Frisch zurück von der Piazza Grande in Locarno in ihrer Ein-Raum-Atelierwohnung in Zürich-Wiedikon, fühlen sich Regisseurin Natascha Beller und ihr Partner Patrick Karpiczenko etwas müde. Am Festival feierte Bellers erster Kinofilm «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» als einziger Schweizer Film Premiere.
«Das war cool, aufregend, aber auch beängstigend», sagt sie. Der Start ist geglückt. «Die Leute haben mega gelacht», bestätigt Karpi, 33, der beim Film die Kamera führte. Dass ihr Erstling nach vier Jahren Arbeit am 29. August in die Kinos kommt, freut Natascha Beller. Dabei sollten drei Zahlen ihre Stimmung trüben. Erstens: Frau Beller ist über 30 Jahre alt. Zweitens: Sie hat 0 Kinder. Drittens: «Faktisch habe ich 800 000 Franken Schulden.»
Natascha Beller ist 36. Was Frau so erlebt, wenn sie die 30 und somit den angeblich physischen Höhepunkt ihres Lebens überschritten hat, verarbeitet sie in ihrer Komödie. Sie selber kann einen Film lang davon erzählen, schliesslich landete sie an ihrem 30. Geburtstag im Spital.
Als die Tischbombe – ein Geschenk ihrer besten Freundin – explodierte, zersplittert eine Neonröhre. «Ich wurde als Einzige der 50 Leute von Glassplittern am Bein getroffen.» Fast ein Jahr vergeht, bis sie wieder richtig gehen kann.
Einen weiteren «schönen» Moment erlebt sie zwei Jahre später in der Disco. Sie sagt einem Typen, wie alt sie ist, worauf der sie wortlos stehen lässt. «Ich fand das so lustig, dass ich es meinen Freundinnen erzählte.» Auch die hatten schon viel erlebt, und Beller wird klar: Wahre Begebenheiten sind pure Komik und ein idealer Filmstoff.
Gerade vergleichen Natascha Beller – aufgewachsen in Bassersdorf ZH – und Patrick Karpiczenko – gezeugt im Circus Nock und aufgewachsen in Jegenstorf BE –, wie viel Sackgeld sie als Kinder bekommen haben. «Ich hatte pro Woche immer so viel, wie ich alt war.» – «Das ist mega viel, du Einzelkind! Ich bekam jeweils nur 50 Rappen mehr pro Lebensjahr», enerviert sich Beller.
Seit viereinhalb Jahren sind die beiden ein Paar, obwohl sie sich bereits 2006 an der Zürcher Hochschule der Künste trafen. Kurze Zeit später zog sie bei ihm ein, «weil ich – kein Witz – plötzlich auf meine Wohnung allergisch reagierte und geschwollene Augen bekam». – «Ein Aufstieg würde ich sagen, vom Halb-UG ins Parterre», witzelt er.
Humor verbindet das Paar. Beide arbeiten für die SRF-Show «Deville Late Night» und verantworten im Team den Youtube-Hit «Switzerland Second» (12 Millionen Klicks), die Schweizer Antwort auf Trumps Aussage «America First». «Es tönt banal, aber Natascha ist schon mega lustig, ob freiwillig oder unfreiwillig», so Karpi, Mitgründer und Sidekick von «Deville Late Night».
Natascha Beller ist kinderlos. Und verspürt keine Torschlusspanik. «Ich habe das Gefühl, dass ich eben erst angefangen habe zu arbeiten.» Nach der KV-Lehre im Papier-Grosshandel geht sie reisen, jobbt im Service und malt Bilder wie Pferdeköpfe an die Wände von reichen Leuten. Sie beginnt zu fotografieren und bewirbt sich für die Zürcher Hochschule der Künste, wo sie 2006 ihr Filmstudium beginnt.
Ihre Mutter, die einst aus China flüchtete, war froh, dass ihre Tochter überhaupt was lernt. Auch der Vater, Unternehmer Walter Beller, liess ihr freie Hand. «Meine Eltern sagten immer, ich soll das machen, was mich glücklich macht.»
Zurück zur Kinderfrage. «Wäre ich ein Mann meines Alters, wärs kein Thema. Doch weil ich eine Frau mit biologisch limitierter Zeit bin, mache ich mir ab und zu Gedanken.» Karpi kommt wortgewandt zu Hilfe. «Also erst ab 100 000 Kinoeintritten kommt ein Kind infrage.»
Natascha Beller hat «Schulden». Sieben Anträge reichte sie ein, in der Hoffnung, Fördergelder für den Film zu erhalten. Alle wurden – meist von Männern – abgelehnt. «Ein älterer Herr fragte mich tatsächlich, ob denn dies wirklich ein Thema ist.» Ja, fanden auch die drei Hauptdarstellerinnen Michèle Rohrbach, Sarah Hostettler und Anne Haug. Sie sind von Bellers Idee so begeistert, dass sie auch mit wenig Lohn dabei sind.
«Alle Beteiligten haben geholfen», so Beller. Ihre Mutter übernahm die Statistenrolle einer chinesischen Geschäftsfrau (Beller spricht Kantonesisch), ihr Bruder jene eines Tinder-Dates. Die Kinderhauptrolle vergab sie ihrem Gottemeitli Janelle, Tochter ihrer besten Freundin.
Ne ben den Laiendarstellern sind auch Schauspieler wie Matthias Britschgi, Beat Schlatter und Wanda Wylowa dabei. Und Prominente wie Moderator Dominic Deville, Dani Fohrler und Schwinger Roger Brügger sind in Nebenrollen zu sehen oder wie im Fall von Nik Hartmann zu hören. «Die Crew hat den Film definitiv mitgetragen», sagt Beller. «Ihr Lohn hätte mich sonst eine Million gekostet.» Abzüglich der 100 000 Franken aus dem Crowdfunding und dem nach Drehschluss doch noch erhaltenen Fördergeld von 105 000 Franken hätte sie rund 800 000 Franken Schulden.
«Hätte, denn ich muss den Betrag nicht auszahlen. Sonst würde ich jetzt nicht mehr lachen.» Der schönste Lohn war für die Crew sowieso die Premiere in Locarno, wo sie «wie eine grosse Familie» über den roten Teppich lief.