René Prêtre, haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie Ihren Teller nicht leer essen?
Ich komme aus einer Bauernfamilie. Fleisch ass man auf, und Brot warf man nicht weg – diese Philosophie ist noch in mir drin. Schlachteten wir ein Tier, verwendete meine Mutter alles.
Haben Sie auch Herz gegessen?
Nein, das haben wir den Hunden und Katzen gegeben.
Besitzen Sie einen Organspendeausweis?
Ja, seit Langem.
Können Sie sich vorstellen, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen?
Vielleicht. Es ist seltsam: Als Chirurg kämpfe ich gegen den Herztod. Aber wenn ich wählen könnte, dann würde ich am liebsten genau daran sterben. Nicht jetzt, aber in hohem Alter einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen, ist doch eine schöne Art zu gehen.
Welche Musik soll an Ihrer Beerdigung gespielt werden?
Led Zeppelin würde wohl nicht passen (lacht). Etwas Romantisches: Chopin, Beethoven.
Über welche Tat von Ihnen wird man noch lange nach Ihrem Ableben reden?
Hoffentlich sind meine Töchter zufrieden mit mir und unserer gemeinsamen Zeit. Bei meinen Arbeitskollegen würde es mich freuen, wenn sie sich daran erinnern, dass ich meine Arbeit immer als Kunst verstanden habe.
Wie meinen Sie das?
Die Ästhetik des Herzes, die Choreografie der Hände, das gehört für mich dazu.
Haben Sie Angst davor, dass Ihre Hände eines Tages zittern?
Das wird kommen. Wenn ich morgen aufhören muss, habe ich hoffentlich den Mut, dies zu akzeptieren.
Als Sie 16 Jahre alt waren: Wie sah da Ihr Zimmer aus?
Es war eher ein Schlafsaal, den ich mit meinen vier Brüdern teilte. Da haben wir eigentlich nur geschlafen. Ein Poster oder so hatte ich nicht aufgehängt.
Gab es einen Film, der Ihr Leben massiv beeinflusst hat?
Mit 20 beeindruckte mich der Film «The Deer Hunter» sehr. Diese Jungs, die da in den Vietnamkrieg geschickt wurden, waren so alt wie ich – und kommen plötzlich vom Himmel in die Hölle.
Falls Ihr Leben verfilmt wird: Welcher Schauspieler soll die Hauptrolle spielen?
Hoffentlich nicht Mr. Bean!
Wer dann?
Lino Ventura mochte ich immer. Er war nicht sehr schön, aber er konnte sich durchsetzen.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Schulschatz?
Ja. Als ich etwa neun Jahre alt war, setzte mich meine Lehrerin neben ein Mädchen, weil ich mit meinen Freunden ständig über Fussball redete. Das war für mich eine harte Bestrafung.
Klingt nicht nach grosser Liebe.
Tja, diese Anne-Christine war dann so freundlich zu mir und so lustig, dass ich mich plötzlich sehr freute, morgens in die Schule zu gehen (lacht). Leider kam sie später in eine andere Klasse.
Was war die bisher beste Idee Ihres Lebens?
Der Wechsel von der Allgemeinchirurgie zur Herzchirurgie. Ich dachte, ich sei zu schüchtern und könne mich nicht durchsetzen. Und jetzt bin ich damit so glücklich geworden.
Aber den Wunsch, Fussballer zu werden, mussten Sie begraben.
Ja, mein Vater war dagegen, dass ich an die Fussballschule ging. Doch das war schon richtig so,
ich hätte es nicht an die Spitze geschafft.
Spielen Sie noch Fussball?
Nein. Vor einigen Jahren machte ich eine Ausnahme und habe gemerkt, dass mein Hirn noch von einem sehr jungen Körper ausgeht: Ich dachte, ich könne hoch springen, leider hob ich nur noch einige Zentimeter vom Boden ab und verpasste den Ball (lacht).
Haben Fussballer und Chirurgen etwas gemeinsam?
Beide brauchen seriöse Vorbereitung und Disziplin. Man spielt in einer Mannschaft, kann aber auch selbst ein Tor schiessen – oder ein Eigentor.
Was hat Ihnen Ihr Vater früher immer gesagt?
Nichts Spezifisches. Aber als Bauernkinder lernten wir, dass es Arbeit gibt und man diese erledigen muss.
Über welches Geschenk haben Sie sich zuletzt gefreut?
Ich bin Grossvater geworden. Warten Sie, ich zeige Ihnen ein Foto.
Ein hübsches Baby.
Sie ist wunderschön. Ich freue mich sehr.
Welche Ihrer Eigenschaften möchten Sie Ihren Töchtern und Ihrer Enkelin vererben?
Den Gerechtigkeitssinn.
Welche keinesfalls?
Ich habe zu viel gearbeitet. Ich hoffe, dass sie das Leben neben der Arbeit geniessen.