtenfestival tut es mir extrem leid.» Aber Shanta wäre nicht Ta’Shan, würde sie sich davon entmutigen lassen. So erschien am 26. Juni ihr neuer Song «Drift Away». Das Video dazu hat sie kurzerhand mithilfe von Freunden daheim in Münsingen aufgenommen. Ausserdem steht ein grosses TV-Projekt in der Schweiz an. Was sonst noch kommt, entscheidet das Schicksal. Oder der Zufall. Oder beides.