Es gibt Sätze, die haben eine solche Wucht, dass sie sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen. «Mich trifft weder rechtlich noch moralisch irgendeine Schuld», ist so ein Satz. Gesprochen hat ihn die erste Bundesrätin der Schweiz am Montag, 12. Dezember 1988, als sie nach vier Jahren Amtszeit ihren vorzeitigen Rücktritt bekannt gibt. Mit wenigen Worten drückt sie aus, dass sie sich ungerecht behandelt fühlt, dass sie gegen ihren Willen aus dem Amt geschasst wird.
Die 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts sind nicht vergleichbar mit heute. Skandale gibt es anderswo, die Schweiz hat höchstens Skandälchen. Doch dann bricht in kurzer Zeit der Firnis des von aller Unbill verschonten und korrekten Kleinstaats auf. Das Waldsterben, Widerstand gegen Asylbewerber aus Sri Lanka, Geldwäscherei.
Mittendrin steht die erste und einzige Frau in der Landesregierung. Im Bundesrat fühlt sie sich einsam. Sie wird genauer beobachtet, weil sie eine Frau ist, ihr soll kein Fehler unterlaufen. Die männlichen Kollegen hätten während der Kaffeepause der Bundesratssitzung meist über Fussball gesprochen. «Ich fühlte mich ausgeschlossen und war froh, wenn die Pausen rum waren», sagte sie Jahre später.
Als Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) geht Elisabeth Kopp die Probleme mutig und zielstrebig an. Sie führt einen epischen Kampf, um das neue Eherecht durch die Volksabstimmung zu bringen. Ihr Gegner: SVP-Vordenker Christoph Blocher. Er spricht von «Richtern im Ehebett», sie humorvoll und sachlich, dass mit bestehender Gesetzgebung ihr Mann ihr – der Bundesrätin – das Arbeiten verbieten könnte. Kopp ernennt einen Delegierten für Asylfragen, beschleunigt die Verfahren, führt die humanitäre Aufnahme ein. Sie macht die Schweiz zum ersten europäischen Land, das den Katalysator für Autos einführte. Sie startet die Gesetzgebung gegen Geldwäscherei.
Und dann kommt der Telefonanruf an ihren Mann, den Wirtschaftsanwalt Hans W. Kopp. Sie bittet ihn, aus dem Verwaltungsrat einer Firma auszutreten, die der Geldwäscherei verdächtigt wird. Als der Tipp von höchster Stelle ruchbar wird, streitet sie den Telefonanruf ab, erwägt, ihrer persönlichen Mitarbeiterin die Schuld zu geben. Trotz Drängen ihrer Chefbeamten will sie nicht die Wahrheit sagen, verschweigt es dem Bundesrat, autorisiert, dass auch ihr Mann in einem Interview mit der Schweizer Illustrierten lügt.
Es ist diese Lüge, die ihr zum Verhängnis wird und zum Rücktritt führt. Um die Umstände aufzuarbeiten, wird eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt, die ein weiteres Erdbeben verursacht: Die Fichenaffäre und danach die Geheimarmee werden aufgedeckt.
Für all das, was nachfolgt, kann Elisabeth Kopp nichts. Aber durch den «Fall Kopp» wird ein System sichtbar, das es vorher nur im Verborgenen gab. Schriftsteller Peter Bichsel schreibt damals: «Also gibt es nur eine wirkliche Lehre aus diesem Fall: Wählt mehr Frauen, nur sie sind fähig, die Korruption der Männer sichtbar zu machen.»
Die Häme, die Ächtung von ihr und ihrem Mann waren grausam und unmenschlich, unverbrüchlich hingegen die Liebe zwischen Elisabeth und Hans. Als ihr Mann 2009 stirbt, hält sie ihn bis zuletzt in ihren Armen. «Er wollte seine Asche in der Natur verstreut haben. Ich sagte ihm aber, ich möchte ein Grab in Zumikon. Und ich möchte nicht allein darin liegen.» Das Doppelgrab auf dem Friedhof ihrer Wohngemeinde wird seitdem liebevoll gepflegt.
Spät wird Elisabeth Kopp die Ehre erwiesen, die sie verdient: von Frauen, die ihre Leistung als erste Frau im Bundesrat würdigen, von ihrer Partei FDP. Am Karfreitag ist die erste Bundesrätin gestorben, in Nachrufen wird sie als Ikone bezeichnet. Das würde ihr vielleicht gefallen. Elisabeth Kopp wollte mitgestalten. Mitreden. Mitmachen. Das hat sie getan. Und hat dabei das ganze Spektrum des Menschseins ausgelebt, hatte Schwächen und Stärken, fiel tief und stand wieder auf. «Ich kann nicht gut sagen, dass ich meinen Mann stehen werde», sagte sie mit Lachen bei Annahme der Wahl in den Bundesrat. Aber sie hat ihre Frau gestanden.