Einfach mal was Neues ausprobieren, das liebt Petra Gössi, 45. «Diese Spontanität ist in den letzten Jahren als FDP- Präsidentin zu kurz gekommen.» Deshalb freut sich die Schwyzerin aus Küssnacht umso mehr darauf, ihre Heimat am Vierwaldstättersee erstmals per Kanu zu erkunden. Nach einer kurzen Instruktion paddelt sie von Brunnen los Richtung Treib-Seelisberg. «Grandios, so nah am Wasser zu sein», ruft die begeisterte Taucherin.
Gössi wirkt gelöst. Ob es damit zusammenhängt, dass sie per Oktober als Parteichefin zurücktritt? «Momentan bin ich immer noch viel für die FDP unterwegs – und ich bleibe ja im Nationalrat. Aber klar, der Druck wird weniger, und ich kann meine Zeit bald wieder freier gestalten.»
Ihr Entscheid, nach fünfeinhalb Jahren von Bord zu gehen, habe nichts mit dem Nein zum CO2-Gesetz Mitte Juni zu tun. «Das war ein längerer Prozess, in den auch mein nahes Umfeld involviert war.» Einerseits sei das Amt ein Verschleissjob: Ständig sei man auf Achse, müsse immer über alles Bescheid wissen, und praktisch jeden Sonntag läute das Telefon. Andererseits empfinde sie die Gestaltungsmöglichkeiten und den Kontakt mit der Bevölkerung als ein grosses Privileg. «Kürzlich hat mich ein Pöstler im Tessin auf dem Velo angesprochen mit ‹Ma e lei – aber sind es Sie?› Solche Gespräche sind einmalig und geben mir viel Energie.»
Kurz vor dem Schillerdenkmal auf der anderen Seeseite hält Gössi inne. Den obeliskförmigen, 20 Meter hohen Stein haben die Urkantone anlässlich des 100. Geburtstags des «Wilhelm Tell»-Autors in ein Denkmal umgewandelt. Auf die Frage, als was für eine Parteipräsidentin sie in die Geschichte eingehen möchte, schüttelt Gössi den Kopf. «Ich habe mein Amt nicht für Geschichtsbücher gemacht. Es ging mir darum, für meine Überzeugungen einzustehen.»
Sie sei stolz darauf, dass die Partei in den letzten Jahren mit Karin Keller-Sutter eine Frau mit Vorbildfunktion in den Bundesrat gebracht habe und die FDP in der Umweltpolitik wieder eine starke Stimme wurde. Deshalb sei es wichtig, dass die Partei auch weiterhin zur Klimafrage Stellung beziehe – «wir müssen einfach diskutieren, mit welchen Mitteln wir die Ziele von Paris erreichen wollen».
Auf der Rückfahrt Richtung Brunnen nimmt der Wind zu, das Paddeln wird strenger. Gössi versucht mit der Fusssteuerung, das Kanu etwas ruhiger zu halten. «Puh, das werde ich morgen spüren.» Politisch habe sie gelernt, Gegenwind auszuhalten. «Wer etwas bewegen will, muss den Mut haben, mitten in den Sturm zu stehen.» Wichtig sei, Kritik, die auf die Person ziele, nicht zu nahe an sich ranzulassen. «Sonst zerbricht man.» Zum Glück habe sie ein Umfeld, das mit negativen Schlagzeilen umgehen könne. «Wenn mich etwas wirklich getroffen hat, holten sie mich auf den Boden zurück.»
Ihre Freunde würden sich aber bereits freuen, dass sie bald nicht mehr so stark in der Öffentlichkeit stehe. «Die sagten mir schon: Dann müssen wir uns sofort treffen», erzählt sie lachend. Eine unter vielen ist sie bereits an der Universität St. Gallen. «Die Generation unter 30 erkennt mich kaum.» Um sich beruflich weiterzuentwickeln, absolviert die Rechtsberaterin dort seit März ein zweieinhalbjähriges Nachdiplomstudium in General Management – büffelt Unternehmensführung, Strategie und Marketing. «Ich hatte Lust, einfach mal wieder richtig in eine neue Materie abzutauchen.»
Trotz der zunehmenden Strömung schafft Gössi es souverän zurück ans Ufer. «Ein Naturtalent», lobt Adventure-Point-Chef Raphael Klinger. Wen wünscht sich die Politikerin eigent- lich als Nachfolgerin oder Nachfolger? «Jemanden mit Energie, neuen Ideen und einem guten Kontakt zur Basis.» Zu Namen will sie sich ebenso wenig äussern wie zu einem Co-Präsidium. «Klar ist, dass es nicht möglich sein wird, verschiedene interne Flügel in einem Doppelpräsidium zu vereinen.» Dafür kann sie sich vorstellen, das Vizepräsidium zu stärken. «So könnten sich zwei Personen etwa bei öffentlichen Auftritten auch mal abwechseln.»
Gössis Partner im Privatleben, Psychiater Joe Hättenschwiler, habe bisher auch oft am Wochenende gearbeitet. «Das wird also für uns beide eine neue Erfahrung.» Interessiert fragt Gössi nach, wie viel so ein Kanu koste, wie kurzfristig man es mieten könne und ob es auch Doppelsitzer gebe. «Sobald das Wetter mitmacht, muss mein Freund mit mir früh aufstehen. Ich habe wohl ein neues Hobby!»