Im Porsche zu viert auf die Skipiste. Die Familie von Grünigen lehnt sich zurück in die Ledersitze, geniesst die Aussicht. Nur heult hier weit und breit kein Bolide. Und keiner rudert wie verrückt an den Gängen, um für die nächste Kurve runterzuschalten.
Es ist ein lautloses Dahingleiten, ein Emporschweben. Nicht in den PS-Himmel, sondern aufs Eggli. Denn der Porsche ist zwar das neueste Prunkstück von Gstaad, aber kein Auto, sondern eine 10er-Gondel im Porsche-Design.
Mike von Grünigen grinst. Der 50-jährige Schönrieder, zweifacher Riesenslalom-Weltmeister, vierterfolgreichster Riesenslalom-Fahrer der Geschichte nach Ingemar Stenmark, Marcel Hirscher und Ted Ligety, wirkt ein klein wenig stolz. «Jetzt haben wir auch wieder gute Bahnen», sagt er.
Zwar ist einer mit seinem Können hier in seiner Heimat punkto Skifahren nicht gerade am Limit, aber «ahifahre», also runterfahren, ist hier in Gstaad doppeldeutig zu verstehen. Entschleunigen ist hier mindestens so angesagt wie beschleunigen. «Die Landschaft ist lieblich, die Pisten nicht ultraschwierig. Aber es hat Charme. Ich bin hier verwurzelt. Immer wenn ich weg war und beim Heimkommen die Bergkette von Schönried sehe, ist es etwas vom Schönsten.»
Zwischen Weihnachten und Neujahr haben drei von fünf Familienmitgliedern Zeit für ein inzwischen äusserst seltenes Ereignis, einen gemeinsamen Skitag. Noel von Grünigen ist dabei. Der 24-jährige Sohn von Mike und Anna steht im B-Kader von Swiss Ski und kämpft auch in diesem Winter im Europacup um den Anschluss an die Slalom-Weltspitze.
«Heute ist meine Saisonpremiere in dieser Region», sagt Noel, «ich war in Schweden, Norwegen und Italien unterwegs.» Er hat seine Freundin Raphaela Suter im Windschatten. Wobei: Die Innerschweizerin vom Stoos hat aerodynamische Vorteile gar nicht nötig. Bis im vergangenen Frühling fuhr die Speedfahrerin selber auf Europacup-Niveau, ehe die nun 23-Jährige die professionellen Ambitionen einstellte. «Ich muss wirklich nie auf sie warten. Sie ist so schnell», sagt Noel, der älteste der drei Von-Grünigen-Brüder neben Elio, 21, und Lian, 18.
Seit er zwei Jahre alt war, steht Noel auf Ski. «Zuerst übte er im Haus drin», sagt Mutter Anna. Er stieg im Pyjama in seine Skischuhe mit Schuhgrösse 18 – winzige Dinger. Und im Sommer fuhr er einfach die Wiese runter. Ihm war es egal, ob es Schnee hatte oder nicht.»
Jetzt mäht er mit seinen Ski keine Weiden mehr, sondern saust perfekt präparierte Pisten hinunter. Die Ziele sind hoch. «Ich will im Europacup in die Top 7 im Slalom und mich für Weltcup-Einsätze empfehlen.» Zuletzt gab es in Italien nach mühsamem Saisonstart einen 17. Platz. «Ich fühle mich jetzt körperlich und technisch top. Das Gefühl stimmt. Jetzt müssen nur noch die Resultate kommen.»
Mit dem bekannten Nachnamen lernte Noel umzugehen. «Als ich klein war, begriff ich sowieso nicht, wie gross die Welt ist. Ich verstand auch nicht, was mein Vater erreichte. Für mich war es normal, dass einer Skirennen fährt. Ich dachte, alle können das. Auch später war es nie eine Belastung, ihn als Vater zu haben. Sie liessen mir immer die Wahl.»
Noel sei ja bei Weitem nicht der einzige Nachwuchsfahrer mit einem Rucksack, sagt Mike von Grünigen. «Elia Zurbriggen etwa oder Marco Reymond, der Sohn von Erika Hess, kennen das auch. Es ist schon so: Wenn er als Knirps irgendein Rennen fuhr, wussten nachher alle sein Resultat. Bei einem Hansli Meier interessiert das niemanden. Aber er hat das auch später gut weggesteckt.»
Nach ein paar Fahrten lassen sich die vier bei der Bergstation der Eggli-Bahn in einen Liegestuhl fallen und bestellen Kaffee im Glas. «Ich gehe oft zum Vater und höre mir seine Ratschläge an», sagt Noel. «Wenn ich das aus falschem Stolz nicht machen würde, wäre ich selber schuld. Vieles dreht sich um den Kopf. Manchmal ist es der letzte Dreh, den ich brauche.»
Mike ist für die Skifirma Fischer, wo er in der Entwicklung und im Marketingbereich arbeitet, den ganzen Winter über unterwegs. Daneben leitet er mit Anna auch noch den örtlichen Ski-Nachwuchs in der JO-Gruppe an. Und wenn es die Zeit erlaubt, schaut er auch einmal bei einem Fis-Rennen von Lian vorbei, dem zweiten ambitionierten Nachwuchsfahrer im Haus. «Sechs von sieben Tagen steht er immer noch auf den Ski», sagt Anna. Fürs Schlitteln, Schneeschuhwandern und andere Be- und Entschleunigung rund um Gstaad bleibt ihnen kaum Zeit.
Dafür fiebern jetzt alle den Highlights des Schweizer Ski-Winters in Adelboden und Wengen entgegen. Noel hofft wie 2019 auf eine Startchance. «Ich will noch einen Zacken zulegen», sagt er. Nur allzu gern würde er im Berner Oberland damit beginnen.