Ein kalter, hochnebelverhangener Tag, eine stillgelegte Industriehalle des Tonwerks in Lausen BL – und mittendrin Rosa Wilder. Die Szenerie könnte dem SRF-Hit «Wilder» entstammen: Die im TV stachelig wirkende Fahnderin lächelt, zupft den roten Schal zurecht, macht kehrt – und läuft erneut auf den Fotografen zu. Sarah Spale, 40, die im Erfolgskrimi die Ermittlerin Rosa Wilder verkörpert, wirkt beim Shooting mit der Schweizer Illustrierten gelöst, fast beschwingt; sie freut sich auf bevorstehende freie Tage mit der Familie.
Als Rosa Wilder ermittelt sie rund um La Chaux-de-Fonds. Mit Partner Manfred Kägi, gespielt vom Berner Marcus Signer, 57, ist sie zurzeit einem Serientäter auf der Spur, der es auf schwarze Schafe bei der Polizei abgesehen hat. Wirkte sie in der ersten Staffel noch kühl und unnahbar, taut sie immer mehr auf, witzelt gar mit Kägi.
Sie hat sich als Polizistin weitergebildet, weiss, dass sie gut ist in ihrem Beruf», sagt Spale. Genauso wie sie als Schauspielerin. Spätestens seit ihrer Rolle als zugedröhnte Junkie-Mutter im Kinodrama «Platzspitzbaby» (2020) ist sie eine Ikone unter den Schweizer Schauspielerinnen.
Spale ganz bescheiden: «Ich finds toll, wo ich stehe, hatte auch Glück.» Den Erfolg hat sie sich erarbeitet, feilt daran, «nicht nur abzuliefern, sondern mit jedem Dreh besser zu werden». Nicht wegen Ansehen oder Karriere – ihre eigene Erwartungshaltung treibt sie an. Trotz aller Anerkennung bleibt sie selbstkritisch. «Oft liege ich im Clinch mit mir, hinterfrage mich.» Das macht für sie den Reiz ihres Berufs aus: «Jedes Mal über mich hinauszuwachsen und mich dabei permanent mit mir selbst auseinanderzusetzen.»
Ihre Filmfigur Rosa nimmt auch privat mehr Gestalt an. «Anfangs war sie ein Meitli, jetzt hat sie ein Kind und Familie.» Zu viel verraten will Spale nicht. «Es passiert in den kommenden Folgen noch so viel.»
Glück im Unglück hatte sie im ver- gangenen Frühjahr. Beim Dreh zur aktuellen «Wilder»-Staffel verletzte sie sich – ironischerweise während einer Szene im Spital. «Kreuzband und Meniskus waren hin.» Sarah haderte. «Dass ich mit dem Unfall die Aufnahmen komplett hätte unterbrechen können, machte mir zu schaffen. Doch wegen des Lockdowns wurde der Dreh sowieso unterbrochen.»
Spale wird operiert, läuft bis Sommer an Krücken. «Unser Kleiner besuchte da noch den Chindsgi, der Ältere die Primarschule. Ich machte mit ihm für die Schule nur, was sein musste.» Spale, die nach ihrem Studienabbruch (Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis) eine Ausbildung zur Primarlehrerin absolvierte, unterrichtete nur in ihren Praktika. «Sonst nie!»
Die Zeit fürs SI-Shooting hat Sarah Spale genau festgelegt. Sie will pünktlich am Mittag daheim sein bei ihrer Familie. Zu Beginn der Pandemie achteten die zweifache Mutter und Ehemann Philipp, 44, darauf, mit ihren Buben viel in der Natur zu sein. «Die Situation konfrontierte unsere Kinder mit neuen Herausforderungen. Im sozialen Umgang mussten sie Neues lernen, zu Hause vermehrt mithelfen.»
«Weil ich mich nicht mehr auf meinen Körper verlassen kann. Funktionieren, wenn ich funktionieren will – dieses Urvertrauen ist angeschlagen. Ich will es zurückgewinnen!» Spale ist kein ängstlicher Mensch, doch ihre Verletzung und die Unsicherheit in der Corona-Zeit nagen. Zu Beginn der Pandemie habe man von grosser Solidarität gesprochen, jetzt gehe man mit Skepsis und Distanz aufeinander zu. «Das entspricht überhaupt nicht meiner Art!»
Mit der Maskenbildnerin, die Sarah fürs Shooting zurechtmacht, plaudert sie locker und unbeschwert. Sie könnte es sogar auf Berndeutsch. Das kommt der Baslerin inzwischen leicht über die Lippen. «Beim Dreh passiert es immer öfter, dass ich mit der Maskenbildnerin, einer Bernerin, Berndeutsch spreche. In der ersten Staffel habe sie das noch strikt vermieden, «Bärndütsch» nur gesprochen, wenn die Kamera lief.
Die fehlende Unbeschwertheit wegen Corona beschäftigt Spale. Kürzlich sei ein älterer Mann vor ihr zu Boden gestürzt. Spontan wollte sie ihm aufhelfen. Zuerst habe sie gefragt, obs ihm unangenehm sei, weil sie ihm ja dabei nahe komme. «Ich hoffe, wir kriegen diesbezüglich nach der Pandemie die Kurve und begegnen einander wieder offener.»
Offenheit ist ihr wichtiger als Besitz. «Ich besass lange Zeit sehr wenig und empfand das als Freiheit.» In jungen Jahren strandete Sarah auf einer kleinen griechischen Insel, wo sie in einem Bistro kiloweise Kartoffeln schälte. «Einmal sagte der alte Wirt, er sei gleich zurück. Als Gäste kamen und Omelett und griechischen Kaffee bestellten, bereitete ich beides zu. Als der Wirt zurückkam, fragte er: Was machst du da? Ich sagte: Es hat Gäste. Der alte Grieche strahlte bis über beide Ohren wegen meines Eifers.» Wenn Spale davon erzählt, wirkt es, als hätte sie die kleine Insel vor Augen. «Die Sehnsucht, den Koffer zu packen, bleibt.»
Anfang Woche ist Spale für Dreharbeiten ins Glarnerland zurückgekehrt – dahin, wo 2017 die Erfolgsgeschichte von «Wilder» ihren Anfang genommen hatte und sie ihren Durchbruch als Schauspielerin feiern konnte.