Die Luft in Aargauer Backstuben scheint künstlerische Kreativität besonders zu fördern: Ob DJ Bobo (57), Schriftsteller Klaus Merz (79), oder Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Volpe (54) – sie alle stammen aus Bäckersfamilien oder schnupperten – wie einst René Baumann alias DJ Bobo in der Lehre – Aargauer Backstubenluft. Film sei eine Kunstform wie Brotbacken eine Handwerkskunst, ist Petra Volpe überzeugt. «Wie Brotbacken und Nahrung sind Kunst und Filmemachen für mich genauso existenziell.»
Volpe, als Tochter eines italienischen Gastarbeiters und einer Aargauer Bäckerstochter in der 11000-Einwohner-Gemeinde Suhr AG geboren, gilt als erfolgreichste Regisseurin der Schweiz. Kleine Brötchen backen ist nicht ihr Ding. Sie führte Regie bei der TV-Gaunerkomödie «Kleine Fische» (2006), heimste mit ihrem Kinodebüt «Traumland» (2013) Lob ein, steuerte das Drehbuch zur erfolgreichen «Heidi»-Neuverfilmung (2015) bei, lieferte mit «Die göttliche Ordnung» (2017) einen internationalen Kinohit ab – und schrieb zuletzt das Drehbuch zur Komödie «Die goldenen Jahre» (2022).
Fokussiert: Regisseurin Petra Volpe und Hauptdarstellerin Leonie Benesch bei den Dreharbeiten am Set von «Heldin».
Zodiac Pictures Ltd / Salvatore VinciDen wohl grössten Erfolg erlebt sie jedoch dieser Tage. Ihr Drama «Heldin» feierte bei der Berlinale Weltpremiere. Die «Berliner Zeitung» schreibt: «Diesen Film sollte jeder sehen.» In 90 Minuten zeigt Volpe «den ganz normalen täglichen Wahnsinn im Leben einer Krankenschwester». Ein Spielfilm, der anmutet wie eine Live-Doku aus dem Pflegenotstand.
Inspiriert von ihrer Freundin
Das Thema habe schon viele Jahre in ihr «geköchelt», sagt Volpe. Sie lebte in ihrer zweiten Wahlheimat Berlin lange Zeit mit einer Freundin zusammen, die als Pflegefachfrau arbeitete. «Oft erzählte sie mir, wenn sie von ihrer Schicht im Spital nach Hause kam, wahnsinnige Geschichten von Menschen, die litten, krank waren oder in einer Krise steckten. Mir kam dann das, was ich daheim gemacht hatte, immer so unendlich banal vor.» Während sie Drehbücher geschrieben habe, sei ihre Freundin tagtäglich mit menschlichen Dramen konfrontiert gewesen. Hinzu kam, dass sie im Lauf der Zeit auch mitbekam, wie sich deren Arbeitsbedingungen zunehmend verschlechterten «und sie immer weniger Zeit für ihre Patientinnen und Patienten hatte».
Gemütlich: Kunst ist für Petra Volpe existenziell – so wie die Bilder hinter ihr von ihrer Freundin, der Fotokünstlerin Iwajla Klinke.
Linda KäsbohrerInzwischen lebt Volpe nicht mehr mit der Pflegefachfrau zusammen, die Freundschaft und die Gespräche über den Spitalalltag aber sind ihr geblieben. Die Regisseurin ist heute mit dem Amerikaner Thierry Breyette verheiratet, das Paar lebt in New York und Berlin.
Den Krankenhausalltag am eigenen Leib erlebt hat Petra Volpe ein einziges Mal – als Jugendliche. «Das war mit 16. Ich hatte einen Skiunfall, wurde sogar per Heli in ein kleines Spital in den Bergen geflogen, weil ich auf den Kopf gefallen war.» Obwohl ihr das Blut über das ganze Gesicht floss, habe sie bei ihrer Einlieferung die Pflegefachkräfte vollgequatscht und zum Lachen gebracht: «Ich jammerte ständig, dass ich acht Jahre zur Schule gegangen sei, mir nun aber wohl wieder alles aus dem Kopf herauslaufe und dass mich das ankotze.» Ihre Mutter Edith, heute 75, sei damals total aufgelöst und ausser sich gewesen, weil die Tochter so wirr daherredete.
Wohnlich: Auch wenn der Himmel über Berlin grau ist, in ihrer zweiten Wahlheimat fühlt sich die Filmerin wohl.
Linda KäsbohrerEin Traum geht in Erfüllung
Gar nicht lustig war es für Petra Volpe dagegen, als sie in der letzten Drehwoche für ihren Film «Heldin» die Nachricht erhielt, dass ihre Mutter ins Spital eingeliefert und notoperiert werden musste. «Das war krass. Da wir jeweils abends drehten, fuhr ich morgens von Basel nach Aarau, um meine Mutter zu besuchen, und am Abend zurück nach Basel, um die letzten Filmszenen in den Kasten zu bekommen. Plötzlich vermischten sich für mich Realität und Fiktion total», erinnert sie sich an diese struben Tage. Mutter Edith geht es wieder gut; sie und Americo (76), Volpes Vater, reisten sogar vergangene Woche zur Weltpremiere von «Heldin» bei den 75. Internationalen Filmfestspielen Berlin in die deutsche Metropole, um den Erfolg ihrer Tochter mitzufeiern.
Genüsslich: Im «La Maison» am Berliner Paul-Lincke-Ufer trinkt die Aargauer Erfolgsregisseurin gern einen heissen Tee.
Linda Käsbohrer«Dass sie da dabei waren, bedeutet mir viel», sagt Petra Volpe. Die Berlinale ist für die Regisseurin und Drehbuchautorin etwas ganz Besonderes. «Schon als Studentin zogs mich an die Filmfestspiele.» Volpe studierte damals im benachbarten Potsdam-Babelsberg an der Filmhochschule. «An der Berlinale sah ich jeweils so viele tolle Filme. Und träumte als Filmstudentin davon, dass vielleicht irgendwann einmal ein Film von mir dort laufen könnte.»
Der Traum ist nun Wirklichkeit geworden. Petra Volpe hat dafür hart gearbeitet. Die Tochter einer Bäckerstochter bäckt im Filmbusiness heute erfolgreich ganz grosse Brötchen.