Nicole Pfammatter, 50, steht mitten im Regenwald am Steg des Flussho- tels Float House River Kwai. An den schwimmenden Holzhütten zieht das trübe Wasser des Kwai vorbei. «Los, lass uns reinspringen!», sagt sie, nachdem ihr ein Hotelmitarbeiter versichert hat, dass hier schon länger keine Krokodile mehr gesichtet wurden. Sie ist seit über 24 Stunden wach. «Schlafen kann ich, wenn ich wieder zurück in der Schweiz bin.» Sie zieht sich das Badkleid und die Schwimmweste an, springt mit einem Köpfler in den Fluss und lässt sich 200 Meter treiben. Und das gleich dreimal hintereinander. «Das Wasser ist herrlich angenehmen.» Nicole Pfammatter ist eine, die lieber ins kalte Wasser springt, statt von der Seitenlinie zuzuschauen.
Seit etwas mehr als 100 Tagen ist sie CEO von Hotelplan Suisse – des grössten Reiseveranstalters der Schweiz. Die Migros-Reisetochter zählt 650 Mitarbeitende, hat 87 Filialen und beförderte letztes Jahr 188 000 Passagiere. Pfammatter ist für einige Tage in Thailand. Die Tourismus-Managerin besucht lokale Reiseagenturen und Partner und will schauen, wie sich das Land von der Pandemie erholt. Und ob es bereit ist für die nächsten Touristen aus der Schweiz.
Ihre Wurzeln hat Nicole Pfammatter im Wallis. Bereits als Kind ist sie mit ihren Eltern – der Vater Schlosser, die Mutter Telefonistin – nach Thun BE gezogen, bevor die Familie darauf ins Zürcher Oberland ging. «Da habe ich meinen Walliser und meinen Berner Dialekt sehr schnell abgelegt, weil man mich nicht immer verstanden hat», sagt sie im breiten Züridütsch. Heute kann sie perfekt zwischen den Dialekten hin und her hüpfen. Und spricht ausserdem fünf Sprachen.
Nach der Landung in Bangkok um sechs Uhr morgens sieht man ihr die zehn Stunden im Flugzeug seit Zürich nicht an. «Ich habe kein Auge zugetan. Meine Sitznachbarin ist immer wieder eingenickt und auf mich herübergerutscht.» Zwar hätte Pfammatter bequem in der Businessclass liegen können. Sie verzichtete aber darauf, weil sie lieber mit den zwei Mitarbeitern, die sie begleiten, in der Economy sitzen wollte. «So finde ich es lustiger. Wenn wir schon gemeinsam reisen, dann auch zusammen im Flugzeug.»
Nach der Ankunft gehts direkt weiter nach Kanchanaburi. Die Provinz im Westen des Landes ist fast drei Autostunden von Bangkok entfernt. Hier fährt Nicole Pfammatter mit der sogenannten «Todeseisenbahn» durch den Dschungel. Der Name dieser Zugstrecke gründet auf dem Schicksal der Tausenden Zwangsarbeiter, die beim Bau bis 1943 ums Leben kamen.
Am Abend erreicht sie das «Float House River Kwai» – das Flusshotel im Regenwald. Und kaum hat sie das Bad im Fluss beendet, liest sie ihre Mails auf dem Laptop, bevor sie zu Bett geht.
Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer wollen wieder in die Ferien, sagt Nicole Pfammatter. Sie rechnet damit, dass Hotelplan Suisse bis Ende Jahr wieder 80 Prozent des Vor-Corona-Umsatzes erreicht. «Die meisten wollen jetzt ans Mittelmeer.» Beliebt sind die griechischen Inseln Kreta, Kos und Rhodos, gefolgt von Spanien, Zypern, der Türkei und Italien. Nach zwei Jahren coronabedingter Absenz haben es auch die USA wie- der ins Ranking der Top Ten geschafft. Bei den Verlierern steht aber noch Thailand an der Spitze. «Dabei würde es sich genau jetzt lohnen hierherzureisen», sagt Pfammatter. Es hat weniger Touristen, die Städte und Strassen sind fast leer. «Thailand hat die Grenzen erst spät wiedergeöffnet. Das merkt man jetzt.» Von der Unsicherheit, die Corona hinterlassen hat, profitieren nun Firmen wie Hotelplan: Herr und Frau Schweizer reisen lieber mit Rückendeckung eines Reisebüros statt auf eigene Faust. «Der Grossteil unserer Neukunden hat angegeben, dass sie bei uns buchen, um abgesichert zu sein, falls etwas nicht klappt.»
Aus dem Dschungel in den Dschungel! In Bangkok braust Nicole Pfammatter auf einem E-Trottinett durch die schwüle Hitze – neben ihr flitzen brüllende Motorräder und Autos auf vierspurigen Strassen vorbei. «Das könnte ich den ganzen Tag machen», sagt sie. «Ich mag es, ins wahre Leben einer Stadt einzutauchen.» In Thailands Hauptstadt war sie zuletzt vor zehn Jahren. Damals verbrachte sie eine Woche Ferien mit ihrer Mutter in Thailand.
«Familie geht für mich über ganz vieles!», sagt sie. «Ich bin mit 21 Cousinen und Cousins aufgewachsen. Jeden Sonntag waren wir bei den Grosseltern in Thun zum Zmittag.» Seit 2005 ist sie mit Orlando Borrell Hernández, 57, verheiratet. Den Kubaner lernte sie vier Jahre zuvor in Santa Clara kennen, heute leben sie in Greifensee ZH. «Kinder wollte ich nie. Ich geniesse meinen Freiraum und reise fürs Leben gern, wenn es die Zeit zulässt auch ganz spontan. Ich habe das Gefühl, Kinder hätten mich da zu sehr eingeschränkt.»
Mehlwürmer, Tausendfüssler und Skorpione. Knusprig frittiert und golden glänzend liegen die Insekten auf einem Klapptisch an der überfüllten Yaowarat Road, der Pulsader von Bangkoks Chinatown. Bei einer abendlichen Entdeckungsreise nimmt sich Nicole Pfammatter einen Mehlwurm am Spiesschen und beisst rein. «Schmeckt nach Soja.» Und wie ist die Konsistenz? «Wie ein halber Erdnussflip», sagt sie und strahlt fast so sehr wie die Leuchtreklamen an der berühmten Vergnügungsmeile. «Ich probiere immer alles aus.»
Das zeigt sie auch tags darauf beim Zmorge. Es gibt gefüllte Dampfbrötchen, gebratenen Reis und etwas, was sie «nicht grad weiss, was es ist. Aber etwas Asiatisches.» Rösti mit Speck oder Müesli kämen ihr in Bangkok nicht auf den Teller. «Das kann ich ja in der Schweiz genug essen.» Nicole Pfammatter ist eine, die lieber einmal mehr reinbeisst, als etwas zu verpassen.