Auf dem Marktplatz in Basel werden Blumen, Röstkaffee und Thai-Curry feilgeboten, drinnen im Rathaus geht Regierungspräsident Beat Jans (58) dem Tagesgeschäft nach. Alles wie immer. Leider, muss man aus Basler Sicht sagen. Eine Woche ist es her, seit SP-Ständerätin Eva Herzog (60) die Wahl in den Bundesrat verpasst hat. Für ihren Heimatkanton bedeutet das: weder Feier noch Umzug, geschweige denn bundesrätlicher Glanz. Stattdessen: Courant normal. Dennoch empfängt Beat Jans, der zehn Jahre für die SP im Nationalrat sass, gut gelaunt. Dass man in seinem Büro fröstelt, hat allein mit den vorbildlichen 19 Grad Raumtemperatur zu tun.
Herr Jans, lange sah es danach aus, dass Basel eine Bundesrätin bekommen würde. Wie haben Sie die Niederlage verdaut?
Ganz okay. Es ist wie nach einem verlorenen Fussballmatch des FCB: Am nächsten Tag schaut man wieder nach vorne. Und ich bin froh, dass wir mit Eva Herzog weiterhin eine hervorragende Ständerätin haben.
Wie siegessicher waren Sie?
Ich reiste schon zwei Tage vor den Bundesratswahlen nach Bern, um zu lobbyieren. Bei den Gesprächen fiel mir auf, dass es knapp werden könnte. Aber natürlich: Die Region Basel war euphorisch. Eva Herzog ist absolut qualifiziert und sehr populär bei uns, das zeigen ihre hervorragenden Wahlresultate. Von links bis rechts, alt bis jung, Frauen und Männer – alle haben auf sie gehofft und dachten: Das reicht schon.
Sie sassen auf der Tribüne im Bundeshaus, als der Name Elisabeth Baume-Schneider fiel – wie reagierten Sie?
Zuerst war ich perplex. Dann stand ich auf und klatschte für die neue Bundesrätin. Mir war rasch klar, dass mit Elisabeth Baume-Schneider eine Politikerin gewählt wurde, die auch gut für die Region Basel ist.
Inwiefern?
In der Nordwestschweizer Regierungskonferenz arbeiten wir bereits mit dem Kanton Jura zusammen. Und wir haben ähnliche politische Anliegen, etwa beim Europadossier. Basel-Stadt und der Jura wollen beide, dass wir uns mit der EU wiederfinden.
Hätten Sie Eva Herzog besser unterstützen müssen?
Natürlich diskutierten wir im Nachgang, ob wir als Kanton etwas falsch gemacht haben. Aber ich bin der Meinung, wir waren sehr präsent und traten sogar mit unserem Nachbarkanton Baselland geschlossen auf. Bei Bundesratswahlen spielen viele Faktoren mit, auch persönliche Interessen. Gut möglich, dass einige Parlamentarier verhindern wollten, dass bei den nächsten Ersatzwahlen ein welscher Sozialdemokrat wie Pierre-Yves Maillard oder Christian Levrat zum Zug kommt.
Die «Gmögigere» habe gewonnen, hiess es nach den Wahlen überall. Zu Recht?
Wie gesagt: Bei einer Bundesratswahl spielen verschiedene Faktoren mit. Dies auf das Wesen eines Menschen zu reduzieren, scheint mir zu einfach.
2019 sagten Sie in der Schweizer Illustrierten: «Unsere Partei kommt oft zu elitär daher.» Wurde dies auch Eva Herzog zum Verhängnis?
Wer Eva Herzog kennt, weiss, wie sehr sie die Menschen in ihr Herz schliessen kann. Aber wir Baslerinnen und Basler leiden generell etwas unter dem Bild des arroganten Städters – das wurde schon in den alten Heimatfilmen zementiert. Der Basler war meistens reich, spielte den Bösewicht und hatte eine abgehobene Sprache.
Wie ticken die Baslerinnen und Basler wirklich?
Wir sind eine Industriestadt, bei uns arbeiten auch viele Nicht-Akademiker – ich selbst habe auch zuerst eine Lehre als Landwirt gemacht und bin der Sohn eines Arbeiters. Oft wird auch verkannt, dass wir Basler und Baslerinnen besonders freundlich sind – das sagen zumindest die Schaustellenden der Herbstmesse, mit denen ich immer wieder zu tun habe. Sie sind erfreut, wie sehr wir uns jeweils bei ihnen bedanken. Ausserdem engagieren sich überdurchschnittlich viele Baslerinnen und Basler ehrenamtlich, gerade jüngst wieder bei der Aufnahme von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern.
Sie lebten auch in Zürich und waren als Nationalrat über zehn Jahre immer wieder in Bern: Was zeichnet das Basler Lebensgefühl aus?
Wir sind sehr dynamisch und interessiert an Fortschritt. In Basel wird Spitzenforschung betrieben – nicht nur von öffentlichen Institutionen, sondern auch von Firmen. Das macht Basel zu einer Wissensgesellschaft. Und als solche müssen wir uns immer wieder erneuern, weil Wissen nicht stehen bleibt. Davon profitiert auch die restliche Schweiz.
Können Sie diese Dynamik in Zahlen ausdrücken?
30 Prozent des Schweizer Exportvolumens stammen aus Basel – das ist enorm! Ausserdem zahlen wir nächstes Jahr 180 Millionen Franken an den Finanzausgleich ein. Und wir stellen 90 000 Arbeitsplätze zur Verfügung, das geht oft vergessen.
Wenn man Ihnen so zuhört, erstaunt es schon, dass Ihr Frust über die Nichtwahl von Eva Herzog nicht grösser ist.
Sagen wir es so: Ich glaube nicht, dass es Basel schlechter geht, weil wir jetzt nicht im Bundesrat vertreten sind. Aber ich finde es schade, dass der Geist unserer Wissensgesellschaft – dieser Durst nach Neuem – nicht in die Regierung einfliesst.
Bei nationalen Abstimmungen wird die Stadtbevölkerung dauernd überstimmt …
… und doch fühlt sich die Landbevölkerung durch die Städte bevormundet. Obwohl dies überhaupt nicht der politischen Realität entspricht. Interessant ist auch, dass die Landbevölkerung – wenn sie denn mal verliert – lange an einer Niederlage kaut, ich denke da etwa an den Wolfsschutz oder die Zweitwohnungsinitiative. Wir Städter hingegen sind es gewohnt, überstimmt zu werden.
Wie werden Sie sich im Bundesrat Gehör verschaffen?
Sowohl Albert Rösti als auch Elisabeth Baume-Schneider haben mir nach der Wahl gesagt: «Meine Türen sind offen für dich.»
In der Siegeseuphorie sagt sich das leicht …
Ich kenne beide Neugewählten persönlich und habe ihre Aussagen als ehrlich empfunden.
Was wünschen Sie sich vom Bundesrat?
Dass der Schweizerische Städteverband bei wichtigen Vernehmlassungen und Verhandlungen einbezogen wird – er lief bisher leider oft unter dem Radar.
Wann wird Basel den nächsten Bundesrat haben?
Da wage ich jetzt wirklich keine Prognose mehr (lacht).
Als ehemaliger Nationalrat und Deutschschweizer Städter wären Sie prädestiniert fürdie Nachfolge von Alain Berset …
Ich bin mit meinen Gedanken voll beim Kanton. Basel-Stadt soll bis 2037 klimaneutral werden – das ist eine grosse Aufgabe.