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Unterwegs in Las Vegas

Pokern fürs private Glück

Er hat derzeit gute Karten: Alexandre Vuilleumier hat beim Pokern über eine Million Dollar eingestrichen. Der Genfer Gambler lebt in der Spielerstadt Las Vegas wie ein Asket. Nur so ist er fit fürs grösste Pokerturnier der Welt.

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Alexandre Vuilleumier, Poker-Spieler in Las Vegas

Es blinkt und glitzert, dröhnt und klimpert: Las Vegas lockt Lebenskünstler aus der ganzen Welt an, so auch Alexandre Vuilleumier.

Tomo

Es gibt wenige Orte, die um neun Uhr morgens so trostlos sind wie Las Vegas. Die Sonne brennt auf den Asphalt, die letzten Verlorenen der Nacht straucheln aus den Casinos. Wenn sie die Türen öffnen, kommt einem die Luft aus der klimagekühlten Spielhölle entgegen. Las Vegas mag mit dem Geld der Verlierer erbaut worden sein, aber es gibt hier auch Gewinner. Wenige zwar, aber Alexandre Vuilleumier ist einer von ihnen. Der 41-jährige Romand begegnet uns strahlend am Tor der Meridian Condos, seinem Zuhause auf Zeit.

Vuilleumier ist derzeit einer der erfolgreichsten professionellen Pokerspieler der Schweiz, Ende Mai gewann er beim Turnier High Roller Six-Max der World Series of Poker (WSOP) ein Bracelet. Dieses goldene Armband, das Symbol der Besten, zu gewinnen, das ist das Ziel eines jeden Pokerspielers. Nebenbei gabs ein Preisgeld von etwas mehr als einer Million Franken. Davon muss er zwar die Hälfte wieder an seine Investoren (genannt: «backer») abgeben, aber insgesamt hat Vuilleumier in seiner kurzen Karriere bereits über zwei Millionen an Live-Preisgeldern gewonnen.

Alexandre Vuilleumier, Poker-Spieler in Las Vegas

Am Pool der Meridian Condos: Hier hat sich Vuilleumier ein Studio gemietet. Es ist seine Basis während des weltgrössten Pokerturniers.

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Athlet statt Lebemann

Vuilleumier muss dringend zum Training ins Fitnessstudio. Wer das glamouröse Leben eines Bad Boys im Smoking erwartet, der mit Rappern und Stripperinnen Whiskey trinkt, liegt weit daneben. Vuilleumier lebt das Leben eines Athleten: Er setzt auf Intervallfasten, arbeitet mit Ernährungsberatern und Mental Coaches, trainiert, schläft viel, trinkt keinen Alkohol, und die einzigen Pillen, die er sich einwirft, sind Nahrungsergänzungsmittel.

Im Gym flimmert CNN, ein paar andere Männer stemmen Gewichte, Vuilleumiers Puls ist konstant bei 120. Er schwitzt in seinem Tanktop mit dem Regenbogen-Logo. Heute ist wieder Turniertag. So wie beinahe immer in den sieben Wochen zwischen Ende Mai und Juli, wenn die World Series of Poker in Las Vegas zum Spiel bitten. 95 Spiele in 50 Tagen! Allein im Hauptevent spielen 10 043 Teilnehmer um rund 93 Millionen Dollar.

Alexandre Vuilleumier, Poker-Spieler in Las Vegas

Pokern ist Hochleistungssport. Vuilleumier pusht im Gym täglich seinen Puls auf 120, dazu setzt er auf Intervallfasten und Nahrungsergänzungsmittel.

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Vuilleumier hat in diesem Jahr nach seinem grossen Gewinn zwei der sieben Wochen geschwänzt, um zu Hause kurz Kraft zu tanken und seinen Mann zu sehen. Zu Hause, das ist für ihn nicht mehr die Schweiz, sondern Costa Rica. Aus Steuergründen, das sagt er ganz ehrlich, weil die Schweiz Gewinnen aus dem Pokerspiel nicht sonderlich freundlich gegenübersteht. Aber auch, weil die Zeitzone besser sei für das Online- Pokerspiel, dem er täglich nachgeht, wenn er nicht gerade am Turniertisch sitzt – manchmal 14 Stunden am Tag. «Viele Kollegen ziehen nach Österreich oder England, in Länder, wo Gewinne aus dem Glücksspiel nicht versteuert werden müssen», sagt er. So wie in Costa Rica.

Bald Vater von zwei Babys

Vuilleumier wohnt seit 2021 in der «Schweiz Mittelamerikas». «Mir gefällt das Motto des Landes: ‹Pura Vida›, pures Leben», sagt er. Seinen 21-jährigen Ehemann Joel hat er in Costa Rica kennengelernt und vor sechs Monaten geheiratet. «Das Schlimmste an der Turnierserie ist, dass ich ihn so lange nicht sehe», sagt Vuilleumier und zeigt stolz einige Pärchenfotos auf seinem Handy: Joel und Alexandre in der Oper, im Schnee, vor der Chinesischen Mauer. Zwischendurch ruft ihn der Medizinstudent immer wieder an oder schickt Sprachnachrichten. Schon bald sollen zwei Babys ihre Liebe krönen. «Wir bekommen zwei Kinder von zwei Leihmüttern hier in Las Vegas», erzählt Vuilleumier sichtlich gerührt. «Im August wird nun der erste Embryo eingesetzt, wir sind sehr aufgeregt.» Die Babys sollen in einem Abstand von sechs Monaten zur Welt kommen.

Alexandre Vuilleumier, Poker-Spieler in Las Vegas

Ein ruhiger Moment in seinem wilden Leben: Der Genfer Gambler liest gern und möchte dereinst Bücher schreiben.

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Er habe Las Vegas am Anfang gehasst, sagt der Poker-Profi. «Es geht nur ums Geld, jeder will dir dein Geld abknöpfen, hier wollen sie ja sogar Trinkgeld, wenn sie dir die Tür aufhalten. Es gibt keine Trottoirs und keine Parks. Wenn du Menschen sehen willst, musst du dafür ins Café.» Deswegen sei er so froh, dieser Stadt, die ser «Klimasünde inmitten der Wüste», für sich eine neue, wunderschöne Bedeutung geben zu können.

Alexandre Vuilleumier stammt aus einer gut situierten Genfer Familie. «Wir können unseren Stammbaum über 200 Jahre zurückverfolgen.» Er habe das Privileg gehabt, eine sehr gute Privatschule besuchen zu dürfen. «Allein aus den Jungs in meiner Klasse wurden Krypto-Milliardäre, CEOs grosser Firmen und einer sogar der Stadtpräsident von Genf. Es wäre für mich wohl sehr einfach gewesen, auf eine konventionelle Art erfolgreich zu werden», sagt er, der sechs Sprachen, darunter Russisch und Griechisch, spricht. «Aber mir gefällt es nicht, dass man sich gegenseitig die Jobs zuschiebt und es nur wichtig ist, die richtigen Leute zu kennen. Das ist nicht gerecht. Deswegen mag ich Poker so gern, da gehts nur um dein Spiel, es ist absolut demokratisch.» Und darum konzentriere er sich vor allem auf Turnierspiele.

Alexandre Vuilleumier, Poker-Spieler in Las Vegas

Am Pokertisch des «Wynn»: Niemand erkennt, was Vuilleumier im Schilde führt. Seine Gegner analysiert er schäkernd und wie nebenbei.

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«Wenn man Cash-Games spielt, ist es schon wieder anders, da laden dich die Reichen ein, und du musst über ihre Witze lachen und mit ihnen einen Cocktail trinken.» Vuilleumier, der früher professionell Schach spielte und über zehn Jahre Schach-Coach war, hat ein gesundes Selbstbewusstsein.

«Ich habe gelesen, dass im Poker jedes Jahr über 170 Millionäre gemacht werden. Da habe ich mir gedacht: Warum sollte ich nicht einer von ihnen sein?» Nicht alle reagierten gleich gut auf diesen Entscheid. «Meine Tante spricht nicht mehr mit mir, weil sie enttäuscht ist von mir und sich schämt, ihren Freundinnen zu erzählen, dass ihr Neffe Pokerspieler ist. Sie denkt, dass ich Zigarren rauche und im Hintergrund die Mafia hockt – ich kann es ihr nicht verübeln.» Dabei könnte ihr Neffe doch stundenlang von der Schönheit der Mathematik hinter den Pokertheorien schwärmen. Die Reaktion seines Cousins hingegen habe ihn gerührt, als der sagte: «Ich mag Poker nicht. Aber du bist schlau. Ich vertraue dir. Viel Glück!»

Alexandre Vuilleumier, Poker-Spieler in Las Vegas

Da weiss er, was er isst: Vuilleumier kocht das Zmittag in seinem Studio selber: Heute gibts ein Steak und Tomatensalat.

Tomo

Alltag in der Glitzerstadt

Mittags brät sich der frisch geduschte Vuilleumier ein Steak, isst dazu einen Tomatensalat und geht hinüber zum Casinokomplex «Horseshoe». Ihm entgegen kommen viele blasse, verschwitzte Typen mittleren Alters in Jogginghosen und Hoodies. Nichts vom Glamour eines James Bond. Einige essen sogar Burger am Pokertisch, überall Energydrinks, es riecht nach billigem Parfum und Zigaretten.

Fenster gibts hier keine, im Casino soll man nie wissen, wie viel Uhr es ist. Der Frauenanteil liegt bei den Turnieren der World Series of Poker bei rund vier Prozent. Die meisten Frauen sind Kellnerinnen oder Masseurinnen, die die Spieler gelangweilt mit einer Hand kneten und mit der anderen am Handy herumdrücken. Denn so ein Spiel dauert schon mal bis in die frühen Morgenstunden.

Der heutige Einsatz: 10 000 Dollar, er ist für alle gleich. Vuilleumier hat definitiv ein Pokerface, man hat absolut keine Ahnung, obs bei ihm gerade gut läuft, ob er eine gute Hand hat oder nicht. Er schäkert mit seinen Mitspielern. Das sei seine Technik, um die Gegner kennenzulernen und sie so heimlich besser analysieren zu können. Fast fünf Stunden sitzt Vuilleumier am Tisch, es werden immer weniger Spieler um ihn herum, aber leider schwinden auch langsam seine Chips. Dann wird er eliminiert. Die 10 000 Dollar sind weg. Er zuckt mit den Schultern, bedankt sich und räumt seinen Platz. «Das ist Poker», sagt er. «Ich bin nicht sauer, weil ich keine Fehler gemacht habe. Ich hatte einfach keine guten Karten.»

Alexandre Vuilleumier, Poker-Spieler in Las Vegas

Die Karten lügen nicht. «Beim Pokern gehts nur ums Spiel, es ist absolut demokratisch», sagt Alexandre Vuilleumier.

Tomo

Bücher schreiben und Gutes tun

Anfangs habe er Poker nur wegen des Geldes gespielt, erinnert er sich beim Verlassen des Casinos. «Aber dann habe ich mich in das Spiel, in die Mathematik dahinter verliebt. Es gibt noch so viele Theorien zu entdecken!» Noch ein paar Jahre wolle er spielen. Genügend Geld verdienen, um das zu tun, was er eigentlich machen möchte: «Bücher schreiben», sagt Alexandre Vuilleumier fast schüchtern. «Ich weiss, dass alles Schöne bereits geschrieben wurde. Aber ich möchte es trotzdem versuchen. Wenn ich nur einen Menschen damit berühren würde, hätte es bereits einen Sinn.» Vielleicht wolle er auch in die Politik gehen oder für eine Wohltätigkeitsorganisation arbeiten. «Ich habe viele Privilegien genossen, da ist es nur logisch, dass ich irgendwann etwas zurückgeben möchte.»

Bei allen Privilegien: Vuilleumier musste auch allerhand Ungerechtigkeiten erleben. «Als ich mein erstes Bracelet gewonnen habe, sagte ich, dass das ein schöner Beginn für den Pride-Monat sei.» Da sei ihm aus der Pokerszene sehr viel Hass entgegengeschlagen. «Die meisten Spieler sind eher konservativ, denen passt es nicht, dass ich homosexuell bin.» Homophobie und Intoleranz motivieren ihn einerseits, selbst etwas dagegen zu tun, andererseits prallen sie aber auch an ihm ab. Der 41-Jährige hat sein Glück gefunden. Und das hängt weder von der Meinung anderer noch von den Karten in seiner Hand ab.

Von Jacqueline Krause-Blouin am 6. August 2023 - 18:00 Uhr