Polizeiwache Clara, Montagmorgen um Viertel nach neun. Sacha Lüthi und Michel Hostettler haben gerade ihren Dienst begonnen. Als Community-Polizisten sind die 47-jährigen Basler für einen der grössten Schmelztiegel der Schweiz verantwortlich. Mit einem Ausländeranteil um die 50 Prozent gelten Quartiere wie Kleinhüningen, Klybeck, Matthäus und Rosental als Multikulti – und als soziale Brennpunkte. «Kleinbasel ist das einfachere, ‹dreckigere› Basel. Die Leute sind direkter – und trotzdem könnte ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu arbeiten», sagt Sacha Lüthi. Jeder Tag sei anders. Nie wisse man, was einen erwarte. «Ich finde das auch nach über 20 Jahren immer noch wahnsinnig interessant.»
Im Unterschied zur Strassenpolizei sind Community-Polizisten nicht im Streifenwagen, sondern zu Fuss unterwegs. Über die Jahre wurden die Polizeiposten der Stadt Basel reduziert. «Unsere Kollegen müssen nun grössere Gebiete abdecken. Wir versuchen diese Lücke zu schliessen», so Abteilungsleiter Michel Hostettler. Sie seien allgemein näher dran an der Bevölkerung – «und auch an den verschiedenen Nationen, die hier leben», ergänzt Lüthi.
Heute steht ein Besuch beim Verein Migranten helfen Migranten an. Geschäftsführerin Alima Diouf plant für Ende Monat eine Veranstaltung zur Vermittlung zwischen der Polizei und Dunkelhäutigen. «Diskriminierung ist eine Realität», bringt es die gebürtige Senegalesin auf den Punkt. Jedoch bestünden Vorurteile in beide Richtungen. «Wir Schwarzen sind nicht alle Dealer, Prostituierte oder Sozialhilfebezüger. Und genauso wenig sind alle Polizisten Rassisten.» Hauptthema beim geplanten Event: Personenkontrollen. «Wir merken, dass die Verunsicherung und der Unmut in unserer Community sehr gross sind», erklärt Diouf, die seit 1994 in Basel lebt. «Schwarze werden öfter angehalten als Weisse – nicht erst seit George Floyd», ist sie überzeugt. Aus diesem Grund erstellt sie gerade ein Merkblatt für das richtige Verhalten bei Polizeikontrollen – zusammen mit der Kapo. Eine Sieben-Punkte-Anleitung mit Piktogrammen soll speziell Analphabeten als Leitfaden dienen. Punkt Nummer eins darauf: ruhig bleiben. «Ich würde da zwei lachende Smileys machen statt nur eines. Es gilt ja für beide Seiten», merkt Hostettler an. «Super, dass ihr erwähnt, dass die Hände stets sichtbar bleiben sollten. Das führt immer wieder zu Problemen», findet Lüthi.
Auch beim anschliessenden Rundgang kreisen die Gedanken um das viel diskutierte Racial Profiling, sprich das Handeln auf Basis ethnischer Stereotype. «Wenn momentan ein Schwarzer kontrolliert wird, stehen automatisch viel mehr Leute da, und jeder zückt das Handy», erzählt Lüthi. Die Meinungen seien gemacht. «Da überlegt man sich zweimal, ob man die Person wirklich kontrolliert. Aber wir dürfen nicht Gefahr laufen, unsere Arbeit nicht mehr zu machen», fügt Hostettler an.
«Wenn momentan ein Schwarzer kontrolliert wird, stehen automatisch viel mehr Leute da»
Sacha Lüthi, Polizist
Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass an gewissen Drogenhandel-Hotspots in Kleinbasel die Wahrscheinlichkeit, kontrolliert zu werden, für dunkelhäutige Personen höher sei. «Dass das nervt, verstehen wir, und das tut uns auch leid», sagt Hostettler. Trotzdem hält er fest: «Schwarz sein allein reicht nicht aus, um von uns kontrolliert zu werden.» Es gebe viele weitere Faktoren. «Der da zum Beispiel», sagt Hostettler und zeigt in Richtung Kasernenareal. «Er hat sich jetzt sicher schon sechsmal nach uns umgedreht.» Kurz darauf ist der dunkelhäutige Mann auch schon um die Ecke verschwunden.
Gegen diskriminierende Personenkontrollen geht der Kanton Basel-Stadt mit einem verstärkten Weiterbildungsangebot vor. Ende Jahr werden zum ersten Mal sogenannte «Blue Eyed Workshops» durchgeführt, bei denen Teilnehmer Diskriminierung für einmal am eigenen Leib erfahren.
Schon jetzt sind Kursmodule mit Rollenspielen Pflicht. «Das bringt viel. Denn auch wenn die Extremsituation fiktiv ist, stellt man Verhaltensweisen an sich selbst fest, die man verbessern könnte», findet Lüthi. «Man muss aufpassen, nicht zu schubladisieren», gibt auch Hostettler zu. «Wenn sich mein Bauchgefühl meldet, halte ich kurz inne und sage mir: Moment, Digge, was sagt der Kopf?» Auch er habe schon jemanden angehalten und dann gemerkt, dass nichts vorliegt. «Da zieht man halt einen Schlussstrich und wünscht einen schönen Tag.» Auch Polizisten seien nur Menschen. «Und auch wir sind nicht perfekt.»