Kurz vor dem grossen Eingriff hat Philipp Fankhauser (59) überlegt, ob er sich das Ganze überhaupt antun soll. Seine Krakheitsgeschichte reicht weit zurück. Der international erfolgreiche Schweizer Blues-Musiker ist 59 und sagt über sich: «Ich bin nicht lebensmüde. Aber in den letzten Jahren bin ich auch nicht mehr lebensfroh.» Ein, zwei Jahre würden ihm wohl ohne die Stammzellen-Transplantation noch bleiben. Fankhauser fragt sich, ob ihm diese Frist nicht reichen würde. Doch dann nimmt ihn sein Vertrauensarzt gnadenlos zur Brust: «Ich habe dich doch nicht jahrelang aufgepäppelt, damit du jetzt schlappmachst!», wettert er. «Keine Chance! Das ist deine Chance.»
Treffen am Walensee
Wir treffen Philipp Fankhauser an einem heissen Samstag im Juli im sanktgallischen Walenstadt am See. Gleich gibt er hier sein vorerst letztes Konzert, ehe er in Behandlung geht und für ein gutes halbes Jahr von der Bühne verschwinden wird. Er trägt ein weisses Hemd mit einem kleinen «Chriesi»-Flecken drauf. «Ist vorhin beim Schnouse passiert», erklärt er und lacht verschmitzt. Er sitzt in einer Runde von anderen Musikern, die ebenfalls an dem Open Air auftreten werden. Die jungen Kollegen bleiben sitzen, während sie den Besuchern die Hand zum Gruss reichen. «Die halten sich für Rockstars», wird Philipp Fankhauser später sagen und sich ärgern. «Mein Vater hätte mir für eine solche Respektlosigkeit eine geklebt.» Er steht auf. Bis zum Beginn seines Konzerts bleiben noch knapp zwei Stunden. Die Sonne brennt. Wir wollen in einer Gartenbeiz backstage einen Coupe essen und ein bisschen reden. Mit Philipp ist man schnell per du. Er ist unkompliziert, warmherzig. Und direkt.
Unterwegs treffen wir auf die Musiker seiner Band. Sie umarmen sich gegenseitig – heute etwas länger als sonst. Auch Trevor, Fankhausers neunjähriger Mops, der nie fehlen darf, wird herzlich begrüsst. Die Band kennt sich seit Jahren, ist vertraut. Auch seiner Musiker wegen hat sich Philipp Fankhauser in den vergangenen Monaten zusammengerissen, hat ein Konzert nach dem anderen gegeben. Angeschlagen ist die Musikbranche schon seit Corona. «Das hat definitiv nicht geholfen, uns fröhlicher zu machen.» Nun fallen wegen Philipps medizinischem Eingriff Konzerte in den nächsten sechs Monaten aus. «Die Musiker haben Familien, Verpflichtungen. Ich fühle mich verantwortlich.»
«Jammern mag ich nicht. Es gibt andere Menschen mit noch schwierigeren Schicksalen.»
Philipp Fankhauser
Eine hilfreiche Haltung
Philipp Fankhauser bewegt sich auf dem Weg zum Gartenrestaurant mit sehr kleinen Schritten vorwärts und atmet schwer. Unterwegs halten wir kurz an, um ein Foto mit ihm und Trevor zu machen. Er hebt ihn hoch. Nach wenigen Minuten sagt er: «Jetzt kann ich nicht mehr, ich muss absitzen.» Philipp Fankhauser ist sichtlich geschwächt. Bei unserer letzten Begegnung ein paar Wochen zuvor tönt er seine Krankheit an und sagt: «Manchmal kann ich fast nicht mehr schnuufe.» Doch Jammern ist definitiv nicht sein Ding. «Es gibt andere, die noch viel schwierigere Schicksale haben. Ich weiss, das sagen sie vielleicht auch. Aber mir hilft die Haltung.» Die Frage drängt sich auf: Wie fühlt er sich vor seinem vorerst letzten Konzert?
Er hat sich in der leeren Gartenbeiz im Schatten hingesetzt, neben ihm liegt Trevor unter dem Tisch. Philipp Fankhauser bestellt bei der Kellnerin einen Coupe Melba – «mit Nidle, bitte». Er stützt sich auf die Tischkante, blickt seinem Gegenüber in die Augen und wiederholt die Frage: «Wie ich mich fühle beim Gedanken, gleich zum vorläufig letzten Mal auf die Bühne zu treten? Fürchterlich!»
Unbeweglichkeit im Gepäck
Philipp Fankhausers Leidensgeschichte ist schier endlos: Seit Kindheit leidet er an Morbus Bechterew, einer rheumatischen Wirbelsäulenerkrankung, die sich mit Entzündungen im Kreuz, im Darmbein und in den Gelenken bemerkbar macht. Die Symptome schränken ihn in seiner Bewegungsfreiheit stark ein. Die chronische Autoimmunkrankheit betrifft rund eine von 100 Personen in der Schweiz. Diagnostiziert wurde sie bei dem Musiker erst 2006 im Alter von 42 Jahren – «von einem wunderbaren Arzt aus dem Freiburgischen. Er ist der Einzige, der seither immer wieder herausfindet, was mit mir passiert», sagt Philipp Fankhauser. «Auch damals, vor ein paar Jahren, als ich wegen extremer Rückenschmerzen ein Konzert abbrechen musste.» Die Ärzte im örtlichen Spital rieten zu einer Notoperation.
«Doch mein Arzt analysierte aus der Ferne: Das klingt nach einem Hexenschuss, und er hatte recht.» Die starken Schmerzen bleiben. Er lernt, damit umzugehen. Mit Medikamenten hält Philipp Fankhauser die permanente Entzündung in seinem Körper im Griff. «Doch Anfang dieses Jahres habe ich gemerkt, dass etwas gar nicht mehr stimmt.» Er wird immer schwächer. «Urs Gäumann, mein Arzt, der mittlerweile zu einem Freund geworden ist, eröffnete mir, dass ich zusätzlich an einer seltenen, lebensbedrohlichen Myelofibrose erkrankt bin.» Die einzige Hoffnung auf Genesung von dieser Knochenmarkerkrankung ist eine Stammzellen-Transplantation.
«Ich bin immer rastlos – aber heute weniger als früher.»
Philipp Fankhauser
«Ich verbringe gerne Zeit mit mir selbst»
Fankhauser sagt die Konzerte bis Ende Jahr ab. Eine Woche nach seinem Auftritt in Walenstadt tritt er ins Spital ein und muss sich erst einmal einer heftigen Chemotherapie unterziehen. «Dabei wird das kranke Erbgut ausgemerzt.» Danach bekommt Philipp Fankhauser über einen Katheder neues Knochenmark implantiert. Das Erbgut müsse seinen Körper annehmen, nicht umgekehrt, erklärt er. «Die nächsten Monate werden nicht einfach.» Aber er hat sich bewusst nicht allzu intensiv mit den Risiken beschäftigt.
Seine raue eindringliche Blues-Stimme hat Philipp Fankhauser weltweit Erfolg gebracht. Seine Liebe zur schwarzen Musik – er singt in astreinem Englisch und komponiert und schreibt seine Stücke selber – entdeckt er, als er in den 70er-Jahren mit seiner Mutter ins Tessin zieht und anfängt, Gitarre zu spielen. Er gibt erste Auftritte in der Schweiz und reist dann auf Einladung des amerikanischen Musikers Johnny Copeland in die USA, wo er ein Album aufnimmt. «Weisst du, ich trage schon einen Anteil Hypochonder in mir», sagt er nun neben der Bühne mit ebenso klarer kerniger Stimme. «Als Corona kam, dachte ich, jetzt muss ich gleich sterben, und ging zwei, drei Monate lang gar nicht mehr aus dem Haus.» Er lacht. «Ein wenig Übung habe ich also schon, was die Isolation betrifft.» Wenn alles gut geht, darf er nach fünf Wochen aus dem Spital nach Hause. Andere treffen darf er aber auch daheim nur bedingt. «Meine Abwehr wird ganz unten sein.» Aber: «Ich habe eine schöne weitläufige Wohnung mit Terrasse. Ich bin privilegiert. Und ich verbringe gerne Zeit mit mir selbst.»
«Ich könnte theoretisch eine Bank ausrauben»
Die Frage, woher sein neues Erbgut komme, beantwortet er mit breitem Schmunzeln: «Das kommt, O-Ton Arzt, von einem jungen, knusprigen Mann.» Als er das gehört habe, habe er sofort gesagt: «Herr Doktor, kann ich bitte die Adresse haben?» Er lacht. Ein wenig gruselig sei für ihn die Vorstellung, dass er nach der Transplantion zwei DNAs in sich tragen werde, sagt er. Und schiebt gleich einen Scherz nach. «Andererseits, das hat auch Vorteile. Ich könnte theoretisch eine Bank ausrauben und später behaupten: Ich wars nicht. Es war der Jüngere.»
Die Kellnerin bringt den Coupe Melba. «Mmmh, fein», freut sich Philipp. Trevor bekommt Wasser und ein Stück Fleischkäse, das er gierig verschlingt. «Nid so abeschletze, Trevor. Gniesse!» Als die Kellnerin weg ist, sagt Philipp Fankhauser: «Hast du gesehen, wie tief sich die Frau bücken kann? So etwas ist für mich unvorstellbar.» Pilates, sich am Rücken kratzen, der Schneidersitz, Ski fahren – das alles sei für ihn immer schon unmöglich gewesen.
«Ich habe in den letzten Jahren meinen Gwunder verloren. Und das bedaure ich sehr.»
Philipp Fankhauser
Über die nächste Kreuzung hinaus
«Als Kind haben sie mich ins Judo geschickt, in der Hoffnung, dass ich beweglicher werde. Du kannst dir vorstellen, was für eine Katastrophe das war.» Stattdessen wurde er als Junge von den anderen ausgelacht, weil er mit den Händen den Boden nicht berühren konnte, wenn er sich bückte. Warum das so war, verstand er selber nicht. «Ich war nie ein Judihui-Teenager. Viel mehr war ich immer rastlos.» Doch irgendwann, auf seinen vielen Reisen durch die Welt, habe er gemerkt: «Du nimmst dich überall hin mit. Wenn du Hemmungen hast, dich ohne T-Shirt in der Badi zu zeigen, dann hast du diese Hemmungen nicht nur im Marzilibad in Bern, sondern auch am Strand von Santa Monica.» Diese Einsicht habe ihn ruhiger gemacht. Manchmal, da sprechen ihn fremde Leute an und sagen: Du siehst traurig aus. Er reagiert verwundert. «Nein! Ich bin nicht traurig. Das ist meine Physiognomie.»
Draussen am Open Air erklingt eine Cover-Version von Tina Turners «Proud Mary» – qualitativ weit entfernt vom Original. «Uiuiui, das ist aber anstrengend, hier zuzuhören», quittiert Philipp. Er fördert selber gern junge Musikerinnen und Musiker – zum Beispiel vor ein paar Jahren als Jurymitglied der Casting-Show «The Voice of Switzerland». Gleichzeitig hat er vieles schon gesehen. Als er im vergangenen Jahr das Konzert von Eric Clapton im Hallenstadion eröffnen kann, freut er sich zwar, aber nicht so intensiv wie sonst. «Ich habe meinen Gwunder verloren», sagt er. «Und das bedaure ich. Das ist auch unangenehm für mein Umfeld.»
Wohin führt der Weg?
Nun stehe er durch die Knochenmark-Transplantation vor einer Kreuzung, bei der er nicht wisse, wohin der Weg führe. «Das finde ich spannend.
Der Schaden an der Wirbelsäule bleibt. Aber wenn alles gut geht, wird die Knochenmarkerkrankung geheilt, und die Schmerzen werden weg sein.» Er holt Luft. «Die Vorstellung, wieder genug Sauerstoff zu haben, auch zum Singen – ein Traum!»
Zeit, sich für den Auftritt bereit zu machen. Philipp verschwindet in seiner Garderobe und kommt aufgebrezelt in türkisfarbenem Anzug zurück. Er geht in kleinen Schritten die Rampe zur Bühne hoch und schnallt sich backstage die Gitarre um. «Auso», sagt der gebürtige Thuner zu sich selbst. «Lege mer los.» Ehe er vor das Publikum tritt, das ihn frenetisch begrüsst, sagt er noch in Richtung des Besuchs: «Wir sehen uns auf der anderen Seite.» Und damit meint er nicht das Gegenstück zum Leben. Sondern die Zeit nach der Transplantation. Philipp Fankhauser zitiert die amerikanische Blues-Grösse Buddy Guy: «Wir spielen den Blues, weil wir den Blues haben. Und werden ihn los, indem wir ihn spielen.»
Fankhausers Blues: Fünf Wochen nach dem Eingriff geht es Philipp Fankhauser den Umständen entsprechend gut. Ab dem 8. September wird er exklusiv und regelmässig in einer Kolumne in der Schweizer Illustrierten über seine Erfahrungen berichten.