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Gold im Visier

Olympiasiegerin Nina Christen über ihre «postolympische Depression»

Auf den grössten Triumph 2021 bei Olympia in Tokio folgt die Depression. Das hat Sportschützin und Olympiasiegerin Nina Christen verändert. «Ich bin offener geworden, selbst­bewusster.» Gleich geblieben ist der Hunger nach Erfolg.

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Nina Christen von Christoph Köstlin für SI SPORT - Mai 2017

Nina Christen nimmt ihre zweiten Olympischen Spiele entspannt in Angriff.

Christoph Köstlin

Die vergangenen Monate seien teils fast noch krasser gewesen als der Olympiafinal in Tokio vor drei Jahren, sagt Nina Christen (30). Zusammen mit zwei weiteren Schützinnen kämpft sie um eines von nur zwei Paris-Tickets. «Während Monaten ging es in jedem Wettkampf praktisch um alles.» Doch Christen setzt sich durch. Paris war und ist ihr grosses Ziel. Die Mission Titelverteidigung steht an. Tokio ist längst Vergangenheit. Die zwei Medaillen – Gold im Kleinkaliber-Dreistellungskampf und Bronze im Zehn-Meter-Luftgewehrschiessen – liegen im Safe. «Hauptsache, ich sehe sie nicht.» Das Kapitel ist abgeschlossen.

«Ich musste lernen, mehr Emo­tionen zuzulassen, über Gefühle zu reden»

Nina Christen

Nach dem Olympiasieg fällt Nina Christen in ein tiefes Loch. Eine «postolympische Depression» nennt sie es. Als Schützin ist das Fokussieren zentral, loslassen dagegen sei ihr schwergefallen. «Ich musste lernen, mehr Emotionen zuzulassen, über Gefühle zu reden», erzählt sie. Dieser Prozess habe sie offener gemacht, selbstbewusster.

Geholfen haben ihr auf diesem Weg auch ihre neuen Hobbys: Wandern, Velofahren, Schwimmen – und Helikopterfliegen. Irgendwann nach Olympia will sie den Pilotenschein machen. Im Gegensatz zu Tokio hat sie jetzt auch die Zeit nach den Spielen verplant. Mit Ferien oder Flugstunden. Dann erst will sie entscheiden, ob sie als Sportschützin weitermacht. Wieder in ein Loch fallen – das ist keine Option.

Im Schloss mit einem Sternekoch

Die Schiesswettbewerbe finden in Châteauroux statt, fast 300 Kilometer von der französischen Hauptstadt entfernt. Nina Christen und die anderen Schützinnen und Schützen von Swiss Shooting dürfen sich auf ein besonderes Domizil freuen. Sie logieren im Seitengebäude eines ländlichen Schlosses. Und mit Stéphane Roger wird sich ein französischer Sternekoch um sie kümmern. «Aufs Essen freue ich mich», sagt Christen und schmunzelt.

Aber natürlich ist das nur Nebensache. Im Fokus stehen die beiden Wettkämpfe, die Medaillen. Selbst Familie und Freunde hat Nina Christen ausgeladen. «Sie sind ja auch sonst nie dabei», sagt sie. Vielmehr setzt sie auf mentale Unterstützung. Ihr Coach sowie ihr Sportpsychologe werden im Moment der Entscheidung an ihrer Seite sein.

 

Text: Sébastian Lavoyer

Von Schweizer Illustrierte am 14. Juli 2024 - 12:00 Uhr